„fun“ lea_moro (c) nelly_rodriguez

Eine Bresche fürs Vergnügen

Sich mit feinem Humor einem zweckgerichteten kollektiven Zeitverständnis zu entziehen, ist die Stärke von Lea Moros Stücken. Dabei mixt die Schweizer Tänzer-Choreografin gekonnt Zitate aus E- und U-Kultur.

Sich mit feinem Humor einem zweckgerichteten kollektiven Zeitverständnis zu widersetzen, ist die Stärke von Lea Moros Stücken. Dabei mixt die Schweizer Tänzer-Choreografin gekonnt Zitate aus E- und U-Kultur. Mit ihrem Terzett „(b)reaching stillness“ etwa hat Moro 2015 augenzwinkernden Widerstand gegen die Beschleunigungskultur geleistet. Inspiriert von barocker Stilllebenmalerei experimentierte sie mit Zuständen von Verlangsamung und Erstarrung. Dazu spielte sie Gustav Mahlers Auferstehungssinfonie und ließ aufblasbaren Plastikpalmen langsam die Luft ausgehen. Auch mit seinem neusten Stück „Fun!“, das (als Berlin-Variante) am Eröffnungsabend des Festivals Tanz im August lief, entzieht sich das Nachwuchstalent dem gesellschaftlichen Handlungs- und Optimierungsdruck. Mit einer Spaß-Herstellungs-Analyse destilliert Moro aus Vergnügungsparks, deren Fahrgeschäften und Schausteller*innen zweckfreie choreografische Prinzipien, die – oftmals als Wiederholung und Variation einer Bewegungsform – Assoziationen auffächern und Bedeutungen verschieben. Fröhliche Energieverschwendung und unaufgeregter Humor sind dabei kein Widerspruch.

Der einstündige Spaß-Parcours beginnt als Warteschleife, ähnlich jener Intros vor großen Rockkonzerten oder hippen (Berliner Konzept-Tanz-)Kunst-Events. Die Köpfe und Oberkörper der ganz in Weiß gekleideten Performer*innen stecken in dreidimensionalen Pappkartonmasken und Schaumstoffröhren. In tollpatschigen und seriösen Posen sitzen, liegen und stehen sie auf der Bühne und wiederholen loopartig einfache Dreh- und Schaukelbewegungen – lebendige Trickfilm-Figuren à la Sponge-Bob, die über ihre eignen Beine gestolpert sind, eine erhabene abstrakte Papp-Sphinx, die mit Argusaugen über das eintretende Publikum wacht, eine kreiselförmige Figurine à la Schlemmers Triadischen Ballett, die als Platzanweiserin zwischen klarer und orientierungsloser Gestik rotiert sowie wortwörtlich bühnenpräsente Minimal-Art-Skulpturen à la Robert Morris. All diese Bilder lassen sich aus der ersten Vergnügungs-Szenerie entspinnen.

Das Geschäft mit dem Spaß nimmt Fahrt auf, geht aber als kapitalistisches Konsumgut nicht auf und erfüllt auch keine Sofortbefriedigungs-Erwartungshaltungen: Das skurrile Fünfergespann aus nunmehr demaskierten Individuen – alle tragen weiße Klamotten in selbstgewähltem Stil – besteigt in rosaroter Zeitlupen-Werbeästhetik eine Bühnenbaute mit Treppe und Rampe (– auch hier lässt Judson Dance Mitglied Morris grüßen, dieses Mal mit seiner interaktiven Installation Bodymotionspacethings). Freudestrahlende Gespräche zwischen glücklichen Menschen werden beim Hinaufklettern durch leichtes einander zugewandtes Kopfnicken und weit geöffnete Augen markiert. Beim Herunterrutschen ist dann aber nur ein verzögertes und zaghaftes „Juhuuu!“ zu hören. Es folgt A-Capella-Gesang begleitet von wie in Achterbahnsessel gedrückten Körperhaltungen und Achtziger-Jahre-Popsong-Anleihen; sich endlos in den Bühnenraum fächernde Riesenhalbräder aus sich aufrichtenden und langsam wieder kippenden Performerkörper-Speichen, sowie kleine Solo-Einlagen vor dem Mikrofon, bei denen die Performer*innen in nicht enden wollendem US-amerikanischen Silly-Sandwich-Songs-Stil mit unaufgeregtem humoristischen Knacks, aufzählen, was ihnen Vergnügen bereitet. Dani Brown mag die Haare ihrer Mutter, zerstörte Partys, Babykätzchenköpfe in ihrem Mund. Andrius Mulokas erzählt ohne emotionale Regung von seinem schönsten Jugenderlebnis: Fahrradfahren auf dem Gepäckträger eines Freundes durch eine Hügellandschaft und den Wind in seinen – empfindlichen (!) – Ohren. Dabei zupft er an ihnen, so dass sie neckisch zurückschnellen. Er selbst lacht immer noch nicht. Micha Goldberg alias „The Storm Runner“ liebt alle möglichen Sorten von Würstchen; das Philosophieren über die Linie, die sich auf einem Hotdog zwischen Ketchup und Mayonnaise wie eine komplexe Landschaft abzeichnet und langweilige Witze, von denen er mit hängenden Schultern gefühlt dreißig erzählt, bis man vor lauter Ödheit schon wieder drüber lachen muss. Zwischen den einzelnen Szenen liegen immer wieder Momente des Innehaltens – raus aus dem lauten Rummel und den Blick rein ins Fahrgeschäft, wo sich die Performer*innen, dicht beieinanderstehend und vom Publikum abgewandt, wie kleine Rädchen im Getriebe drehen. Und das Drehen etwas Beruhigendes annimmt.

In Lea Moros „Fun!“ quellen die Kapitalismus-Assoziationen über wie klebrige Bonbonmasse an Jahrmarktständen. Dennoch reproduziert die junge Choreografin nicht einfach Klischees von der heilen Welt des Konsums, der sie ja mächtig die Farbe und das Tempo entzieht, sondern zeigt wie Kunst im Zeitalter der allgegenwärtigen Reizüberflutung und Schnelllebigkeit andere Zeiterfahrungen, quasi als gesellschaftliche Gegenräume und Entschleunigungsutopien eröffnen kann. Das Ende von Moros endloser Jagd nach den tänzerischen Herstellungsmöglichkeiten von Spaß ist brillant, nicht nur weil es den Abend in Anschluss an das Intro als Berlin-Variante entlarvt (—“So it all beginns where it ends“ —), sondern auch ein Statement zu der lange in erster Linie konzept- und diskursorientierten Berliner Szene darstellt: Die Performer*innen, die zuvor eine Art Aerobic-Choreografie abgebrochen haben, kommen mit Cheerleader-Pompon-Schulterpelz auf die Bühne, blicken an ihren Körpern herab wie stolze Schönheitskönigen — auch eine Art sich Applaus einzufordern. Dann hüpfen sie im Pferdchen Galopp und gruppieren sich zu Kap Verdisch anklingender Karneval-Trommelmusik vor dem Publikum. Doch bevor das Zitat auf Marlene Monteiro Freitas und Andreas Merks assoziatives Rasant-Stück „Jaguar“ aufgeht— das erst im Juni auf selbiger HAU2-Bühne zu sehen war— wird die Musik zum Trommelwirbel, die Performer*innen zu Zirkuspferdchen, zu Cancan-Girls bis das Licht erlischt und sich alle wieder in ihre konzeptuellen Bühnenkartons und abstrakten Schaumstoffhöhlen zurückziehen. Anhaltender Applaus für solch ein intelligentes und unaufgeregt expressives Tanz-Vergnügen!