„The Emergency Artist“, Clément Layes © Dieter Hartwig en

[Angst] schachtelt ein

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Mit „The Emergency Artist“ gibt Clément Layes der Bedeutungsoffenheit in Sprache und Handlung Raum. In Zeiten zunehmender politischer Abgrenzung lässt sich das als eine Form künstlerischen Protests verstehen.

In „The Eternal Return“, seinem ersten Gruppenstück, thematisierte Clément Layes das Leben, in Anlehnung an Friedrich Nietzsches Begriff, als ewige Wiederkehr. Den grauen Alltag samt seiner routinierten Handlungen verlegte er in eine spartanische Einzimmer-Bühnenkonstruktion, zu der er sich durch den Kurzfilm „Tango“ des polnischen Regisseurs Zbigniew inspirieren ließ. Ein mit subtilem Humor gezeichneter Widerstandswille gegen jegliche Art monotoner Wiederkehr sowie gegen die Gefahr geistiger und körperlicher Erstarrung wurde erkennbar: Mit der Wiederholung kurzer, personengebundener und sich gleichzeitig anhäufender und überschneidender Handlungschoreografien gewannen sechzehn Performer*innen dem immer Gleichen Leichtigkeit ab. In der hamsterradartigen Maschinerie entstanden fortlaufend neue Beziehungs- und Bedeutungskonstellationen und mit ihnen Schlupflöcher für künstlerische Freiheiten, angetrieben von einem unsichtbaren Motor namens Improvisationstalent & Kreativität.

Nach Lücken in einem von Effizienz beherrschten System sucht Clément Layes auch in seiner jüngsten Gruppenchoreografie mit dem Titel „The Emergency Artist“. Dieses Mal wird Alltag nicht als öde Regelmäßigkeit begriffen, sondern, in Anlehnung an den Zeitgeist der Gegenwart, als zur Selbstverständlichkeit gewordene tagtägliche Selbstüberforderungsmanie. Die Dichte und Unüberschaubarkeit an Möglichkeiten, welche die heutige Welt prägt und in „The Eternal Return“ bereits angerissen wurde, findet ihren Widerhall zunächst in dem vom Leben getriebenen Protagonisten des Stücks.

„Attention!“: Eine fallende Holzwand entpuppt sich als kippbare Holzbühne mit Boden und Rückwand, an der besagter Hauptakteur wie an einer Klippe baumelt – hilflos und panisch, obwohl sein cooles Outfit eher an „Ein Colt für alle Fälle“ erinnert. Wesentlich unaufgeregter kommen zwei Frauenfiguren mit großen Filzhüten, Sonnenbrillen und langen Haaren daher: zwei Assistentinnen, die ihm tatkräftig zur Seite stehen. Das passiert beispielsweise, wenn sie den halben Meter Abstand zwischen ihm und dem imaginären Abgrund mit einem kleinen Hocker überbrücken. Und auch, wenn sie ihm mit (b)engelinnengleichen Ratschlägen —„Run for your life“ – „I would choose not to“— auf einer nur vermeintlich risikoreichen Balken-auf-Barhocker-Waagschalen-Konstruktion vorführen, dass seine Haltung, täglich alles geben zu wollen, zwanghaft und die Angst vor dem Versagen („I can“ und „I can not“) unbegründet sind. Sein Körperschwerpunkt liegt auf der Mitte des Balkens und auf dem Hocker; selbst wenn beide Performer*innen langsam von seiner Rechten und Linken weichen, wird ihm nichts geschehen.

Es ist vor allem Clément Layes´ ausgeklügeltes Spiel mit dem Verhältnis von Sprache, Denken und Handlung, das an diesem Abend begeistert und im Anschluss an „The Eternal Return“ eine gelungene künstlerische Weiterentwicklung darstellt. Es macht eine Haltung zum Leben stark, die Ambiguitätstoleranz befürwortet. Das zeigt unter anderem die das Stück begleitende Videoinstallation vor dem Festsaal der Sophiensæle. Begrifflichkeiten aus der Studentenrevolte im Mai 1968 setzt Layes hier in einen assoziativen Bezug zur Gegenwart: „Hurry“ … „or“ … „it will be“ … „never or now“. Oder: „We don´t care“ … „About borders“. Wer das einstige, zum Ausnahmezustand auffordernde „Now or never“ zu seinem täglichen Lebenscredo erklärt, überschreitet über kurz oder lang seine geistigen, körperlichen und seelischen Grenzen und kommt zwangsläufig außer Atem – so könnte man Layes hier verstehen. Gepaart mit einem zunehmenden gesellschaftlichen Werteverlust, so die Ergänzung der Autorin, liegt das Bedürfnis nach klaren (sprachlichen) Verhältnissen da vermutlich auch nicht mehr weit – „Na, raten Sie mal.“

In der zweiten Hälfte der Bühnenaufführung treten dieselben drei Performer*innen auf und vollziehen in einer größeren Gruppe die gleichen Handlungen. Besonders in Erinnerung bleibt dabei eine Szene, die mit den Worten „just smile“ begleitet wird. Im Original wirkt diese wie ein bissiger Kommentar auf die am Wettkampf orientierte Konsumgesellschaft. In der Wiederholung entwirft sich ein Bild tolerant-entspannten Zusammenlebens verschiedener Individuen, die nicht auf Polarisierung setzen, sondern den Balken, auf dem sie sitzen, stehen oder eben auch kopfüber hängen, gemeinsam in Balance halten – ein authentisch gelebtes „just smile“, das mit Geld nicht aufzuwiegen ist.

Auch wenn Layes´ zweites Gruppenstück darstellerisch weniger überzeugt als sein Vorgänger und ab und an etwas zu nüchtern gerät, so zeichnet sich hier doch ein komplexer künstlerischer Ansatz ab, den ich in seiner gesellschafts- bzw. bildungspolitischen Dimension für absolut wichtig halte. „The Emergency Artist“ hält einen sozialen Notausgang bereit, der nicht nur in eine Richtung führt: die Kunst. Auch jene, den Widersprüchen des Lebens selbstbestimmt zu begegnen, statt aus Panik in blinden Aktivismus zu verfallen.