Mit „Your Devices“ eröffnete am Freitagabend das Festival „Permanente Beunruhigung“. Das Ballhaus Naunynstraße feiert so 10 Jahre postmigrantisches Theater, ästhetische und kulturelle Diversität und Mut zu Perspektiven jenseits des Mehrheitsdiskurses.
Flucht nach vorn
Angesichts der immer offenkundiger werdenden gesellschaftlichen Brüche: des Erstarkens rechter und konservativer Kräfte in Europa und weltweit, der Gefährdung von marginalisierten Gruppen, der Spaltung der Gesellschaft, zeigt das Ballhaus wie gewohnt künstlerische Perspektiven, die Lebenswelten von Queerness, Feminismus, Black Lives Matter, Diaspora, u.a.in den Mittelpunkt rücken. Eines ist klar: Rückzug ist keine Option, und so wird die „Beunruhigung“ schlichtweg zum künstlerischen Motor gewendet. Die gezeigten Arbeiten im Festival widmen sich allesamt einer nicht gerade einfachen Ausgangslage: die Stücke entstehen in neuen, bisher unbekannten Konstellationen der über 23 Künstler*innen. Unter Ausschluss von Dramaturg*innen oder anderen Außenpositionen treffen sie sich, um zu verhandeln: „Was beunruhigt uns?“ Oder, wird hier der Aufstand geprobt?
Das Festival funktioniert wie ein Labor von Begegnungen: zwei Tage Probenzeit, am dritten und vierten Tag kommt es zur Aufführung. Damit sind insofern auch künstlerische und politische Strategien verbunden: Intimität, Vertrauen, füreinander einstehen, eine gemeinsame Sprache finden. Was will (in dieser kurzen Zeit) wie gesagt werden? Nicht zuletzt wird hier auch das vorherrschende Kunst- und Werkverständnis ein Stück weit verunsichert – in zwei Tagen lässt sich natürlich kein „fertiges“ Stück entwickeln. Angesichts der „permanenten Beunruhigung“ müssen vielleicht neue Geschütze aufgefahren werden.
„Thank you for your cooperation!“
Das Eröffnungsstück „Your Devices“ (eine zweitätige Weiterentwicklung vom ersten Showing 2017) des Performance-Quartetts mit Bishop Black, Fritz Helder, Mmakgosi Kgabi und Dusty Whistles fordert die Zuschauer*innen zunächst zu einem besonderen Gefallen auf: Nachdem wir vor Beginn des Stückes ernsthaft darum gebeten wurden, unsere Mobiltelefone erstens angeschaltet zu lassen und außerdem so laut wie möglich zu stellen, werden nach Betreten des Theaterraums einzelne „Devices“ nach Aufforderung gleich wieder abgenommen. Teilhabe als Abgabe – und weil unsere Mobiltelefone ein verlängerter Teil unseres Selbst geworden sind, steht hier zu Beginn schon mal einiges auf dem Spiel. Überhaupt wirkt das ganze Anfangsbild der Performance wie ein großer, bunter Wirbelsturm. Aufbruchsstimmung in glitzernden Kostümen, zwischen Luftballons und Mülltüten fallen Rosenblätter von der Decke, jemand schmettert eine Opernarie, am hinteren Korridor steht eine mit Obst gedeckte Tafel – das Chaos ist perfekt. Zu zwei Seiten befinden sich riesige Leinwände, auf denen permanente YouTube-Schnipsel ohne erkennbaren Zusammenhang laufen. Die Bilderflut läuft als ständiger Begleiter alarmierend und stumpfsinnig mit und lässt sich nur schwerlich ausblenden – und immer wieder klingelt etwas in den Zuschauerreihen und auf der Bühne und unterbricht das Geschehen. Permanente Beunruhigung.
Zwischen Narzissmus und Zuneigung
„Your Devices“ legt das Augenmerk auf den Imperativ zur unbegrenzten Erreichbarkeit, dem wir heute ausgesetzt sind. Dabei ist es schwierig, dem omnipräsenten Urteil von außen – dem „Like“ als Bestätigung – zu widerstehen. Check noch schnell dein Profil / Hauptsache nicht allein auf Instagram. So laufen die vier Performer*innen gekonnt kokett und überzogen grazil über einen imaginierten Catwalk – die Hand wie zum Spiegel geformt und auf den Bildschirm geheftet, während sie mit dem Rest ihres Körpers ziemlich profane Handlungen andeuten (essen, auf Klo gehen, weiter machen). Typische Geste des 21. Jahrhunderts: die Kamera immer ein Stück von schräg oben aufs Gesicht gerichtet. Die Individuen der post-digitalen Welt sind immer online und lachen mechanisch in die Kamera – alles im Bild.
„Queerness is not yet here“
„Your Devices“ zeigt aber auch die andere Seite der digitalen Vernetzung – als Chance, einander über physische, raum-zeitliche Grenzen hinweg begegnen und unterstützen zu können. Das Internet ist doch auch seit seinem Entstehen Zufluchtsort für marginalisierte Gruppen – Ort der anderen, subversiven Geschichten und des Protests. Die vier Performer*innen stellen hier ihre queere Schönheit zur Schau, versinken miteinander in einem zärtlichen Contact-Körperhaufen am Boden und begegnen sich mit Humor und Zuneigung. Es ist darum schön und ermutigend, ihnen zuzusehen, weil alle vier eine ganz eigene performative Qualität mitbringen, die in ausgelassenen Soli-Einlagen zum Vorschein kommt. Doch ganz so unbeschwert kann es nicht ausgehen: Die Facebook-Profile der Performer*innen werden gescannt – einzeln treten sie an den Bühnenrand für ein Kreuzverhör. Mit der Vernetzung der sozialen Medien wird es nicht leichter, der Kontrolle zu entgehen. Am Ende von „Your Devices“ wird als eine Art Manifest der Beunruhigung ein Text projiziert, der irgendwie alles noch mal auf den Tisch packt: Xenophobie, Nationalismus, die neuen Verschwörungstheorien, die sich ungebremst verselbständigen, der Neoliberalismus, der vereinzelte, erschöpfte Individuen hervorbringt und am Ende eben doch allein lässt. Mmakgosi Kgabi ist mit einem ganzen Stapel Jacken behangen, ihr Oberkörper kippt leicht nach vorn über… Bis sie die Last endlich von sich abstreift, die Disko-Kugel sich wieder zu drehen anfängt und uns in ein unbestimmtes Ende entlässt. Denn, wie sie sagen: „Queerness liegt in der Zukunft“ – Queerness ist noch nicht unter uns, aber wir können nach ihr suchen. So viel Beunruhigung und mindestens so viel Zuversicht sind an diesem Abend beisammen…Auftakt!