„VIBRATIONS, TRANSLATIONS“, Slim Soledad ©Mayra Wallraff

Erde. Wasser. Feuer. Roter Mond. – “The same way I miss nothing I miss everything.”

TANZTAGE BERLIN 2023 >>> Die Künstlerin Slina da Soledade aka Slim Soledad und ihre Gäste hatten am 14. Januar 2023 in den Sophiensælen Premiere.

Zwei Texte von Diana Schümann und Elina Pantsyr


Erde. Wasser. Feuer. Roter Mond.

Assoziationen auf Empfindungsebene.

Text: Diana Schümann

Das Nachwuchsfestival Tanztage Berlin 2023 präsentiert „VIBRATIONS, TRANSLATIONS“ von Slim Soledad in den Sophiensælen – Eine Begegnung von Musik, Performance und Tanz, die rituelle Prozesse der Übersetzung zwischen Klangschwingungen und Körperbewegungen untersucht. Die Performance erforscht die Musik als eine Möglichkeit, die Konflikte zwischen dem „Menschlichen“ und dem „Spirituellen“ zu lösen: die Verflechtung zwischen materieller und immaterieller Erfahrung der Welt.

Das Stück hat noch nicht begonnen. Elektronische Klänge heißen jede*n Eintretende*n willkommen. Nebel schwirrt umher, wie die vorbeiziehenden Menschen, die sich einen Platz suchen. Der rote Mond hat mich bereits in seinen Bann gezogen.

Warum kommt mir dieses Rot – dieses satte, wohlige, warme Rot – so vertraut vor? Es ist als kennen wir uns bereits – aber woher?

Während ich mich seinem Anblick kaum noch entziehen kann und immer weiter zu ihm hingezogen werde, nehme ich Umrisse vor ihm wahr.

Ich sehe kreisförmig angehäufte Erde, aufeinander gestapelte Steine und die Konturen von vier Menschen an unterschiedlichen Orten im Bühnenraum sitzend. Schimmert dort Wasser in dem Kreis aus Erde?

Und wieder dieses satte Rot – ich tauche in ihm ein und versinke in ihm. Woher, woher kommt es mir so vertraut vor. Hat sich gerade einer der Umrisse bewegt?

Das Licht geht aus – gemeinsam mit den Performer*innen taucht das Publikum ein in Klänge, sich verdichtenden, doch niemals nähernden Nebel, in ein nicht zu enden scheinendes warmes rotes Meer.

Ich atme die Klänge ein. Atme durch sie – atme mit ihnen. Endloses Rot. Ein Baum trägt Zitronen. Nebel zieht über die bepflanzte Erde, erreicht die Zuschauenden aber nicht. Die Performer*innen strecken jeweils ihre Hände zueinander aus, weichen aber jedes Mal wie der Nebel zart zurück.

Sein. In der Art und Weise wie die Performer*innen sich bewegen und somit artikulieren erinnert es an einen Ort des Seins, der, obwohl er Vergangenheit enthält diese nicht bewertet und dennoch strebt etwas Neues aus dem existierenden Sein zu kreieren. Zu schaffen. Der*Die Performer*in am Wasser geht rückwärts doch drehen die anderen sich in ihren Bewegungen, wie Elemente, vorwärts – wenn es denn ein Vorwärts gibt, denn hier scheint das Hier und Jetzt einen Ort zu assoziieren, der Materie verbindet, in Form und Bewegung bringt und manifestiert, wie Nebel, der in dichten Schwaden hinüberzieht und dennoch bleibt.

Der Mond. Der wunderschöne rote Mond, dessen Bann ich mich nicht entziehen kann. Dieses Rot – das ich aufsaugen, schmecken und fühlen will, wie die Musik, die durch meinen Körper dringt und mich eins werden lässt mit den Tanzbewegungen deren Umrisse zerrinnen, verschmelzen, sich neuformieren und in Elementen manifestieren, die mir teilweise vertraut sind:

Zwischen den Klängen ertönt Gesprochenes Wort. Obwohl es in Englisch ist, habe ich Probleme zu folgen, zu verstehen. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass ich die am Eingang bereit gestellten Ohrstöpsel trage. Später nehme ich Portugiesisch wahr. Obwohl ich kein Portugiesisch spreche oder gar verstehe, manifestiert sich das Gesprochene in Bewegung vor meinen Augen und es ist als könne ich den Worten, in Bewegung folgen: Die Performer*innen, als Elemente sollen sich vereinen (?)

