Kat Válasturs neue Arbeit bringt Skulptur, Performance und Video zusammen, um unsere menschliche Existenz zu beleuchten.
Diesen Oktober präsentierte die Klang- und Radiokünstlerin Julia E. Dyck eine neue Arbeit im Haus der Kulturen der Welt. Darin hörten wir ihr und zwei intergalaktischen Kameraden dabei zu, wie sie ein Raumschiff in Richtung Erde steuerten. Während der Landung stellten sie Fragen zur Bevölkerung. Deren Zahl war explodiert (70 Milliarden!), sie hatte eine Unmenge von Arten gebildet, war geschlechtslos geworden und vermehrte sich entsprechend nicht mehr durch Sex, außerdem hielt sie ihre winzigen Körper durch rein pflanzliche Ernährung am Leben. Es war ein schönes utopisches Bild, in das wir da eintauchten. Es hörte sich friedlich an, wie eine wunderbare Lösung für unsere gegenwärtigen und drohenden Katastrophen. Während wir zuhörten, stellten wir fest, dass die menschliche Existenz nicht nur wirklich friedlich geworden war, sondern sich zu einem regenwurmartigen Zustand entwickelt hatte. In jedem Fall zu einem Zustand, der deutlich harmonischer und sanftmütiger war als unser tatsächlicher und auf den wir uns freuen konnten.
Kat Válasturs neues Werk „Stellar Fauna“ beschäftigt sich auch mit Themen der Artenentwicklung und präsentiert sie dem Publikum in zwei Teilen – einer Live-Performance und einer Video-Installation. Beide laufen zweimal hintereinander; die Reihenfolge, in der man sie sieht, bleibt dem Zufall überlassen. Die Hälfte des Publikums, der ich angehöre, wird zuerst in einen Raum im ersten Stock des HAU3 geführt. Válastur, die immer große Aufmerksamkeit auf die Umgebung verwendet, hat den Raum umgestaltet. Statt einer großen Blackbox erwartet uns ein kleines graues Oval, eingefasst von schwingenden Vorhängen und passendem Teppichboden (perfekt für das regelmäßig aufblitzende wolkige Licht). Die Atmosphäre changierte zwischen 1980er-Jahre-Wohnzimmer, geheimnisvollem Club und angestaubter Dauerausstellung.
Das Publikum saß zwischen zwei Flügeln der Bühne, symmetrisch bestückt mit drei Blöcken, auf denen eine einzelne weiße Blume stand, ein großer Felsbrocken und ein üppig geformtes kürbisartiges Objekt. Außerdem gab es auf jedem Bühnenteil eine schimmernde durchscheinende Tafel, die aussah wie eine Kreuzung aus Kaktus und Eisberg, ein glänzendes Wunderwerk, hinter dem eine Figur lag. Langsam begannen die Figuren, sich zu bewegen, ihre Knie zu beugen, Atem und Geräusche auszustoßen, die gebeugten Beine zu öffnen. Halb Stammesritual, halb Roboterbewegung. Aber als sie sich langsam aufrichteten, war da nicht einfach nur die klare Gegenüberstellung von Technologischem und Primitivem, sondern ein Hin- und Her, ein Dazwischen, eine Neuordnung der entsprechenden Teile zu einem wilden uneindeutigen Mosaik. Wie eine Flüssigkeit, die sich die Wirbelsäule auf und ab bewegt, pulsierte jede Figur zwischen biologischen, persönlichen und sozialen Sphären, in denen sich vordergründig Technologisches mit vordergründig Organischem mischte. Dieser Effekt wurde erzeugt durch gezielt eingesetzte Effekte der Mikrophone, durch Alltagsbewegungen, Emoji-Ausdrücke und die Beweglichkeit und Erstarrung der Glieder.
Währenddessen wiederholten sie den Text: „We are waiting for the floods to break free although that would be the end of us“ („Wir warten auf das Einsetzen der Flut, auch wenn die unser Ende bedeuten würde“). Es hat uns erwischt, manchmal ganz deutlich, manchmal weniger deutlich – das Gefühl, dass wir im Angesicht von Dingen, die wir nicht greifen oder kontrollieren können, nicht nur hilflos sind, sondern unsere ruhmreiche Zerstörung manchmal regelrecht ersehnen, oder zumindest erwarten.
Und dennoch – nicht einmal hier dürfen wir uns der Agonie der Dinge hingeben, ihrem destruktiven Fluss. Selbst hier noch verlangt Válastur uns Entscheidungen ab: wo sitzen, wem zuschauen, wie unsere Aufmerksamkeit verteilen, unseren Blick, unseren Fokus, unsere Vorlieben, unsere Energie. In dieser grauen Division verlieren wir etwas, indem wir etwas wählen. Wir bleiben Schauspieler*innen in einem Spiel, präsent und gleichzeitig. Wir werden daran erinnert, dass wir nicht obsolet sind bis wir es sind.
Wir wechseln nach unten, tauschen die Plätze mit der anderen Hälfte des Publikums. Wir sinken in hochwertige Sitzsäcke, schauen auf den Bildschirm, unsere Körper passiv, unsere Blicke synchron. Hier schauen wir ganz gemütlich eine Dokumentation über Menschen, ihre Züge, Gewohnheiten, ihre Umgebung. Sie sind so wie wir, nur eben ein kleines bisschen anders. Eine Art, deren Entwicklung sich irgendwann in der Vergangenheit von unserer abgespalten hat. Sie sind so schön. Ihre Lider schließen sich so elegant in der Sonne, ihre Körper schaukeln so sanft im Wasser, die Formen ihrer Münder, ihrer Nasen, ihrer Zähne zeichnen sich durch so herrliche Kleinigkeiten aus. Sie mögen es, ganz dicht bei anderen Mitgliedern ihrer Art zu sitzen, sich aufmerksam anzuschauen, zu berühren. Hier sehen wir eine Art wie unsere und doch wieder nicht – hier sehen wir uns selbst in einem zukünftig-gegenwärtigen Moment, an der Schwelle zum Unbekannten.
Deutsche Übersetzung von Bettina Homann