„Protagonist“, Jefta van Dinther © Urban Jörén

Bloß raus aus der Clubhöhle

Tänzerisch überzeugend aber inhaltlich eher nichtssagend kommt Jefta van Dinthers „Protagonist“ am HAU1 daher.

Wenn es keinen Halt mehr gibt in der Welt, dann hilft nächtliches Clubleben als Ersatzreligion, so lässt sich Jefta van Dinthers im Juli 2016 in Amsterdam uraufgeführtes und nun als Gastspiel ins HAU1 eingeladene Parabelstück „Protagonist“ ohne Mühe zusammenfassen.

Und tatsächlich, haltlos wirken auch die fünfzehn Tänzer und Tänzerinnen des Cullbergbaletten, die er dazu auf die Bühne schickt. Denn diese bleiben ihren Nächsten gegenüber seltsam unnahbar und entfremdet, obwohl sie van Dinther immer wieder in dicht gedrängten, oft linearen und bodennahen Formationen zusammenbringt. In eine Art choreografische Friese bannt er hier das Leiden zeitgenössischer Großstädter an fehlendem sozialem Miteinander und gleichzeitiger Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Vorchristliche Reliefs und ihre mythischen Figuren müssen heute aufgrund ihres Alters bruchstückhaft in Erscheinung treten. Die stotternd abgebrochene Bewegungssprache van Dinthers aber macht sein sich in Körper meißelndes Gleichnis über die Menschheit gerade erst aus. Ist die Sprache des Tanzes sowie die der Bildtafeln stets universal?

„This is my church. This is were I heal my hurts. For tonight“, sangen Faithless einst in ihrem Song „God is a DJ“. Die Suche nach Höherem und Sinngebendem spiegelt sich in „Protagonist“ in Szenen des Verehrtwerdens wider, etwa wenn eine Gruppe von Tänzern und Tänzerinnen einen ihrer Kollegen durch eine — hier natürlich nur angedeutete — Menge von Fans hebt. Die Sehnsucht nach Anerkennung und der Wunsch, einmal selbst im Rampenlicht zu stehen, trifft in „Protagonist“ so ziemlich jede/n Mitwirkende/n. Doch das dazu passende Gefühl von Erhabenheit, in das sich in seiner Jugend wohl jeder Zuschauende mindestens einmal mittels musikalischem Idol hineingelebt hat, muss flüchtig bleiben. Da helfen auch keine überladenen Verkündigungsmonologe (Musik: David Kiers, Gesang: ELIAS, Text: van Dinther selbst!?). Die Realität folgt, am Morgen nach der Party, auf ganz nüchternem Fuße. So auch wenn das fünfzehnköpfige Ensemble unter kraftvollem Körpereinsatz die Fäuste schwingt und sinnbildlich zur Revolution aufruft, dabei aber wenig überzeugend wirkt. Denn als Gemeinschaft, die gemeinsam ein Ziel verfolgt, sind sie nicht choreografiert. Das „Gemeinsam sind wir stark“-Begehren zerbröselt in einzelne hoffnungslose und narzisstische Individualisten. Erst mit hängenden Schultern, dann Arme baumelnd treten diese die Rückwärtsevolution an, um schließlich splitternackt im Primatengang über die Bühne zu humpeln – eine tierhafte Körperlichkeit, der in ihrer tänzerischen Nachahmung durchaus ein authentisches Befremden abzugewinnen ist, gerade auch wenn einzelne Tänzer*innen die Bühnenwände erklimmen und einen von oben beobachten.

Wenn dann nach sechzig Minuten sonnengelbes Scheinwerferlicht in Richtung Publikum strahlt und die Stimmung zunehmend feierlich wird, ist klar, was sich bereits angedeutet hat: Jetzt sind wir an der Reihe. Doch womit eigentlich? Um mit glorreichem Gebrüll in den nächsten Club zu rennen, um endlich selbst die Stadtaffen raushängen zu lassen? Na, dann: gute Nacht!