Eine immer wiederkehrende Sprache, die mir (physisch) vertraut ist, wiederholt sich mehrfach: Voguing.

Ein gemeinschaftliches Erleben, ein Spielen und Materie manifestierend durchdringend, bis sich der Ton ändert und ein Orange sich nähert. Die Bühne taucht ein in organgenes Licht, das nun auch die Bewegung der Performer*innen zu diktieren scheint. Ein Orange, das sich im Staccato aufsaugend dringlicher werdend in Bewegung aufreibt und die Dringlichkeit nun in Not übergehende Weise erzählt. Eine Nuance, die erzählt werden muss, denn es kann nicht nur alleine Rot geben, dass sich in warmen Bewegungen manifestiert und wieder löst vom Spiegelbild des Anderen. Wenn das Orange erlischt, aber nicht nachgiebig, dann erscheint die Assoziation von Grün und Wasser. Das zerrinnt zwischen den Händen der Performer*in.

Und obwohl sie einander brauchen, um den Baum zu tränken – ein Baum braucht Wasser (?) – so nähern sie sich nicht, die Performer*in am Wasser kniend und die Performer*in am Zitronenbaum sitzend, fixiert auf diese, verlassen ihre Orte nicht. Als gäbe es ein unausgesprochenes Verbot, nicht vom Zitronenbaum zu essen, und doch hält die Textur des Basses ihn am Leben, nährt ihn oder ist es umgekehrt? Denn der Bass ertönt, sobald sich die Performer*in ihm mit dem Gesicht, den Händen und Füßen nähert? Verbrennt man sich die Finger an dem satten Grün seiner Blätter?

Slim Soledad, Alada und Black Pearl de Almeida Lima und ein*e namentlich nicht im Abendzettel aufgeführte*r vierte*r Performer*in, schaffen ein physisch erfahrbares Universum aus Sound, Textur, Farben. Schaffen eine Atmosphäre, mit und durch Stimme und Sound, zeitgenössischem Tanz, Voguing, aus der ich nicht mehr heraus möchte. Seitdem ich eingetaucht bin, möchte ich in diesem Universum schwimmen, verweilen und wünsche mir, dass es niemals endet.

Am Ende bleibt die Frage: „War das alles nur ein Traum“?

Fotos: „VIBRATIONS, TRANSLATIONS“ von Slim Soledad  ©Mayra Wallraff


“The same way I miss nothing I miss everything.”

Text: Elina Pantsyr

Die Künstlerin Slina da Soledade aka Slim Soledad und ihre Gäste präsentierten im Rahmen der TANZTAGE BERLIN 2023 in den Sophiensælen ihre multidisziplinäre Arbeit „VIBRATIONS, TRANSLATIONS“ über rituelle Praktiken in einem Dialog zwischen Tanz und Musik.

Teil 1: Magie

Roter Mond schaut mich geheimnisvoll an. 

Sein Licht schneidet vier Silhouetten aus dem schwarzen Raum aus.

Ein Schrein aus roten Lichtsäulen, die den Boden schlagen.

Feuchtes flüssiges Wasser raucht zwischen mir.

Vor mir. In mir. Um meinen Körper herum.

Drei Welten, die sich überkreuzen.

In einem dreieckigen Kreis.

Und hinter ihm.

Die Bewegungen, die zusammen- und auseinanderfallen.  

Linien. Linien. Linien. Linien. Hüften. Imaginäre Krallen. Linien fließen wie Wasser, das schwül durch den Raum weiterschwebt. Roter Rauch, der aus dem Mond rauskriecht, schleicht um sie herum. Die Bewegungen ziehen meine Augen aus dem Schädel auf die Bühne. Sie kommen nicht mehr zurück. Sie baden in ROT wie in einer Kuscheldecke. In ROT, das hier gar nicht beängstigend wirkt. Oder doch?

