„Game Theory“, Joshua Monten ©Jonas Kambli

Zu viel Spieltrieb

Spiel, Sport, Artistik und Tanz gehen in Joshua Montens „Game Theory“, das vom 11.-13. März 2020 im DOCK11 gezeigt wurde, fließend ineinander über. Aber unklar bleibt, was aus dem Schein-Charakter des Spiels folgt.

Im 15. Brief der Abhandlung „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ erklärt Friedrich Schiller: „Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Und wir spielen, wo wir nur können: im Sport, in der Kunst, im Club und im Casino, wenn wir verliebt sind oder wenn wir nicht einschlafen können.

In seiner Performance „Game Theory“ zeigt uns Joshua Monten eben diese verschiedenen Möglichkeiten des Spielens. Spiel als Sport, als Artistik, im Wettkampf, im Club, als Spiel mit gesellschaftlichen Regeln, und als tierischer Kampf auf Leben und Tod. 

Während wir das Studio betreten sind zwei Badmintonspielerinnen bereits mitten im Spiel. Ihre Schuhe quietschen und sie keuchen vor Anstrengung. Drei weitere Tänzer*innen kommen hinzu und das Stück startet mit einem Federballschlag ins Publikum. Zu klassischer Musik werden Sportbewegungen imitiert und in einer klar choreographierten Gruppenperformance als Sportballett inszeniert. Und wir dürfen ein bisschen Rätselraten: ich sehe Kampfsportarten, Tennis, viele Bälle, die aufgefangen, abgewehrt und verpasst werden und eine gemütliche Joggingrunde. Jemand hat gewonnen! Den Zuschauer*innen in der ersten Reihe werden die Hände geschüttelt (trotz Corona) – nächste Szene! Eine Tänzerin übt nervös zappelnd im Licht eines runden Spotlights mit einem Hula-Hoop-Reifen. Zwischenapplaus! Nächste Szene! 

Was erst an eine Zirkusvorstellung erinnerte, suggeriert ab jetzt Wettkampfsport: Zwei Paare befestigen die Enden zweier langer Gummibänder an den Beinen von Zuschauer*innen und es beginnt ein überdimensionales Hexenspiel, das in getanzte Figuren transformiert wird. Welches Team tanzt die schöneren Figuren? Die choreographischen Formen werden zunehmend komplexer, komplizierter, verheddern sich, bis ein Gewinner ausgerufen wird. Zwischenapplaus! Nächste Szene! Neues Spiel! Neue Spielregeln! Hüftenschwingende Tänzer*innen samt Casanova  imitieren einen Clubtanz, der in eine wütende Prügelei umkippt. Weitere kleine Spiele folgen in Form von kurzen Sequenzen – eine clowneske Selbstbefreiungsnummer, Strip Poker, eine artistische Gymnastik-Ball-Darbietung und schließlich eine spielerisch-humorvolle Tierkampf-Szene, die wieder unsere Lust am Rätselraten befriedigt. Auch vor einer Anspielung auf die aktuelle Coronavirus-Pandemie, die die Grenze zum Albernen überschreitet, im Takt von dudelnder Unterhaltungsmusik, wird nicht Halt gemacht. Diese immer kurzatmiger aufeinander folgenden Szenen tröpfeln vor sich hin, bis sie ins Finale münden: Ein solidarisches gegenseitiges Aufhelfen nach dem Fall. 

Aber trotz dieser letzten Szene ist von einer versöhnenden, kollektiven Kraft des Spielens im ästhetischen Spiel wenig zu spüren. Das Thema Spiel bleibt in „Game Theory“ auf einer kindlich-naiven Ebene, auf der es bloßes Spiel und noch nicht Spiel mit dem Spiel ist, hängen.

Schillers Utopie einer spielenden Gesellschaft betonte das Spielerische im Ästhetischen als Ausgleich für einen gesellschaftlich diktierten Utilitarismus und seine egoistische Rationalität. Denn im Spielen steckt diese eigentümliche Mischung aus Wirklichkeit und Phantasie, aus Regeln und Freiheit, aus sinnfreiem, aber sinnlichem Handeln. Im Spiel verschwinden die Grenzen zwischen Innenwelt und Aussenwelt, zwischen dem Ich und den Anderen, Schein und Realität, Zweckfreiheit und Zweck – spielend tun wir das, was wir in der Wirklichkeit nicht zu tun wagen. Darin schwingt aber ebenso etwas Verheissungsvolles wie etwas Bedrohliches.