„TANZANWEISUNGEN (it won’t be like this forever)“, Moritz Ostruschnjak ©Wilfried Hösel

Hin zu einer größeren Offenheit

TANZPLATTFORM 2022 >>> Moritz Ostruschnajaks „TANZANWEISUNGEN (It won’t be like this forever)“ war das Eröffnungsstück der Tanzplattform Deutschland 2022, die zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor 28 Jahren in Berlin stattfand. Am 16. und 17. März 2022 wurde das Stück im Deutschen Theater gezeigt.

Die Dauer der Aufführung war auf 30 Minuten festgesetzt. Meine Auseinandersetzung mit der Performance begann aber schon viel früher an diesem Abend. „TANZANWEISUNGEN (It won’t be like this forever)“ des Choreografen Moritz Ostruschnjak war beim Eröffnungsabend der Tanzplattform Deutschland 2022 zu sehen. In den Gängen tummelten sich Choreograf*innen, Programmkurator*innen, Kulturschaffende, Produzent*innen und Kulturjournalist*innen. Die Luft war voller Spannung, als Freunde und Kollegen aus dem zeitgenössischen Tanz in Deutschland nach zwei außergewöhnlichen Pandemie-Jahren zusammenkamen. Es gab aufgeregtes „hiiii“-Gequietsche und hochachtsame Begrüßungen. Die Hände waren angespannt, als sie Wege fanden, sich auszudrücken, ohne sich zu umarmen, und die Hälse hielten sich zurück, um sich nicht in Luftküsse zu verwickeln – die Veranstaltung fand weiterhin unter den Einschränkungen von COVID-19 statt. Auf der Bühne trat eine Band auf, die das Geschnatter umspielte. Von meinem Balkonplatz unter dem großen Kronleuchter des Deutschen Theaters in Berlin aus beobachtete ich, wie sich diese Szenen der Freundlichkeiten unter Deutschlands Tanzelite abspielten.

Der Abend begann formell, als die Band ihren Auftritt mit einer Interpretation von John Lennons und Yoko Onos „Give Peace a Chance“ beendete. Mit diesem Toast auf den Frieden wurde das Programm durch bemerkenswerte Reden zweier einflussreicher Frauen aus dem Kulturbereich eröffnet. Laut der Tanzplattform-Broschüre war die eine Rede ein politisches Grußwort und die andere ein unpolitisches. In beiden Reden wurde die Widerstandsfähigkeit der Performance-Macher*innen Deutschlands hervorgehoben, die trotz der COVID-19-Pandemie reichlich und innovativ weitergearbeitet haben. Diese Bewunderung für die Widerstandsfähigkeit wurde mit einem Hinweis auf den Krieg in der Ukraine fortgesetzt. Ich habe den Reden entnommen, dass beide Ereignisse – die Pandemie und der Russisch-Ukrainische Krieg – zu gemeinsamen Erfahrungen und Emotionen in der Tanzszene geführt haben sollen. In einer der Reden wurde auch behauptet, dass sich seit dem 24. Februar 2022 – dem Tag des ersten russischen Einmarsches in die Ukraine – etwas grundlegend geändert habe. Ich dachte einen Moment lang über dieses angebliche Gefühl der grundlegenden Veränderung nach und fragte mich, ob all die Erschütterungen in anderen Teilen der Welt nicht auch hier auf dieselbe Weise empfunden worden waren.

Mit dieser Einstellung begab ich mich in die Aufführung von „TANZANWEISUNGEN (It won’t be like this forever)“, die kurz darauf begann. Der Tänzer Daniel Conant nahm seine Position in der Mitte der Bühne ein und begann nach einer dramatischen Pause, mit seinen Füßen zu stampfen, in die Hände zu klatschen und mit seinen Oberschenkeln und Knien zu klopfen, um rhythmische Variationen zu erzeugen. In den Aufführungshinweisen heißt es, dass es sich dabei um Schuhplattler handelt, eine Form des Volkstanzes aus dem Ostalpenraum. Im Laufe der nächsten Minuten beschleunigte sich das Tempo von Conants Schlägen allmählich, so dass ein hypnotisierendes rhythmisches Muster entstand. Gerade als ich sein schweres Atmen bemerkte, lief eine Person mit einem Schild quer über die Bühne. ‚NEWS: It won’t be like this forever‘, stand auf dem Schild, was dem Publikum Gelächter entlockte. Diese Behauptung auf einem einfachen, handgeschriebenen Schild beruhigte mich. Ich wollte glauben, dass diese Situation hier auf der Bühne – ein Körper, der sich zu meiner Unterhaltung abmüht, und der Krieg, von dem in den Nachrichten berichtet wird – nicht ewig andauern würde.