Teil 2: Verstand

In „Vibrations, Translations“ arbeitet die in Brasilien geborene Künstlerin Slim Soledad mit drei weiteren Performer*innen, mit knallroten Farben, einem DJ-Pult auf der Bühne, experimenteller elektronischer Musik, Tanz, Sprache und einer riesigen orange-roten Projektion des Mondes.

Zuerst wird dem Publikum die Zeit gelassen, in den Sound einzutauchen. Er erinnert tatsächlich an eine Vibration, die mal aufdringlich schreit, mal wie eine knusprige elektrische Welle die Ohren streichelt. Und als die Tänzer*innen anfangen, sich zu bewegen, kommt es zu einer Verkörperung von Geschichten, die wir nicht verstehen, sondern nur fühlen können. Dramatisch und gleichzeitig subtil. Die repetitiven, sich spiegelnden Bewegungen eines Wesens, das aus zwei Körpern besteht (Slim Soledad und Black Pearl de Almeida Lima), erinnern an ritualisierte Handlungen. Später entwickelt sich das Ganze fast zu einer Ballroom-Performance: Der starke Beat übernimmt den Klang der Musik, die Tänzer*innen lächeln einander und das Publikum an, spielen, haben Spaß. Das Magische, das zuvor aufgebaut wurde, wechselt zum Alltäglichen, was eine*n ansprach und einlud, in die Welt auf der Bühne noch tiefer einzutauchen.

In den Bewegungen von Slim Soledad und der Performerin Black Pearl de Almeida Lima, die der Ballroom Szene und dem Iconic House of Saint Laurent angehört, spiegelt sich eine geschickte tänzerische Mischung aus unter anderem Voguing, Contemporary, Twerking und Modern Dance. Zwischendurch wird gesprochen, und zwar auf Portugiesisch. Wenn aber Englisch zu hören ist, schallt es aus Lautsprechern, in Form einer aufgenommenen männlichen Moderatoren-Stimme. 

Nur die letzten Worte von Slim Soledad, ins Mikrofon zum Publikum gesprochen, wollte sie von allen verstanden haben: „This is a dream come true… The same way I miss nothing I miss everything“. Ein Satz, der sich wie eine gewöhnliche Mitteilung und zugleich wie ein Gedicht anfühlt.

Teil 3: Realität

Es war zu kurz.

Ich möchte die Magie nicht verlassen.

Manches wurde nicht zu Ende ausgeführt. 

Es hätte intensiver werden können.

Und doch war der rote Faden in der roten Welt perfekt.

Es ist zu Ende. 

Ich vermisse es auch, Slim Soledad.

Fotos: „VIBRATIONS, TRANSLATIONS“ von Slim Soledad  ©Mayra Wallraff


Die Performance „VIBRATIONS, TRANSLATIONS“ von Slim Soledad (Konzept, Klang, Regie, Performance: Slim Soledad – Ton, Performance: Alada – Performance, Choreografie: BlackPearl – Bühnenbild, Lichtdesign: Eric Oliveira – Ko-Regie, Lichtdesign, Produktion: Lolla Venzon – Regieassistenz, Bühnenbildassistenz, Produktion: Jô Osbórnia – Dramaturgische Unterstützung: Jette Büchsenschütz) war am 14. & 15. Januar 2023 in den Sophiensælen zu sehen.

Diese beiden Text von Diana Schümann und Elina Pantsyr entstanden im Rahmen der zweitägigen tanzschreiber-Schreibwerkstatt zu den Tanztagen Berlin 2023 unter der Leitung von Agnes Kern und Johanna Withelm, in Zusammenarbeit mit der Dramaturgin Mareike Theile. 

Die Tanztage Berlin 2023 laufen noch bis zum 21. Januar, das Festivalprogramm und Ticketinformationen finden Sie unter tanztage-berlin.sophiensaele.com.