„Butching Cowboys“, Anajara Amarante ©Mayra Wallraff

Geschützte Räume

Im Rahmen des Queering the Crip, Cripping the Queer Festival vom 15. bis 17. September 2022 präsentierten die Sophiensæle Anajara Amarantes „Butching Cowboys“ mit der Schaffung eines intersektionalen queer-crip Raumes und als Performance modellierter Care für alle sich in ihm Aufhaltenden.

Wir stehen vor dem Theater, auf den Einlass wartend. Die Freundin einer Freundin, eine momentane Begegnung, zeigt sich erleichtert. Dies ist ein queerer Raum. Gerade war they noch Gast eines wissenschaftlichen Symposiums, gezwungen, sich gegen diverse chauvinistische und rassistische Übergriffe zu wehren. Jetzt lockt Entspannung. Dass they mir, einer Fremden, vertraut, mir das so en passant erzählen kann, ist bereits angenehme Konsequenz der Ankündigung dieses behüteten Raumes als solchem. Wie they stehe ich hier, vor dem Theater, wie they bin ich Signatorin des kleinen Vertrages, den wir mit dem Ticketkauf für ein Festival mit dem Titel Queering the Crip, Cripping the Queer geschlossen haben.

„Butching Cowboys“ beginnt langsam. Das Bühnenbild evoziert eine Art Kinderzimmer. Mit blonder Perücke, im Habit der Hausfrau, stöckelt die Choreografin und Performerin Anajara Amarante auf High Heels durch den Raum – die Kantine der Sophiensæle –, sich vorsichtig vortastend, als könnte sie fallen. Sie verteilt Stofftiere, während wir der ruhig-beruhigenden Stimme lauschen, die das Intro vorliest, Worte, die auf Papier gedruckt durchaus konfrontativ klingen könnten. Ein Angriff zielt mehr oder weniger direkt auf (Cis-Männer liebende Cis-)Frauen wie mich im Publikum: Die Straighten werden heute Abend geoutet, sagt die Stimme. Doch ich fühle mich nicht geoutet, fühle mich nicht angegriffen. Ich empfinde nur Freundlichkeit mir gegenüber, allen gegenüber, die heute hier versammelt sind.

Zwischen Plüschtieren und Plastikblumen entwickelt sich eine Szene, die die Brutalität einer aus den heteronormativen Tropen von Männlichkeit und Weiblichkeit geformten Beziehung vor den im Hintergrund projizierten Videoclips – TV-Bilder aus Südamerika – gleichsam karikiert. Anschließend erklären die Performenden die Cowboys für erledigt und wechseln ihre Hetero-Klamotten. Das Kinderzimmer erwacht zum Leben, die Bühne füllt sich mit wirbelnden Regenbogen-Cowboys/-Cowgirls/-Cowleuten auf Steckenpferden, mit Konfetti als Munition und Bananen als Pistolen. Trotz der po-freien Hosen und dem unvermeidlich suggestiven Verzehr der Waffenbananen bleibt die Anmutung kindlicher Unschuld. Im Zentrum der Performance steht die Exegese der Amarant‘schen Kindheit, die Erwartungen, Vorurteile und Bedrohungen, die they die Identität absprachen und die Realität des Körpers leugnen sollten. Während der sich damit unmittelbar befassende Text auf Papier tatsächlich konfrontierend und wütend ist, vermittelt mir die Performance vor allem ein Gefühl von Sehnsucht, ja Nostalgie – nicht mit Blick auf das, was war, sondern auf das, was hätte sein können, wäre Amarantes Kindheit ein besser geschützter Raum gewesen. Wenn der reale Raum dieses Kindes in Brasilien eher so gewesen wäre, wie das Kinderzimmer dieser Performance, in dem wir uns heute, an einem Septemberabend in Berlin 2022 gemeinsam aufhalten. 

Theater lebt von der Gestaltung von Gelegenheiten der Zusammenkunft, des Zusammenseins, mit eigenen Regeln, Erwartungen und Bedingungen, und ist damit quasi natürlich geeignet, sichere/geschütztere Räume zu schaffen, zumindest oberflächlich betrachtet. Letztlich handelt es sich dabei um die Umwidmung oder Zweckentfremdung einer Institution, und wir müssen angesichts der Transferenz skeptisch und vorsichtig bleiben, denn Friktionen und Widersprüche entstehen auch auf dem Niveau der tatsächlich realisierten Räume, die sich auch als queere oder crib Räume voneinander unterscheiden. Die „Butching Cowboys“ des Festivals sind gleichwohl ein Versuch, beides zu schaffen, und ich empfinde ganz stark die Intention, Schutz zu bieten, Fürsorge zu sein. Care – das Behütende, der Schutz – kann durchaus in Konfrontation münden. Wahrer Schutz, wahre Fürsorge erfordert oft genug Zurückweisung, heftige Abwehr gegen Gewalt und Hass. In sicheren/geschützteren Räumen wie diesem bleibt Gewalt – so die Vereinbarung – außen vor, damit ihre Spuren, die wir alle auf die eine oder andere Weise tragen, hier keine Wirkung zeigen.

In diesem Konstrukt erscheint mir die Konfrontation fiktiv, doch Care – Schutz, Fürsorge – fühlt sich hier sehr real an. Der Höhepunkt der Performance ist eine Tanzparty, die Amarante und ihre Mitperformenden Tizo All und Suzanne Stavast für uns gestalten. Wir sollen uns mit ihnen bewegen, von unseren Plätzen aus. Amarante unterbricht für einen Augenblick Stavasts Erläuterungen zu diesem Move. „Ich bin müde“, sagt they. „Kann ich es auf dem Boden machen?“ – „Natürlich,“ ruft Stavast ins Mikrofon. „Dies ist heute die dritte Vorstellung,“ sagt Amarante uns, dem Publikum. Eine Erklärung, keine Entschuldigung.  Dann tanzen Amarante und Stavast: Sie bewegen einen Teil des Körpers, weisen dabei auf ihn, holen ihn ins Scheinwerferlicht – ein Knie, eine Fessel, ein Fuß, ein Bauch, eine Nase. Alle könnten das, jede*r könnte mittun. Es scheint Spaß zu machen, ich glaube, ich möchte es auch versuchen. Die Einladung hängt jedoch in der Luft. Nur die wenigsten Zuschauenden folgen ihr. Ein paar von uns wackeln mit den Zehen oder nicken im Rhythmus der Beats. Maximal. Die zurückhaltende Reaktion auf den Höhepunkt der Show hat vermutlich nichts mit dem Gefühl von (Un-)Sicherheit im Saal zu tun. Im Gegenteil: Wir sitzen bequem auf unseren Plätzen, verwöhnt von unseren performenden Gastgebenden. Es würde einen kleinen Schubser brauchen, damit wir uns in diesem Setting regen. Vielleicht beim nächsten Mal. Wenn wir wieder tanzen wollen.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


„Butching Cowboys“ von Anajara Amarante feierte am 15. September 2022 in den Sophiensælen Premiere.

Das Festival Queering the Crip, Cripping the Queer findet in den Sophiensaelen statt, in Kooperation mit dem Schwulen Museum, das die gleichnamige Ausstellung vom 1. September 2022 bis 30. Januar 2023 präsentiert und die Fantasie des idealen Körpers mit Kunstwerken von 24 internationalen, zeitgenössischen Künstler*innen in Frage stellt.