„DRAMA“, Constanza Macras ©Thomas Aurin

Drama ohne Drama

Ein witziges Wesen haben sie da kreiert – Constanza Macras und DorkyPark. „DRAMA“, ihr buntes Panorama aus diversen Performance-Styles und absurder Satire, hatte am 19. Januar 2023 in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Premiere.

Wer „DRAMA“ sieht, ist durchgehend beschäftigt: entweder hemmungslos unterhalten oder unermüdlich versuchend, den Strom der Formen, Testimonials und Anspielungen zu entschlüsseln, die ein maximal energiegeladenes Ensemble in 2,5 Stunden prall gefüllter Bühnenzeit vor dem Publikum aufblättert, tanzt, singt und performt.

Erstes Bild: Zehn Tanzende parodieren Shakespeare in einer Märchenwaldkulisse. Rascher Wechsel: Wie im Marionettentheater werden Szenarien oberflächlicher Häuslichkeit, der Vater-und-Sohn-Mythos (à la Joseph Campbell) via Badminton und dramatische Doppelmoral durchgespielt. Absurd steife Bewegungen, laute Stimmen: Ich muss an eine trashige Seifenopernversion der TV-Serie Thunderbirds denken, wenn ich sehe, wie die Performenden durch ihre Barbiepuppen/Playmobil-Welt navigieren, während sie selbst augenzwinkernd ins Publikum schauen, Fassaden hochziehen und sie wieder einreißen.

Der – sozusagen – zweite Akt beginnt mit einer Jahrmarktversion des amerikanischen Folksongs „The Boy Who Wouldn’t Hoe Corn“: Campbell Caspary setzt einen Cowboyhut auf, legt Steigbügel an und gibt eine hypermaskuline Südstaatennummer, Showballett und grellrosa Treppe inklusive. Das Ganze markiert den Übergang zu „La Revista Argentina“, eine vermutlich aus der Zeit der Weimarer Republik stammende argentinisch-französische Revue mit einer Bühne voller Federboas und regenbogenfarbenen Badeanzügen. Einige Tanzende sind als Nixe verkleidet, führen den Faust auf oder singen Wickeds „Defying Gravity“. „DRAMA“ bringt hier ein Kontrollsystem der anderen Art in Stellung: Befreit von ihren unsichtbaren Marionettenfäden werden die Performenden nun in eine verzweifelt grinsende Extravaganza im Stil der Friedrichstadt-Palast-Revuen gezwungen, die nur von ihren traurigen, in der ersten Person vorgetragenen Zeugnissen von Ausbeutung und Missbrauch unterbrochen wird. Die Verbindung zur Politik des Spektakels, das diese Shows selbst generieren, wird jetzt zum zentralen Aspekt der Inszenierung.

Doch wie soll ich die Kritik interpretieren, die sich durch „DRAMA“ zieht? Die Geschichte von Candaş Bas, die beschämt wurde, weil sie ihre erste Periode auf der Bühne in der Türkei hatte, der Bericht der kubanischen Tänzerin, die von einem deutschen Tourneeveranstalter ihren Pass zurückforderte, weil sie nur 60 Euro Gage pro Auftritt bekam, verweisen auf die Diskurse zum Thema Ausbeutung und den Vorwurf der performativen Solidarität. Doch ertrinkt die Prägnanz in unmöglichen Widersprüchen: Es fällt schwer, Klagen ernst zu nehmen, in denen es heißt, Tanz „ist wie ein Schwellenland – reich an natürlichen Ressourcen, doch Opfer politischer Instabilität und Aneignung“, wenn sie in einem Kontext laut werden, in dem genau diese Bedingungen während einer kurzen doch transformativen Intendanz vor fünf Jahren galten, als viele der künstlerischen und beschäftigungsrelevanten Traditionen der Volksbühne schwanden. (Die Analogie zwischen künstlerischer Arbeit und der Extraktion der Ressourcen im globalen Süden ist natürlich prekär). Inwieweit sieht „DRAMA“ sich selbst im Kontext der Herstellung der korrupten Bedingungen der Kunstproduktion?

Macras und ihre Dramaturgin Carmen Mehnert legen diese Widersprüche nicht zuletzt in den permanenten Shifts zwischen Hochkultur und Popkultur und in den plötzlichen Verschiebungen zwischen den Tanzenden gewissermaßen offen. In den in der ersten Person formulierten Zeugnissen werden sie größer gezeichnet, um sich dann im Massenspektakel zu verlieren. Gleichwohl spiegelt „DRAMA“ die Seichtheit des eigenen Zielobjekts: Der Angriff auf die Oberflächlichkeit wird letztlich durch ebenso seichte Makulatur ersetzt, in die sich die Produktion einschreibt. Oberflächlich lässt sich das natürlich genießen. Doch graben wir etwas tiefer, stoßen wir – wie bei der Extraktion von Naturressourcen – doch wieder nur auf kurzfristige Lösungen für umfassende Systemkrisen.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


„DRAMA“ von Constanza Macras | DorkyPark wurde am 19. Januar 2023 uraufgeführt und ist jetzt im Repertoire der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Nächste Vorstellungen am 21./29. Januar und 3./27. Februar 2023, weitere Vorstellungstermine und Ticketinformationen unter volksbuehne.berlin.

Konzept, Regie, Choreographie Constanza Macras / Dramaturgie Carmen Mehnert / Von und mit Candaş Bas, Alexandra Bódi, Emil Bordás, Campbell Caspary, Fernanda Farah, Moritz Lucht, Thulani Lord Mgidi, Knut Vikström Precht, Miki Shoji, Shiori Sumikawa / Gäste Carmen Burguess, ok!choir / Live-Musik Katrin Schüler-Springorum, Lucas Sofia / Bühne Simon Lesemann / Kostüme Eleonore Carrière / Beleuchtung Hans-Hermann Schulze / Musik Robert Lippok / Dramaturgie Volksbühne Sabine Zielke.