„Pieces and Elements“, Isabelle Schad © Isabelle Schad

Ein Schwarm Insektoider

Komplexe (an)organische Körperkonstellationen zeigt Isabelle Schad am HAU2 mit “Pieces and Elements”

Rotation, Schwingen, Verschiebung. – Schwarz gekleidete Körper in Rückenansicht vor einem graublau ausgeleuchteten Bühnenprospekt. Die aufeinander gelegten Unterarme über den Kopf gehoben, Ellbogen umfasst. Mal legt eine*r eine Hand zwischen die Schulterblätter oder faltet die Finger und streckt die Arme, nie synchron, sondern in zeitversetztem Wogen. Mechanisch drehen sich die Oberkörper der zwölf Performer*innen dabei von rechts nach links wie Kolben, aber der Drehimpuls gelangt weich in die Gelenke und erzeugt ein Nachschwingen als wippten Äste im Wind.

Bereits in den ersten Sekunden etabliert Isabelle Schad das Ineinander von Natürlichem und Künstlichem, das sie in “Pieces and Elements” (unter anderem) interessiert. Damir Simunovics Soundscape verstärkt die Ahnung natürlicher und technischer Gefüge: Regenrauschen, das Reiben von Papier, Schläge auf Metall, unterlegt von Synthesizerklängen – wabernden Tonflächen oder pulsenden Bässen. Bei mir setzt ein interpretatorischer Reflex ein, der die sich kontinuierlich entfaltenden Formationen auf der Bühne des HAU2 assoziierend auf konkrete Begriffe bringen möchte. Dabei kann man den unaufhörlichen Fluss der Bewegungen, die Transformation von Körperkonstellationen auch einfach betrachten wie frühe Filmexperimente, die der ‚reinen’ Bewegung als audio-visuellem Geschehen huldigen – wobei die Dynamik und die Spannungen bei Schad ganz andere sind. Sehr rund und weich sind ihre Übergänge, das Tempo ist gedrosselt und das allmähliche Fließen der Bilder ist von hoher Viskosität, während der frühe Film mit seiner Faszination für Eisenbahn und Industrie das Stoßweise, Abrupte und die reibungsfreie Beschleunigung feierte.

In seiner Abstraktion steht “Pieces and Elements” auch der Bildenden Kunst nahe. Ein effektvolles Schwarz-Weiß der Körperglieder ruft Isabelle Schads durchgängig hellhäutiger Cast hervor, der mal in langer schwarzer Trainingskleidung, mal mit kurzen Ärmeln oder hochgekrempelten Hosenbeinen und oft auch nackt agiert. Aus dunkler Kleidung ragende, linear angeordnete Extremitäten – Unterschenkel neben Unterschenkel, kreisende oder komplex miteinander verschränkte Arme – bilden Ornamente, während Schad den nackten Leibern eine teigig-fleischliche Qualität verleiht und hier eher Skulpturen als Muster entstehen: In Seitenlage, ein Bein ausgestreckt, das andere für das Publikum verborgen nach vorne gezogen und eine Faust über dem Kopf aufgestützt, kneten minimale Bewegungen von Schulter und Brustkorb die fast amorph erscheinende Figurine. Hängt im Sitzen der Kopf nach unten, während die nach vorne gezogenen Arme die Schultern knöchern aufspannen und die Knie zur Seite kippen, meine ich in den Rückenskulpturen gigantisches Geflügel zu sehen. Wie eine Bildhauerin arbeitet Schad durchweg die Materialität der Körper heraus: Sehnen, Muskeln, Knochen treten plastisch hervor, die Haut schimmert im Kunstlicht (Mehdi Toutain-Lopez) mal porzellanweiß-roséfarben wie Ingres’ “Grande Odalisque”, mal fahl-lila wie Francis Bacons Kadaver.

Verbunden scheinen die zwölf Leiber durch spürende Kommunikation, durch Impulse und Resonanzen. Der kollektive Körper, an dem Isabelle Schad mit “Pieces and Elements” zu arbeiten erklärt, scheint mir eher der symbiotisch-vielgliedrige Organismus eines Wesens zwischen Tier-, Pilz- und Pflanzenreich denn der soziopolitische Körper des Gemeinwesens. Zwar betont die Choreografin die flachen Hierarchien und die offene Hingabe im Probenprozess, aber die in etlichen Merkmalen deutliche Homogenität der Gruppe mit ihren acht Frauen und vier Männern wird zu sehr ausgeblendet. Wie häufig bei Isabelle Schad steht auch “Pieces and Elements” in Beziehung zu anderen Arbeiten: Wiederkehrende Bewegungen und Interessen verbinden die Performance mit der Vorstudie “Solo für Lea”, in der Schad mit Lea Moro diesen Oktober in den Sophiensaelen etliches choreografisches Material ausprobierte, wie auch mit der Arbeit “Collective Jumps” aus dem Jahr 2014. Deren visuell ähnliche Körperformationen kommen narrativer, interpretierbarer daher. Und zeigten die Performer*innen in “Collective Jumps” noch Gesicht, sind sie in “Pieces and Elements” quasi depersonalisiert, nurmehr Rundungen oder Streckungen, Haut und Haare – Einzelstücke, eingebettet in eine Gruppe. Maschinenteile in gekoppelter Bewegung. Ein mathematischen Formeln gehorchendes Partikelsystem. Ein Schwarm Insektoider mit in unterschiedlichen Zyklen ausagierten und dennoch gleichgerichteten Interessen.