„The Parallel Side Of The Road“, Akiles © Zydre Venckus

Architektur der Versenkung

Die Tanztage bieten in diesem Jahr Raum für sehr unterschiedliche ästhetische Ansätze. Mit „The Parallel Side Of The Road“ nähert sich Akiles der Verbindung von Spiritualität und Tanz.

EINFRIEDUNG , dieses Wort steht nach den 40 Minuten von „The Parallel Side Of The Road“ groß in meinem Notizbuch. Nicht ein einziges Mal entfernt sich der irakische Tänzer-Choreograf, der sich Akiles, nennt, von der innig-konzentrierten Stimmung seines Solos. Jede Bewegung, jede Geste, jede neue Raumrichtung wird im Sinn einer inneren Wanderung durch einen Versenkungszustand vorgegriffen wie eine vorbeiziehende Landschaft. Es ist eine sehr intime, sehr persönliche Situation, die sich da vor dem Tanztage-Publikum entfaltet, bei einem Festival, das zwar auch stille Töne kennt, dessen ambitionierte junge Tänzer*innen und Choreograf*innen aber besonders gerne mit Verve und Coolness-Codices ihre Szene-Zugehörigkeit behaupten wollen.

Es ist die Stärke der Tanztage unter der Kuratorin Anna Mülter, das Szenengefühl zu durchbrechen und die Vielfalt der Berliner Tanzlandschaft sowie darüber hinaus sichtbar zu machen. Weniger als in den Jahren davor entsteht das Gefühl von Geklüngel, auch das Publikum ist diverser – wenn auch in Supporter-Lager zuordenbar. Die Fan-Community von Akiles, der zuletzt in Syrien gelebt hat und mit Unterstützung des Maxim-Gorki-Theaters nach Berlin kam, ist noch relativ überschaubar – mehrere meiner Sitznachbarinnen sind offensichtlich wegen der darauffolgenden Arbeit gekommen (des ebenfalls sehr akurat gearbeiteten Duos von Niloufar Shahisavandi und Solmaz Sajadieh) und scheinen sich bei seinem Solo zu langweilen. Es ruht jedoch gut genug in sich selbst, um das auszuhalten.

Die Ruhe und Versenkung geht mit einer Reduziertheit der Formensprache einher: Vertikale, Horizontale, der Kreis und die Lemniskate sind hier die Grundelemente einer Architektur der Spiritualität, die formal dem Minimal Dance verwandt ist, dabei aber introvertiert und selbst in den impulshaften Bewegungen weich bleibt. In so sommerlich-luftig wie reinlich wirkendes Hellbeige gekleidet, richtet sich Akiles langsam in einem Lichtgang auf, den er durch eine U-förmige Parallelität der Arme nachbildet oder im Sitzen wie ein versunkener Wassertreter durchquert. Er führt ihn in zirkelnde Bahnen, die er tänzerisch abschreitet oder in Arm- und Kopf-Bewegungen überführt. Jede Sequenz wird mehrfach wiederholt: ein wesentliches Element der rituellen Einkehr, die zuweilen durch ein leises Stampfen oder ein Klatschen auf die Oberschenkel zur Forderung wird. Die Gestik und Schrittfolgen lassen konkrete Vorbilder aus zeremoniellen Tänzen und Gebetsritualen wiedererkennen, erhalten aber jeweils eine persönliche Färbung und wirken, durch ihre Verknüpfung, einer bestimmten Glaubenspraxis enthoben. Eine Ausnahme bildet die über die Knie gebeugte Gebetshaltung mit rundem Rücken, in die der Tänzer wie in einem Traum versinkt, nachdem er eine Zeitlang mit seinem Schattenbild getanzt hat. Der Schatten tanzt weiter, der Tänzer ist im Gebet gebannt. Innere Bewegtheit, äußere Bannung: ein klassischer Meditationszustand.

Begleitet wird die spirituelle Reise von der Musik des Komponisten und Musikers Saad Thamir, einem Mix aus orientalischen und westlichen Elementen, der mal jazzig, mal lyrisch, mal folkloristisch, ja fast klezmerartig klingt, dominiert vom rauen Sehnsuchtston der Kniegeige. Dass diese Klänge aus den Boxen dem Tänzer nahe sind, ist offenbar, aber sie nehmen ihm durch ihr Vordefiniertsein auch etwas von der Unmittelbarkeit seiner spirituellen Versenkung. Andererseits wäre es ein Wagnis gewesen, das Unaufdringliche, Invokative, in sich Ruhende von Akiles einer weiteren Gegenwart auszusetzen. Das sich selbst Befriedende, das im Zentrum dieser spirituell anmutenden Reise steht, ist ein sehr persönlicher Akt, der von außen zwar wahrnehmbar, aber nur von innen ausbalancierbar ist.