„Silent Confrontation“, laborgras © Phil Dera

Gemäßigte Schönheit.

Das seit über 20 Jahren existierende Kollektiv laborgras ist eine feste Größe der Berliner Tanzszene. Im Radialsystem präsentieren sie „Silent Confrontation“ und kreieren einen scheinbar harmonischen Raum, der sich am gemäßigten Schönheitsideal der Renaissance orientiert.

Wieder habe ich das Gefühl, ein wenig das Durchschnittsalter zu senken, ähnlich wie neulich während einer Vorstellung der Tanzkompagnie Rubato. Der eher raue und unfertige Charme der Uferstudios des Rubato-Abends steht allerdings etwas im Kontrast zum gepflegten Ambiente des Radialsystems, das heute auch sehr zum Bühnensetting passt: Riesige Wandprojektionen eines Renaissancegemäldes, helle Gassen, aus denen ein Flügel hervorragt, eine Gruppe von Tänzer*innen arrangiert in einer Art Tableau Vivant, Vogelgezwitscher füllt den Raum. Klare Formen, gemäßigte Schönheit.

Im höfischen Tanz der Renaissance galt die stillgestellte Pose als ein Moment der Ruhe, als reflexives Moment innerhalb der flüchtigen Bewegung. So gesehen wandern die Tänzer*innen in regelmäßigem Rhythmus von Pose zu Pose und werden dort zu Figuren des stillgestellten Lebens, die sich an der Grenze zwischen Totem und Lebendigem befinden. Wie im klassischen Tableau Vivant wird die Bewegung im Moment des Stillstands auf reine Bildhaftigkeit geschrumpft.

Die Übergänge von einer Pose in die nächste gestalten die Tänzer*innen eher formal, in immer gleichbleibender Geschwindigkeit; ein ruhiges Ablaufen von Positionen ohne jegliche Veränderung in Dynamik oder Tempo. Dabei wäre das Interessante vielleicht, den Moment des Übergangs zu beobachten: Was passiert im Moment des Einrastens, des Innehaltens, und wie schaffen es die Tänzer*innen wieder heraus – wie kommen sie vom Bild wieder in die Bewegung? Wie kann sich das scheinbar eingefrorene Bild zu etwas ganz anderem transformieren?

Die Tänzer*innen bleiben jedoch im harmonischen Gleichklang, absolvieren ihre klaren Schrittfolgen, umhüllt von warmem Licht und ruhigen Cembalo-Melodien. Sie verzichten auf Improvisation, die Bewegungsvariationen sind klar begrenzt, jeder Schritt, jede Drehung einstudiert. Dass der einzig männliche Tänzer das erste Solo tanzt, oberkörperfrei, die Haare zu einem geflochtenen Zopf gebunden, während die mit cremefarbenen fließenden Stoffen eingehüllten Tänzerinnen ihm zuschauen dürfen, irritiert kurz.

Ein Fragezeichen hinterlässt zunächst auch die Wahl des Bewegungsmaterials. Eine Reihe von Tanzkombinationen voll mit klassischen Modern Dance-Elementen fügen sich zu einem harmonischen, fast biederen Bild zusammen: Spiralen, Drehungen, Curves, Tilts, Schwünge, Hebungen, Partnersequenzen. Das Tempo bleibt durchweg ruhig und gleichmäßig, die Bewegungen exakt zum Rhythmus der Musik. Diese anmutigen Tanzsequenzen scheinen mit den übergroßen Renaissancebildern an der Wand und den wieder und wieder neu ansetzenden Cembalo-Melodien wie aus der Zeit gefallen.

Insofern ist die tänzerische Bewegung vielleicht als eine konsequente Umsetzung der Renaissancegemälde zu betrachten, und darin auch gelungen: Madonnenartige nackte Frauen und Kinder als Symbol der Unschuld, wohlproportionierte menschliche Körper. Kirchen und Landschaften, antike Säulen und Kuppeln, harmonischer Bildaufbau. Dazu die ebenmäßigen Körperbewegungen der Tänzer*innen, warmes Licht und fast zermürbend wohlklingende Cembalo-Musik. Gerade das Gemäßigte, fast Eingeschnürte hierin bekommt irgendwann etwas Gruseliges, vielleicht weil es keinen Bruch gibt, keinen offensichtlichen Verweis auf das Hier und Jetzt. Ich frage mich, ob es heute reichen kann, einen Raum voller Harmonie und Verweise auf antike Ideale zu zeichnen, an den (scheinbar) keine Fragen gestellt werden. Welche Relevanz kann ein Schönheitsideal der Renaissance heute besitzen?