Fotos: Daniel Conant in “TANZANWEISUNGEN (It won’t be like this forever) von Moritz Ostruschnjak ©Wilfried Hösel 


Conant tanzte weiter, als wäre er ein Aufziehspielzeug, das von automatischen Zahnrädern angetrieben wird. Er wechselte zu Bewegungen aus anderen Tanzstilen wie dem Shuffle und dem Walzer. Seine Bewegungen waren irgendwie mechanisch, ihre Qualität blieb unverändert, auch wenn er von einer Tanzform zur anderen überging. Es schien mir, als ob er von einer anderen Kraft geleitet wurde, die seinem persönlichen Bewegungswillen vorausging. Vielleicht befolgte er lediglich eine Reihe von Tanzanweisungen? Aber wer gab ihm diese Anweisungen?

Während ich diese Beobachtungen machte, bemerkte ich nicht mehr die Energie, die Conant sichtlich in diese Bewegungen steckte. In diesem Moment kam, natürlich, der Nachrichtenmann (Moritz Ostruschnjak) mit einem Schild vorbei, auf dem genau das stand – “NEWS: After a while we will stop thinking about it‘. Hatte ich schon aufgehört, darüber nachzudenken? Hatte ich Palästina, Sudan, Irak, Afghanistan, Syrien und Kaschmir wirklich vergessen? Könnte ich sie jemals vergessen?

Auf der Bühne fuhr Conant fort, sich in verschiedene Bewegungen aus dem gesamten Tanzkanon zu verrenken. Ich bemerkte einige Bewegungen, die wie Tai Chi aussahen, neben Imitationen von Ballettposen. Vielleicht gab es einen Ausschnitt aus einem Werk von Pina Bausch und einen weiteren Lauf im Gaga-Stil über den Boden. Die automatisierte Qualität seiner Bewegungen schien eine Art ironischen Kommentar zum Kanon zu implizieren, was bei einigen Zuschauer*innen zu Gelächter führte. Manchmal, wenn ich etwas verstand oder erkannte, lachte ich mit. Meistens habe ich aber nicht gelacht.

Im Kontext der Tanzplattform 2022 habe ich mich gefragt, wer das Zielpublikum von Ostruschnjaks Performance war. Machte es einen Unterschied, ob das versammelte Publikum zu einer „In-Group“ gehörte, die mit dem Tanzkanon vertraut war oder nicht? War dies ein wesentlicher Faktor für die Vermittlung von Ironie und Humor? Wurde ein Gefühl der Resonanz erzeugt, indem ein Gefühl der Ähnlichkeit zwischen den Zuschauer*innen geschaffen wurde – dass sie etwas gemeinsam hatten, was ihnen half, die gleichen Ideen zu verstehen? War es dasselbe Gefühl der Ähnlichkeit, das auch Empathie und Fürsorge speziell für die ukrainischen Flüchtlinge in den Nachrichten erzeugte?

Als ich an diesem Abend das Deutsche Theater verließ, erinnerte ich mich an die vorherige Rede. Die Rednerin hatte auf eine größere Offenheit im Tanzschaffen gehofft. Auch ich erhoffe sie mir – eine größere Offenheit.

Übersetzung ins Deutsche von Alex Piasente


“TANZANWEISUNGEN (It won’t be like this forever)” von Moritz Ostruschnajak wurde zur Offiziellen Eröffnung der Tanzplattform Deutschland 2022, veranstaltet vom HAU Hebbel am Ufer, im Deutschen Theater gezeigt. Vom 16. bis 20. März 2022 versammelt das Festival in Berlin 13 aktuelle und bemerkenswerte Positionen des tänzerischen und choreografischen Schaffens. Das gesamte Festivalprogramm mit Veranstaltungsterminen, Spielorten und Informationen zum Kartenkauf findet aich auf tanzplattform2022.de

Weitere Vorstellungen von TANZANWEISUNGEN (It won’t be like this forever) finden am 17. März 2022 um 18.00 Uhr und 20.30 Uhr im Deutschen Theater statt.


Choreografie: Moritz Ostruschnjak / Choreografische Mitarbeit: Daniela Bendini / Tanz: Daniel ConantDramaturgische Beratung: Carmen Kovac / Licht: Benedikt Zehm / Kostüm: Daniela Bendini, Moritz Ostruschnjak / Produktion: Lara Schubert / PR: Simone Lutz.