„Tropical Escape“ zeigt Csaba Molnár und Márcio K. Canabarro, wie sie Utopie und der Kraft der Albernheit auf den Grund gehen.
Willkommen in Utopia. Ein Ort, an dem Sie in einem Moment ein stolzer Faun sein können und im nächsten eine Diva, die ihre Gespielin auf Italienisch ankreischt. Wenn sie einen Luftballon platzen lassen, kann er eine Talkumwolke freisetzen, oder einen Lippenstift bereithalten, oder ein Messer – oder eine Banane in Ihren Schoß fallen lassen. Es ist gut möglich, dass Sie von Farben übergossen sind, aber keine Sorge – sie machen sich zusammen mit dem Talkumpuder und der halbzerkauten Banane recht gut. Normen sind tabu, ansonsten ist alles fairplay. Willkommen bei „Tropical Escape“.
Heutzutage hat man es notorisch schwer, wenn man das Publikum schocken will – insbesondere in Berlin. Somit ist es sehr unwahrscheinlich, dass als Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune gespielt wird und Csaba Molnár und Márcio K. Canabarro die ikonische Pose aus Nijinskys Ballet von 1912 einnehmen, sie die gleichen Obszönitätsvorwürfe provozieren, wie das Original. Ungeachtet der Tatsache, dass sie beide je lediglich zwei Paar durchsichtige Strumpfhosen anhaben; eines für ihre Beine und das andere für ihren Kopf, ausgestopft mit Luftballons in knalligen Farben, um Hörner und Hufe zu formen. Halb Mensch, halb Latex sind dies die Hybride, die moderner Mythologie heutzutage angemessen sind.
Molnár und Canabarro purzeln von einer Szene zur nächsten, holen einen schwindelerregenden Prop-Fundus hervor und schaffen damit die Hölle auf Erden. Kitsch im Ergebnis, rasant, subversiv und sehr, sehr lustig. Andere aufblasbare Hörner werden als Phalli verwendet, in einer kabarettartigen Fusion aus Groteske und Sinnlichem. Sie tauschen die Faunkostüme gegen Unterhosen und synchronisieren playback melodramatische Filmszenen auf Spanisch und Italienisch, die sie affektiert-fröhlich übertreiben. Zum Soundtrack eines Heteropornos führen sie von Cunningham inspirierte Bewegungen aus, funktionieren Grunzen und Stöhnen in musikalische Einsätze um, und nehmen später jeden überblasenen Ausdruck als Zeichen von Wut, Ärger oder Schmerz.
Sie fügen eine bizarre Collage zusammen, die mir surreal vorkommt, aber weit enfernt davon ist, Nonsense zu sein – doch die Politik, die ihrem queeren Neudenken und Umdeuten von Geschlecht, ihrer Körper und von Gender zugrundeliegt, scheint durch. Nutzen wir Eskapismus als eine Form utopischen Denkens, können wir so weit von der Norm abweichen, wie es unsere Fantasie erlaubt – was uns in die Lage versetzt, auch noch so tief verwurzelte Konventionen in Frage zu stellen. Und lassen Sie es mich nur noch ein einziges Mal sagen: Die Performance ist sehr, sehr lustig. Indem sie den Sand aus der Normalität sieben, dekonstruieren, runderneuern und polieren Molnár und Canabarro unsere gemeinsame Realität und offerieren sie uns schließlich als neugeformten prunkvoll funkelnden Juwelen. Ein Juwel, der zu der anarchischsten aller Dragqueens passt.
Gegen Ende der Performance geben Molnár und Canabarro eine kurze Lecture, in der sie ausführlich von ihrem kreativen Prozess und einigen ihrer Inspirationen berichten und beziehen sich auf unzählige Quellen, die Akademiker wie Künstler abdeckt; Paul B. Preciado, Karen Finley, Virginie Despentes, Fred Herko … Sie bekennen sich auch zur Erbschaft des Kolonialismus, Orientalismus und patriarchalischer Unterdrückung innerhalb der Entwicklung der eurozentrischen Kunst. Ich frage mich, ob dies von einer Art Selbstrechtfertigung motiviert ist? Ob es vielleicht an ihrem Auftritt als zwei weiße Cisgendermänner liegt, dass sie etwas die Stimme geben wollen, das nicht visuell auf der Bühne repräsentiert wurde? Dies wäre durchaus zulässig, für mich persönlich hat jedoch die wahrnehmbare Subversion, die der Arbeit inhärent ist, für sich selbst gesprochen.
Als sie über die revolutionäre Natur utopischer Unterfangen sprechen sowie das wirkungsvolle Potential queerer Nichtnorm, inspiriert mich der Gedanke, dass Abweichungen im System so viel Spaß mit sich bringen können. Tanze für deine Vision der Welt, nicht für die, die ist.
Deutsche Übersetzung von Wenke Lewandowski