Kann eigentlich etwas „neu“ sein in Zeiten von Postdramatik, Eklektizismus und Copyright?, fragt Die Neue Kompanie in ihrer Performance „Beach Birds – The Dancical“ am Ballhaus Ost.
Alte Frage, neu formuliert: Es ist die Crux mit der Avantgarde und dem Neuen in der Kunst. Kann die Behauptung „Das gab’s noch nie“ wirklich aufrecht erhalten werden bei der Fülle an Referenzen und Vorbildern, die das künstlerische Schaffen beeinflussen? Die Neue Kompanie um die Performer*innen Helen Schröder, Angela Kecinski, Guy Marsan, Edda Sickinger und Giovanni Zocco nähern sich diesen Überlegungen mit dem Schalk im Nacken: „Hey Hallo! Wir sind die neue Kompanie! Die erste Kompanie ohne Choreographen! Das gab’s noch nie! Bei uns ist nichts von uns! Bei uns ist alles von den anderen! Absolut innovativ! Und neu!“, flöten sie dem Publikum mit dem künstlichsten Lächeln und in Pollesch-Chor-Manier entgegen und ziehen so die Rahmenlinie, innerhalb derer sich die Auseinandersetzung mit Innovation und Zitat, Eigenem und Fremdem bewegt.
Die ostentative Markierung der Performance als Ort des Zitates impliziert aber zugleich eine besondere Art der Wahrnehmung: Die Zuschauer*innen sind geneigt, alles, was sich ereignet, auf die jeweilige Quelle zurückführen. Klingt elitär, weil sich nicht alle mit den Meilensteinen der Pop- und Tanzgeschichte auskennen, ist es aber wunderbarerweise nicht, weil den Zuschauer*innen dann hin und wieder auf die Sprünge geholfen wird. Das geschieht nicht nur über die tatsächliche Nennung derer, die offenbar als Taktgeber für die Performance dienen (wie z.B. Trisha Brown, René Pollesch, Alain Platel, Kate Bush, Michael Jackson, Jérôme Bel oder Anne Teresa de Keersmaeker), sondern auch durch die direkte körperliche Bezugnahme auf, der Titel lässt es erahnen, „Beach Birds“ (1991) von Merce Cunningham mit Musik von John Cage. Die geschmeidigen Posen und das beständige Ausbalancieren der Körper mit weit ausgebreiteten Armen, das leichtfüßige Trippeln durch den Raum, die hautengen Anzüge in schwarz-weiß – all das erinnert natürlich an die Choreografie von Cunningham. Gleichzeitig ist aber im Hintergrund ein Plakat mit der Aufschrift „Beach Birds von Merce Cunningham uns“ zu sehen, sodass die vermeintliche Kopie der Choreografie deutlich als eigene Interpretation markiert ist.
Im selben Atemzug greift Die Neue Kompanie durch das Verlesen einer (fiktiven?) E-Mail eine weitere Facette des Diskurses um Eigenes und Fremdes auf: Ein Mitarbeiter des Merce Cunningham Trust lässt fragen, wie und mit welcher Intention Die Neue Kompanie plane, das Werk „Beach Birds“ zu verwenden? Was in der Wissenschaft durch klare Regeln organisiert ist, fällt für den Tanz deutlich schwieriger aus. Denn wie kann es hier überhaupt exakte Kopien geben, die nicht vom Original zu unterscheiden sind? Und wie soll man zitieren in der Bewegung, ohne dabei zu plakativ zu sein?
Es gibt keine Kopien, heißt es nach der energetischen „Flashdance“-Darbietung im 80er-Look einer der Tänzer*innen gehässig, denn diese scheitere immer an der Nachahmung. Die Neue Kompanie will aber sowieso etwas anderes. Ihnen scheint es um die Frage zu gehen, wie umgehen mit den großen Vorbildern, die die eigene Kreativität beeinflussen und vielleicht sogar blockieren? Mehrfach betonen sie in ihren chorischen Statements ihre Arbeitsweise als Kollektiv, das alle Entscheidungen gemeinsam trifft. Aber können wir Ihnen trauen – oder ist dies vielleicht auch nur ein Zitat?