„blue-sky thinking“, Rubato © Dirk Bleicker

Hoffnung als Möglichkeitsraum

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Tanzcompagnie Rubato feiertmit „blue-sky thinking“ in den Uferstudios Premiere und setzt damit auf eine indie Zukunft gerichtete, nahezu anti-dystopische Kraft: Hoffnung.

Zunächst beginnt der Abend mit einem ungewohnten Gefühl: ich senke das Durchschnittsalter des Publikums. Entgegen meiner sonstigen Wahrnehmung des Berliner Tanz-Publikums sind heute erfreulicherweise viele ältere Menschen in den Zuschauerreihen des Studio 1 in den Uferstudios zu sehen. Nicht verwunderlich, denn die Tanzcompagnie Rubato gründete sich durch Jutta Hell und Dieter Baumann vor sagenhaften 33 Jahren (da war ich also drei Jahre alt) und hat seitdem viele langjährige Wegbegleiter*innen hervorgebracht.

In ihrer neuesten Produktion „blue-sky thinking“, einem von Jutta Hell inszenierten Stück für vier Tänzer*innen und einen Live-Musiker, beschäftigen sich Rubato mit Hoffnung als positivem und kraftvollem Affekt, der – nach dem Hoffnungsprinzip von Ernst Bloch – auf einen anderen, vorausliegenden Möglichkeitsraum weist.[1]

Eine Stärke der Tanzcompagnie Rubato ist, dass sie ihre Thesenhaftigkeit tatsächlich physisch, vom Körper und dessen Bewegungen her denken; damit heben sie sich mittlerweile vom Großteil der eher konzeptlastigen Berliner Szene ab. So versuchen die Tänzer*innen (Anja Sielaff, Alessandra Defazio, Carlos Osatinsky und Dieter Baumann), das kraftvoll-utopische Potential von Hoffnung in ihren Körpern, ihren Bewegungen zu finden: im aufrechten Gang, im nach vorne Greifen, im Vorausgehen, -rennen, -blicken, in den emporschießenden Armen, der tatkräftigen Entschlossenheit ihrer Bewegungen. Eine Collage aus Gesten der Hoffnung – immer wieder in die Höhe und nach vorne gerichtete Arme, Fäuste, greifende Hände – entspinnt sich in einem waberndem Körperhaufen, begleitet von kräftigen Drums und elektronischer Soundcollage (Live-Musik und Komposition: Alexander Nickmann). Die Bewegungsenergie der Tänzer*innen strahlt sichtbar bis in ihre Fingerspitzen und darüber hinaus.

Moderne Tanztechniken haben sich tief in die Körper der Tänzer*innen eingeschrieben: Fast exemplarisch für „modernen Tanz“, wie er auf Berliner Bühnen kaum noch existiert, stehen dabei Bewegungsmuster wie Drehen, Schwingen, Fallen, die dann doch nicht mehr so originell oder themennah wirken… Auch längst nicht mehr selbstverständlich im zeitgenössischen Tanz sind zwischenzeitlich immer wieder auftauchende kleine unisono Variationen, festgelegte Schritte, fliegende Übergänge von Soli zu Partner- zu Gruppenformationen: ein durchlässiges Gruppenbewegungs-Gefüge, das mit gut gearbeiteten Übergängen den Raum auf kluge Weise durchkomponiert.

Verwoben werden außerdem Hoffnungszitate aus Geschichte und Popkultur, wenn die Tänzer*innen dicht zusammen am Boden in Richtung Licht krabbeln und die Klaviertöne von „Imagine“ von John Lennon anklingen. Leise und sacht singen sie den Inbegriff der Friedens- und Hoffnungshymne zum Klavier während sie haufenartig auf dem Boden umherwirbeln; ein rührend-bewegendes Bild. Oder wenn der Raum in oranges Morgenlicht gehüllt wird und sie sich zu nicht entzifferbaren Soundfetzen bewegen, die sich irgendwann als Fragmente der legendären „I have a Dream“-Rede von Martin Luther King entpuppen. Mit diesen Verweisen schaffen Rubato einen hohen Grad an Zugänglichkeit für jung und alt, und tatsächlich überträgt sich etwas: eine utopisch-träumerische Kraft von Hoffnung, auch wenn sie damit zuweilen fast ins Plakative geraten.

Die nicht coole, nicht zu theatrale, eher aufrichtige Haltung der Tänzer*innen ist es, die das Ganze glaubhaft macht, und es ist spürbar, mit welcher Ernsthaftigkeit Rubato ihre Relevanzsuche betreiben. Das erkennbar profunde Körperwissen der Tänzer*innen und die langjährige Erfahrung im roten-Faden-Spinnen tragen dazu bei.

Es ist schon erstaunlich, dass eine frei arbeitende Gruppe sich über 30 Jahre in Berlin in der Freien Szene halten kann, trotz ästhetischer Umbrüche und stetig zahlreicher werdendem Nachwuchs. Wir können froh darüber sein.


[1]     Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, 1954.