Zeitgenössische Kunst aus Griechenland bekommt Geld, zeitgenössischer Tanz keines – trotz überlebensgroßem Kurator.
HOME-MADE MoVe wird als „Performance-Festival zeitgenössischer Tänzer*innen aus Griechenland, kuratiert von Yannis Adoniou“, und als „Teil von HOMEMADE EXOTICA, Ausstellung und Festival der zeitgenössischen griechischen Kunst in Berlin“ angekündigt. Daran stimmt, dass Adoniou vier Choreografien ausgesucht hat, eine von sich selber und drei andere. Daran stimmt auch, dass diese an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden (vom 21. November bis 1. Dezember) im DOCK 11 gezeigten Werke „irgendwie“ im Zusammenhang stehen mit HOMEMADE EXOTICA, einer Ausstellung von Werken in Griechenland arbeitender Bildender Künstler*innen im weitläufigen Freiraum in der Box in Friedrichshain. Diese Ausstellung wurde von Sotirios Bahtsetzis kuratiert, präsentiert eine Auswahl an Arbeiten von Künstler*innen, vorwiegend der mittleren Generation, und ist eine Auseinandersetzung mit dem Ansatz der documenta 14 (2017) und ihrem Motto „Von Athen lernen“.
„Irgendwie“ zusammenhängen tut vieles, in diesem Fall scheint die Herkunft der Arbeiten das offensichtlich Verbindende zu sein: also Griechenland. Ansonsten gibt es vor allem große Unterschiede. Erstens im kuratorischen Ansatz. Bahtsetzis bemüht sich um eine Überblicksausstellung, Adoniou zeigt Choreografien aus seinem persönlichen Umfeld und lässt alle anderen Künstler*innen dabei aus, ohne darauf hinzuweisen. Das verzerrt im Kontext auch darum das Bild, weil hier High-End-Portfolios mit Venedig-Biennale-Hintergrund etc. gegen eine bestimmte Ausprägung der Off-Off-Szene stehen. Der zweite Unterschied ist die Finanzierung. Die Friedrichshainer Ausstellung wurde von der Athener Stavros Niarchos Foundation (neben der Onassis Stiftung der größte (private) Förderer in Griechenland) subventioniert; der Tanz erhielt keinerlei Mittel – außer indirekt, indem das DOCK 11 MoVe durch die Bereitstellung der Bühne unterstützt.
Am zweiten Wochenende des „Festivals“ werden „Re-flection #2“ von Yannis Adoniou und „1979 / Loss and life“von Timos Zechas präsentiert. Für „Re-flection #2“ empfängt uns ein überlebensgroß kniender Adoniou, projiziert auf die Hinterwand der Bühne des DOCK 11. „Schwanensee“-Getöse gemischt mit Fieldrecordings begleiten die lebendige Statue, die irgendwo zwischen Meditation und Selbstdarstellung angesiedelt scheint. Nach dem Ankommen des Publikums wird der Tänzer-Choreograph auf lebensgroß geschrumpft. Seine Kulisse ist ein etwas baufälliger Hofeingang mit aufwendigen Augengraffitis in Schwarz-Weiß im Athener Stadtteil Plaka, dem Altstadtbereich unterhalb der Akropolis. In diesem Setting probt Adoniou, während ab und zu ein Tourist vorbeigeht, Ballettfragmente. Abgelöst wird er von einem jüngeren Tänzer, der nun den Bühnenraum im selben Overall, den Adoniou im Film trägt, live betritt. Der Tänzer hat im Programm keinen Namen. Vielleicht, weil er dadurch konsequent ein jüngeres Alter Ego verkörpert. Mehr Erscheinung als Person. Die Erscheinung übernimmt die Ballettübungen – sowohl einfache Männer- als auch Frauenparts aus „Schwanensee“. Wenn eine Haltung bis in jede Nuance der Körperspannung erfüllt ist, löst er sie auf, indem er Spreizungen oder Flexen der Glieder andeutet. Später wechselt der Hintergrund, der ältere Adoniou ist nun vor der mehr oder weniger Ruine eines einzelnstehenden neoklassischen Hauses in einem anderen Stadtteil zu sehen. Ein Vexierspiel beginnt, bei dem die Erscheinung in den votivartigen Wandfenstern der DOCK 11-Bühne steht und in die Athener Projektion integriert wird.
In „Loss and life“ betritt der Tänzer-Choreograf Timos Zechas im grauen Dreiteiler die Bühne und legt sich erstmal hin. Dazu singt Johnny Cash aus den Boxen „There ain’t no grave can hold my body down…..“. Die Worte werden wahr. Zechas steht auf und weist tanzend die Schwerkraft in ihre Grenzen, auch wenn sie ihm die Bewegungen teils in der Hocke abverlangt. Als die Musik wechselt und rein instrumental und atmosphärisch wird, passiert viel Bewegung im Schulter-, Brustkorb- und Kopfbereich, dazwischen Bodenrollen, Sprünge, federnde Beine und charlestonartige Inturn-Moves: ein Querbeet-Vokabular, das Zechas ebenfalls querbeet durch den Raum treibt, wobei eine gewisse Anziehungskraft von der rechten Bühnenwand auszugehen scheint. Am Ende aber kommt der Tänzer in der Mitte, direkt vor dem Publikum, an und blickt ins Jenseits des Beleuchtungspults, von dessen Existenz während des Tanzes vor allem die diskoartigen Lichtblitze gezeugt hatten. „Zeit ist ein kinästhetischer Raum“, stand u.a. in der Ankündigung. Das könnte heißen, dass die Erfahrung der Zeitlichkeit des Körpers und die damit verbundenen unbewusst sich vollziehenden physischen Veränderungen eine Basis in der Auseinandersetzung des Tänzers mit sich selbst gespielt haben.
Für mich bietet das Material keinen über die unmittelbare Anschauung herausweisenden Erlebnisansatz. Zwei Stammgäste der Tanzszene, die ich nach dem Stück gesprochen habe, bewerteten ihre Erfahrung jedoch als positiv und haben sich über die durchgängig tänzerischen Bewegungen der Stücke gefreut. Sie hatten MoVe schon am ersten Wochenende besucht und erleben das Programm als abwechslungsreich. Am ersten Wochenende sei von „hart bis zart“ alles dabei gewesen. Auch zum Abschluss der Serie am nächsten Wochenende wollen sie wiederkommen. Für die Veranstalter dürfte jeder Gast willkommen sein. Der zweite Teil war sehr schlecht besucht. Was, wie die Freude meiner zwei Protagonist*innen zeigt, den Genuss der tänzerischen Darbietungen nicht schmälern muss.