„femme fatales“, Meredith Kalaman, (c) erik zennstrom

Heile, kleine, ferne Welt. Im Hexenkessel

Das Kanadische Gastspiel FEMME FATALES befragt in den Uferstudios Gendernormativität auf ungewohnt tänzerische Weise. Leise. Mit Anmut.

Es ist ein bisschen, wie mit Freund*innen ins Theater zu gehen, die das sonst nie und wenn mir zuliebe tun. Die fragen dann, warum Schauspieler*innen so schreien und im nächsten Satz folgt das Verblüffen, dass alle immer nackt sind. Nur andersrum: Wenn man zu einem zeitgenössischen Tanzstück geht und darüber staunen kann, dass getanzt-tanzt wird. Synchron, in Schrittfolgen – Gruppe, Soli, Boden, Sprünge, Arabesken, nach oben geworfene, ausgebreitete Arme – Tanztheater.

So hat das Stück „FEMME FATALES“ der kanadischen Choreografin Meredith Kalaman meinen vertrauten Kurs mal eben (ganz absichtslos?) in großzügigen, galant geschwungenen Kurven umgelenkt. Umso mehr, als dass es bei diesem Stück um die Hinterfragung von Gender-Normativität gehen soll. „How have we become who we are inside of our gender?“, fragen drei Tänzerinnen in gepunkteten 50er Jahre Kleidern, mit geflochtenen, zusammengebundenen Haaren, während sie in besagter Anmut Arme und Beine strecken, verträumt in die Ferne blicken und in erster Linie ein schön anzusehendes, sauber getanztes und feingliedriges Stück präsentieren, das sich vor Schattenspielen und romantischer Soundkollage nicht scheut. Wie geht das zusammen?

Dramaturgin Gabi Beier berichtet, dass sich Meredith Kalaman mit der Zeit der Hexenverfolgung auseinander gesetzt hat und dass diese Choreografie das Ergebnis eines sehr persönlichen Zugangs und eigener Bewegungssprache sei. Nicht weniger als das und gleichzeitig scheint durch die ornamentalen Bewegungsabfolgen – drei Körper auf dem Boden, geformt zu kaleidoskopischen, floralen Mustern; graziles Zu-Boden-Sinken – doch ein Hauch verschwörerischen Geistes hindurch. Ein zartes Lüftchen. Der übergroße „Kessel“ – ein halbrundes Gebilde aus Holzstreben als einziges, imposantes Bühnenelement wird als Hexenkessel bespielt, aus dem sie herausragen und empor steigen, den sie in allen Varianten durch den Bühnenraum schieben und der mal als Schutzraum, als Käfig und wieder als Empore dient, auf der sie stolz und schön sich selbst zur Schau stellen. Hexensabbat im Petticoat, galantes Stolpern, halbe Spitze warum nicht? Sich aneinander aufreiben, Missgunst, Gesten von Verzweiflung und Krämpfen sind spürbar, wenn sie jedoch das schöne Bild nicht trügen. Das allzu harmonische Zusammenwirken der drei Frauen ist die ganze „schwierige Kiste“. Von dort aus lassen sich die Femme Fatales leicht mit Femme Fragiles verwechseln und im gleichen Moment die Sinnhaftigkeit dieser Kategorien überhaupt bezweifeln. Trotz oder gerade wegen der tänzerischen Bravour und dem ausgezeichneten Handwerkszeug tritt das subversive Potential dieses Stücks hinter seine gelungene Form zurück. Das Fatale ist die Abwesenheit aller ‚dämonischen‘ Züge – die Leerstelle, die der Normativität dann doch nicht offensiv entgegentritt. Jedenfalls von hier aus betrachtet, in Berlin, auf der anderen Seite des Kessels, wo Queerness doch zu Hause ist.

Dabei bin ich selbst ein großer Fan davon, wenn sich ungewohnte ästhetische und konzeptuelle Ansätze einmal in diese Uferstudios verirren. Gut, dass sie den Chrystal Dance Prize in Victoria, am Südzipfel von Vancouver Island gewonnen haben, der ihren Auftritt in Berlin einmal über den Ozean ermöglicht hat. Kein Tanz auf dem Vulkan, aber ein Stück, das sich grazil aus Sehgewohnheiten windet.