„Petra“, Berit Einemo Frøysland ©Underskin Photography

Ein formbarer Körper für den voyeuristischen Blick

Bei der Premiere ihres ersten Solo-Stücks “Petra” im DOCK 11 macht sich die Choreografin/Tänzerin Berit Einemo Frøysland auf die Spuren von Petra von Kant, ein Charakter aus dem Fassbinder-Universum zwischen Glanz und Leid.

Eine grosse Heuchlerin, die ihr Glück vortäuscht, einsam, Spiele spielend, die nur in Scham münden. Der Text des Songs “The Great Pretender” von The Platters – auch im Fassbinder-Film “Die bitteren Tränen der Petra von Kant” zu hören – sind die einzigen Worte, die Berit Einemo Frøysland bei ihrem Solo-Stück “Petra” von sich aus gibt. Die Wörter einer still angenommenen Verzweiflung, des Selbstmitleids. Gesungen von einer Künstlerin, die in ihrer knallroten Bluse glänzt und inmitten des Klischees vom traurigen Clown verweilt. Bis sie anfängt, sich rastlos zu bewegen, um die Welt der Petra von Kant zwischen Pracht und Gebrochenheit zu entschlüsseln.

Das Melodram aus dem Jahr 1972, die Inspiration hinter dem Stück, ist einer der Fassbinder-Filme mit internationalem Kult-Status. Er läuft längs der Grenze des Pathetischen, ohne ins Peinliche oder Absurde zu kippen. In seinen überdramatisierten und langen Aufnahmen in Anlehnung an den Glamour Hollywoods und die Schönheit der Skulpturen der Antike, steckt mehr als eine Modenschau leidender Seelen. Nicht seine Aussagen über Abhängigkeiten jeglicher Art oder die Unmöglichkeit des Besitzes einer Person macht ihn heute immer noch relevant. Auch nicht die bedrückende Gefangenschaft der Frau im goldenen Käfig, die eher Sexismus-Vorwürfe herbeiführte. Vielmehr deutet der Film auf die (Macht-)Verhältnisse der Menschen miteinander, mit Objekten und mit ihren Körpern, wobei das Räumliche und das Innerliche symbolisch füreinander stehen. Und das macht diesen Film, der auf dem gleichnamigen Theaterstück von Fassbinder basiert, für die Bühne noch heute interessant. Und das gilt sogar für Berit Einemo Frøysland, eine Vertreterin einer Generation, die zumeist lieber Geschichten der Ermächtigung erzählt, statt einer seelischen Klaustrophobie.

“Wen du begreifst, den musst du nicht bedauern”, sagt Petra von Kant in einer Szene zu ihrer Cousine Sidonie. Auch Frøyslands Annäherung an den Film, scheint von einem Versuch des Begreifens getrieben zu sein. Petra von Kants Wesen ist der Ausgangspunkt, um zu verarbeiten, was die Darstellung des als schön und feminin Empfundenen prägt. Auf der Bühne und in den Gesten von Frøysland sehen wir viele mehr oder weniger deutliche Hinweise auf den Film, der nur in der Wohnung von Petra von Kant spielt. Das klingelnde Telefon, das Halten des Spiegels, die Wasserflasche, das Gemälde “Midas und Bacchus” von Poussin auf der Bluse der Tänzerin, ihre Körpergestik. Das Stück folgt allerdings weder der Reihenfolge der vier Akte des Films, noch gibt Frøysland die Körpersprache der Filmprotagonistin in einem erzählerischen Zusammenhang wieder. Sie macht sich diese Sprache zu eigen, um sie dann in zahllosen Variationen der Reduzierung und Übertreibung zu erproben, zu de- und rekonstruieren. Dabei wird sie manchmal von den taktgebenden oder aus dem Takt bringenden Klängen von Philipp Rhensius, manchmal von der melancholischen Filmmusik aus der Zeit um die 60er Jahre begleitet.

Die primitiven Affekte der Petra von Kant, in elegante Aphorismen gehüllt, und ihre heftigen Stimmungsschwankungen lösen sich auf der Tanzbühne in einem endlosen Wechsel der Posen auf. Im Sekundentakt gelingt das der norwegischen Tänzerin, die gleichzeitig als Model arbeitet und mit den inneren Strukturen der Mode-Industrie vertraut ist. Sie demonstriert, wie kleine Gesten große Wirkungen auslösen und wie Bewegungen von großer Theatralik ins Leere laufen können. Jede Drehung ihres Kopfes, jede Hebung ihrer Hand, jede Beugung ihres Körpers produziert ein neues Bild, eine neue Botschaft. Jedes Körperteil hat ein Eigenleben und widersteht der Beherrschung seiner Besitzerin. Je mehr ihr Körper in einer Leidenschaft für die Form aufgeht, desto weiter entfernt sich Frøysland von den Idealbildern der Schönheit. Mit ihren verknoteten Armen und Beinen sieht sie eher aus wie ein Freak-Show-Artist. Auf den Fußspitzen wirkt sie nicht groß, sondern fragil. Auf allen Vieren wirkt sie mehr wie ein Insekt als eine Frau.

Die Anstrengung der ständigen Darstellung verrät ihr Blick nicht, der den Kontakt mit dem Publikum sucht. Die Spannung in ihren Muskeln verrät sie. Trotz dieses fixierten Blicks hat das Publikum keine leblose Schaufensterpuppe vor sich und keinen montierten Roboter-Körper. Ihr Körper ist wie aus einem Material, das man immer wieder neu formen kann. Wie eine gelenkige Spinne, die sich unermüdlich ein zu Hause baut. Es ist spannend und ermüdend, ihr zuzuschauen. Diese Ermüdung lohnt sich, wenn Frøysland immer mehr aus der Petra von Kant in ihr herausbricht. Eine totale Befreiung von ihr scheint aber unmöglich zu sein, denn wofür bei dem Film die stille, unterwürfige Marlene und die Kamera des Regisseurs stellvertretend waren, nämlich den bedeutungsgebenden und beurteilenden voyeuristischen Blick, ist es hier das Publikum. Und Frøysland sucht die Reaktion des Publikums, das sie als einziges vor einer Vereinsamung schützen kann. Wie die Marlene im Film, ist es das Publikum, das am Ende ohne große Konsequenzen aufstehen, gehen und sich ein anderes Leben/ein anderes Stück suchen kann. Die Einsamkeit der Tänzerin auf der Bühne hebt die Bedeutungsebene der Beziehungen zwischen Kunst, Kunstobjekt und Betrachtenden hervor, welche über die einzelnen Schicksale der Menschen hinausgeht.