„She´s Constructing the Exit Signs (Hope & Delusion)”, Liina Magnea ©Mayra Wallraff

Die Lösung für (fast) alles

TANZTAGE BERLIN 2023 >>> Double Bill „Songs of the Dopamine Carousel” von Bully Fae Collins und „She´s Constructing the Exit Signs (Hope & Delusion)” von Liina Magnea in den Sophiensælen.

Text: Miriam Taschler

Ich werde mit den Problemen meiner Generation konfrontiert. Wir Millennials stehen für die Verbundenheit zu Technologie, Selbstverwirklichung, der Suche nach Sinn und die Unzufriedenheit mit uns umgebenden Systemen. Vielleicht ist letzteres auch eher mein persönliches Problem, aber auch die Darsteller*innen des Abends scheinen sich darüber Gedanken zu machen. Die zwei Arbeiten präsentieren mir unterschiedliche Ansätze, Coping Strategies, oder vielleicht auch Failing Strategies für den Umgang mit Problemen meiner Zeit. Verlasse ich den Abend mit der großen Lösung?

Mit der Frage “Is anybody here for answers?” betritt Bully Fae Collins die Bühne. Ich sehe einen Motivationscoach, ganz in weiß gekleidet, makellos und unbefleckt, der die Lösung für uns alle parat hat. Sie scheint auch relativ gut umsetzbar, auch wenn ich mein Fachwissen noch etwas erweitern muss. Einfach die Orgasmen nach Automodellen benennen. „Songs of the Dopamine Carousel“ ist lustig und grotesk. Kostüme in gelben Müllsäcken fallen vom Himmel, Make-Overs und Tanzeinlagen finden statt. Mit verschiedenen Ansätzen versucht der Künstler, eine vom Himmel hängende, allmächtige Box, Schatztruhe, Kiste (was ist es eigentlich?) zu erreichen. Dazu ertönt bunte Lichter, Showmusik und wir hören Beauty Tipps, grölende Republikaner*innen, Meinungen über die Pandemie, Krieg und das Versagen der Demokratie. Ich fühle mich als würde ich durch meinen Instagram Feed scrollen, unterschiedlichste Eindrücke prasseln auf mich ein.

Foto: „Songs Of The Dopamine Carousel“, Bully Fae Collins ©Mayra Wallraff

Auf der Empore entwickelt sich eine andere Szenerie: Wie auf eine Piñata einhackend versucht eine unauffällig gekleidete Person einen Müllsack abzuschneiden, sodass er auf die Bühne fällt. Mehrere Versuche und ein spitzer Gegenstand auf einem Besen befestigt sind dafür nötig. Ob so geplant oder nicht – es ergänzt das Geschehen auf der Bühne, das die Zuschauenden zum Lachen bringt.

Am Ende ist das große Ziel erreicht, die allmächtige Box ist endlich in greifbarer Nähe des Performers. Ich warte auf die große Lösung, die sich in dieser Kiste befinden muss. Stattdessen Stille – dann ein langsames Gedicht. Ein abschließendes “I can’t come, I’m too nervous tonight” bringt mich zurück zur Unzufriedenheit. Meine Erwartung wird nicht erfüllt, dabei waren wir kollektiv doch so nah dran. Am Orgasmus, an der großen Lösung aller Probleme.

Der zweite Teil des Double Bills zeigt mir eine andere Strategie. Liina Magnea entflieht der Realität indem sie in eine absurde Parallelwelt eintaucht, in der sie Master of All ist. Sie selbst hält die Schlüssel in der Hand. Spielerisch kreiert sie damit Rhythmen, ich frage mich ob gleich ein Flamenco beginnt. Große Pläne werden über die Bühne ausgerollt. Baut sie gleich das System komplett um? Musik erklingt: “So sweet it hurts my teeth”, dabei tanzt die Performerin und erinnert mich an mein jugendliches Ich: Ganz vorne vor dem DJ Pult, ich fühle jeden Ton und wiege zur Musik. Zuerst finde ich es lustig, dann bin ich peinlich berührt. Diese Gefühle begleiten mich durch das Stück. Aber nicht nur ich fühle, Liina Magnea singt, tanzt, spielt dabei und ist sehr präsent, sie fühlt was sie tut – so sehr, dass es fast weh tut. Eine Flucht ins Musical, um dem Alltag zu entfliehen.

Ein Telefonanruf unterbricht die Stimmung. Die Realität klopft an. Aber keine Sorge, auch das ist ein lösbares Problem. Lösungsansatz: Masturbation. Auch an ernsten Telefongesprächen kann man Spaß haben. Könnte auch so in einem Ratgeber stehen. Oder ist die Liebe vielleicht die Lösung, um die Realität genießbarer zu machen? Verleiht sie mehr Macht über das scheinbar Unkontrollierbare? Vielleicht gibt es Chancen am Klavier mit dem Musiker Hjörtur Hjörleifsson, oder mit uns, dem Publikum. Am Ende landet die Performerin bei einer alten nicht sehr ansehnlichen Puppe. Dabei verhält sie sich der Puppe gegenüber bemutternd, verführerisch, angeekelt, angeschmiegt. Gibt es ein Happy End oder ist es wieder ein Spiel, eine Illusion in dieser Parallelwelt?

Ich denke an den Musical-Tag, den ich mit Freund*innen vor einer Weile eingeführt habe. Dialoge durften an diesem einen Tag nur gesungen werden. Und ich muss zugeben, es hat uns tatsächlich, wenn auch nur für kurz, von unseren sonstigen Problemen befreit.

Ob wir damit ein gesellschaftliches System verändern können, das ist eine andere Frage.


Die Performances „Songs of the Dopamine Carousel” von Bully Fae Collins und „She´s Constructing the Exit Signs (Hope & Delusion)” von Liina Magnea fanden am 20. und 21. Januar 2023 in den Sophiensælen im Rahmen der Tanztage Berlin 2023 statt. Das Festivalprogramm finden Sie unter tanztage-berlin.sophiensaele.com.


Dieser Text von Miriam Taschler entstand im Rahmen der zweitägigen tanzschreiber-Schreibwerkstatt zu den Tanztagen Berlin 2023 unter der Leitung von Agnes Kern und Johanna Withelm, in Zusammenarbeit mit der Dramaturgin Mareike Theile. Hier geht’s zum tanzschreiber-Artikel von Cilia Herrmann, die ebenfalls die Double-Bill von „Songs of the Dopamine Carousel” von Bully Fae Collins und „She´s Constructing the Exit Signs (Hope & Delusion)” von Liina Magnea besuchte >>> „fake it till you… …make it, …break it, …break through. Fake it till it breaks you!“, 23.01.2023, tanzschreiber Werkstatt Texte in Bewegung.