„Sarabande“ von Sasha Amaya und „Tricks for Gold (T4$)“ von Frida Giulia Franceschini feierten am 8. Januar in den Sophiensælen im Rahmen der Tanztage Berlin 2020 Premiere.
Während der langen Umbauzeit zwischen „Sarabande“ und „Tricks for Gold (T4$)“ sitze ich außerhalb des Theaters in der Lounge zwischen zwei gutaussehenden Menschen wie zwischen zwei Sandwichscheiben. Sie tätscheln einander und reden und drapieren ihre Körper nonchalant über mich und ich komme mir dabei vor, als wäre ich ein Möbelstück, an das sie sich lehnen können. Ich genieße diesen Möbel-Moment, der auf die Berliner Coolness verweist: Die beiden sind in puncto Berührung überhaupt nicht schüchtern. Sie ergehen sich buchstäblich darin, halten zärtlich Hände und legen sie auf mein Knie, während sie reden. Ihr Genderverhalten und ihre Erscheinung ist nichtbinär. Sie reden offen über ihre Liebesinteressen. Beide sind sie hier, um das zweite Stück der Doppelvorstellung dieses Abends zu sehen – „T4$“. Die Person zu meiner Rechten sagt: „Das wird bestimmt richtig gut. Es ist sexy, spaßig und queer.“ Die Person zu meiner Linken bekräftigt: „Ja, ja und ja!“
Von einer schnellen Onlinesuche weiß ich, dass die Sarabande des ersten Stückes des Abends ‚ein Tanz [ist], der in Zentralamerika im 16. Jahrhundert entstanden ist‘. Der darauffolgende Satz interessiert mich: ‚Zunächst wurde er als eher anstößig angesehen und sogar in Spanien aufgrund seiner Obszönität verbannt.‘ Gemessen am Maßstab der Berliner Meinungsfreiheit des 21. Jahrhunderts aber sind Barocktänze ganz klar eine überholte Version sozialer Interaktion, in der man sein Begehren in eher unterdrückter Art und Weise nach den strikten Regeln der Formen, Schritte, Gesten und Distanzen flüstert.
Auch wenn sie mal als ‚anstößig‘ und ‚obszön‘ angesehen wurde, fühlt sich die Sarabande, die Amaya und ihr Bühnenpartner Falk Grever im zeitgenössischen Kontext neu schaffen, an wie ein schwerer transparenter Deckel auf einem Topf kochenden Wassers. Man kann das kochende Wasser unter dem Deckel hören und sehen – und er springt sogar hin und wieder kraft des turbulenten Wassers darunter für den Bruchteil einer Sekunde auf – aber meistenteils bleibt der Deckel zum Ärger des Publikums geschlossen. Amaya zoomt in die Ästhetiken und das Bewegungsvokabular der Barocktänze, dekonstruiert sie und setzt sie nach einer persönlichen Ästhetik, die sich idiosynkratisch mit majestätischer Kühle mischt, wieder zusammen; schick und gleichzeitig spitzfindig. Diese Qualitäten finden zumeist Ausdruck in einer bewussten Balancierung von Ebbe und Flut, keine drückt jemals die andere nieder. Die Bewegungen sind mit Intention komponiert und präzise in ihren Wiederholungen und Variationen ausgeführt, bis auf einige spontane Öffnungen – wie als Grever ‚frei‘ in einem Kreis herumrennt und während eines dramatischen A-cappella-Lippensynchronisations-Duos.
„Sarabande“, Sasha Amaya ©Nobutaka Shomura, Sasha Amaya
Das fesselndste Element dieser Arbeit sind die beiden Performer*innen und die Dynamik zwischen ihnen. Amaya, ein optisch wirkender weiblicher Körper, ist in Blau gekleidet und verkörpert einen geerdeten und starken Charakter. Derweil ist Grevers männlicher Körper in Gelb gekleidet und personifiziert zarte und wohl eher feminine Züge. Amaya lächelt gelegentlich und wirkt ausgeglichen, während Grevers Ausdruck mysteriös, fremdelnd und abwesend ist. Die Energie zwischen beiden ist nicht wirklich erotisch, gleichzeitig aber weder neutral noch kalt. Ihre beiden distinkt verschiedenen Präsenzen lassen gemeinsam flüchtige Momente einer Exzentrizität erhaschen, deren Charme nicht zu leugnen ist.
