„Dansöz“, Tümay Kılınçel ©Flavio Karrer

Es gibt keinen Bauchtanz

Mit ihrem Solo-Stück “Dansöz” im HAU3 kehrt Tümay Kılınçel die Klischees und die Zuschreibungen zum Bauchtanz mit scharfer Ironie um und sorgt stets für Überraschung.

“Dansöz“ heißt “Tänzerin” auf Türkisch. Das Wort stammt aus dem Französischen und bezieht sich auf den orientalischen Tanz, der mit einem -nicht nur den Tanz, auch die Tänzerin- reduzierenden Verständnis als “Bauchtanz” bezeichnet wird. Tänzerinnen moderner Tanzschulen nennt man “dansçı”, was auch “Tänzerin” heißt. Nur zwei Buchstaben ändern die ganzen Bilder im Kopf. “Dansöz” ist in der türkischen und arabischen Kultur ein aufgeladenes und entleertes Wort. Für viele der kulturell westlich orientierten Personen in diesen Ländern ist orientalischer Tanz ein Tanz, der eher mit traditionellen Dorfhochzeiten oder Unterhaltungssendungen im TV in Verbingung gebracht wird. Er ist sexualisiert und exotisiert und wird weder von der Gesellschaft noch von den Autoritäten als eine ernst zu nehmende künstlerische Ausdrucksform erachtet. Kaum jemand redet von der Technik und der Körperbeherrschung, die er benötigt. Und dann gibt es eine Stadt wie Berlin, wo so viele Fraueninstitutionen  “Bauchtanz” für “Empowerment”, “Fitness” oder “Heilung” anbieten. Und dann gibt es auch die Leute, die sich einbilden, als Türkin oder Araberin liegt einer dieser Tanz im Blut.

Tümay Kılınçel ist keiner dieser Gedankenwelten zugehörig. Sie ist eine Frau türkischer Herkunft, die in Deutschland lebt und sich mit zeitgenössischem Tanz beschäftigt. Eine Geschichte, die sich im Stück mehrmals wiederholt, erzählt von der Faszination und Irritation, die eine orientalische Tänzerin in ihrer Kindheit in ihr ausgelöst hat. Bei “Dansöz” ist ihr Blick auf den orientalischen Tanz jedoch ein fragender, mehr fremd als vertraut. Sie will herausfinden, was diesen Tanz jenseits des kolonialisierenden, sexualisierten Blicks und jenseits kitschiger Assoziationen ausmacht. Und sie ist dabei nicht frei von Scham -wie Kılınçel im Gespräch nach der Vorstellung erzählt-, weil dieser Tanz zu viele Stereotypen produziert. Aber genau die Überwindung dieser Scham gibt dem Stück eine ganz eigene Dynamik, die sich zwischen Widerstand, Selbstbestimmung und Unsicherheit hin- und herwälzt.

“Dansöz” ist mit vielen Wörtern, Requisiten, Irritationen und Überraschungen ein hochenergetisches Stück. Es besteht aus kurzlebigen sketchartigen Teilen. Die Live-Musik von Leila Moon wechselt zwischen traditionell und zeitgenössisch sowie zwischen den Kontinenten. Das Licht wechselt zwischen aufdringlich und verhüllend, der Kontakt mit dem Publikum zwischen Humor und Konfrontation. Und die Sprache zwischen Deutsch, Englisch und Türkisch. Kılınçel nimmt dem sogenannten Bauchtanz seine Rolle als Befriedigung des männlichen Blicks und lässt den Körper für sich sprechen. Und das nicht nur im metaphorischen Sinne. Gegen Anfang des Stücks sehen wir in der Dunkelheit einzelne Körperteile tanzen. Ein Lichtspiel lässt dann auf dem Bauchnabel der Tänzerin einen Mund entstehen, der uns erzählt, dass das, was er darstellt, kein Bauchtanz ist. Dieser Tanz, bei dem es um die isolierte Bewegungen einzelner Körperpartien geht, könnte auch Schultertanz oder Hüfttanz heißen.

Nicht nur ihr Körper, auch Kılınçel redet im Stück viel. Sie zählt viele Zuschreibungen um diesen Tanz, um die Rollen eines Menschen, einer Frau auf: Ausländerin, Arbeiterin, Rassistin, Alkoholikerin, Hure, Arabische Prinzessin… Alles was sie ist und nicht ist. Dann kehrt sie diese Stereotypen Stück für Stück um. Die Tänzerin ist diejenige, die das Scheinwerferlicht auf das Publikum richtet. Sie ist diejenige, die die Geldscheine auf uns wirft (traditionell wirft oder klebt man die Geldscheine auf den Körper der orientalischen Tänzerin). Sie fragt uns, ob wir in Gefahr sind, statt von uns als ein angreifbarer Körper gesehen zu werden.  Dabei steht ihr immer ein Stapel bunter Requisiten zur Seite. Er ist wie eine Wundertüte, in der sich nicht nur viele bunte und irrsinnige Kleidungsstücke, sondern auch ein Helm, ein Megafon, ein Plastikrohr, ein Mikrofon befinden. Kılınçel schiebt diesen Stapel hin und her und findet immer was Neues darin, was sie dann zur Überraschung des Publikums in ihren Tanz und ihre Erzählung integriert, um den orientalischen Tanz mit ungewöhnlichen Bildern zu verdrehen.

Diese Requisiten und deren Ironie wirken aber gleichzeitig wie ein Versteck oder eine Ausrüstung, hinter der sich Kılınçel unsichtbar und unantastbar macht. Für die gesamte Dauer des Stücks ist sie darum bemüht, die Erwartungen des Publikums abzuweisen und dem zu widerstehen, was sie nicht ist und was dieser Tanz nicht ist. Wir kriegen einen Eindruck davon, was Kılınçel von den Klischees um diesen Tanz hält, aber nicht davon, was sie von diesem Tanz selbst hält und was dessen Techniken für ihre Körpersprache als Tänzerin bedeuten. Das Stück ist defensiv, trotzdem oder deswegen ist neben der starken Frau auch das Unbehagen und die Verlegenheit eines Kindes zu spüren, das nicht gesehen werden möchte. Zum Beispiel wenn Kılınçel dem Publikum mehrmals ihre Zunge rausstreckt und klar macht, dass das nicht sexy oder verführerisch sein soll, was sie zeigt. Das stark Defensive hindert das Stück an Vollständigkeit, schwächt aber seine Aussage nicht, weil Kılınçel ihre Fragen und Unsicherheiten offen kommuniziert und verspielt mit ihnen umgeht. Sie erwähnt später, dass die Forschung zum orientalischen Tanz für sie mit diesem Stück erst angefangen hat, und dass ein neues Stück zu dem Thema ganz anders aussehen könnte. Bei “Dansöz” ist sie selber eine Suchende wie ihr Publikum, das sie mit seinen Erwartungen konfrontiert.