Anders als diese Performance, die kompositorisch aus Untertönen besteht, ist „T4$“ ein köstliches Fest, bei dem das passionierte Berliner Publikum, das Vergnügen daran findet, den Deckel hochfliegen und das kochende Wasser wie aus einem Geysir ausbrechen zu sehen, auf seine Kosten kommt. Franceschini spielt eine ‚einsame Heldin, die zum Objekt ihres eigenen Begehrens wird und versucht sich selbst zu Geld zu machen‘. Ohne irgendwie schüchtern zu sein, ihre sehnige und feingliedrige Figur unter ihrer minimalen Kleidung zu offenbaren, repräsentiert Franceschini eine verführerische, starke und souveräne weibliche Figur. Die bunt drapierten Stoffe, die erotischen und wunderschönen Kostüme sowie die überzogenen, bewusst queeren Aktionen, die mit einer tödlichen Überzeugung von Franceschini und ihrer frechen Assistentin Lea Kieffer dargeboten werden, schaffen eine Kitsch-Ästhetik, die passgenau ist für Berlins heißgeliebten „Do-it-yourself-ungewöhnlich-sexy“-Stil.
Das Stück macht wirklich Spaß. Franceschini führt Zaubertricks vor, die ihr Geheimnis verraten, aber immer noch lustig sind aufgrund der Theatralität und des Performancewillens. Franceschini zieht Seile von den Bühnenseiten heran und hakt die Enden an etwas unter einem Stück weißen Stoffes auf dem Boden. Sie geht ab. Kieffer zieht dann an jedem Seil und löst jedes Stück Stoff auf langsame und dramatische Weise. Die Bewegung unter dem Stoff wird mehr, wodurch klar wird, dass sich darunter ein tanzender menschlicher Körper befindet. Mehr und mehr Stoffschichten werden abgelöst, doch es kommen immer mehr Schichten in verschiedenen Farben zum Vorschein. Dieser spielerische Akt der Ungewissheit schafft eine intensive Neugierde und eine Fetischisierung des Mysteriösen und Ungesehenen. Im letzten Moment vor der finalen Enthüllung strahlen blendende Lichter auf das Publikum, dann springt Franceschini unter dem letzten Stück schwarzen Samts – in einem heißen roten Kostüm – hervor. Das Publikum hat einen Moment zu realisieren, dass der Wechsel während der Blendung durch das Licht stattgefunden haben muss. Es folgt eine Explosion des Lachens und Applauses. Franceschini ist zu einer idealisierten Göttin unseres erotischen Begehrens transformiert, und sie ist stolz, dies zu sein.
„T4$“ verkörpert den Inbegriff der Berliner Coolness, die ‚sexy, macht Spaß und queer‘ propagiert. Das Publikum scheint offen für eine gute Zeit zu sein, lacht und applaudiert enthusiastisch bei jeder kleinen Geste der charismatischen Franceschini. Im Gegensatz dazu verströmte das „Sarabande“-Publikum eine ruhige und kontrollierte Luft. „T4$“ fühlte sich an wie eine dieser aufregenden Berliner Partys, bei denen die hippe Kunstszene unbedingt dabei sein wollen würde. Und „Sarabande“ fühlte sich an, wie, freiwillig oder unfreiwillig, Zeugin einer schönen, doch hin und wieder liebenswert peinlich berührenden persönlichen Begegnung zwischen zwei Menschen zu werden.
Deutsche Übersetzung von Wenke Lewandowski