„LEGACY“, Nadia Beugré © Dylan Piaser

Feier des besseren Geschlechts

Mutig und stimmungsvoll, aber auch etwas grob zusammengebaut wirkt Nadia Beugrés Deutschlandpremiere von „LEGACY“ zur Eröffnung von Made in Potsdam.

Ein Pulk. Nicht unbedingt dynamisch, aber in der Sache geeint joggen zwölf Frauen, sich mehr und mehr den Oberkörper entkleidend, auf der Stelle. Als würden sie Energie freitreten. Hohe Schultern, tiefe Schultern, enganliegende Arme, Luftpolster-Arme, Plattfüße, schwere Füße, federnde Füße, hüpfende Brüste, feste Brüste, längliche oder rundliche. Die Frauen sind geschätzt zwischen Mitte Zwanzig und Anfang Siebzig, manche hängt sich, wenn die Ausdauer nachlässt, bei einer anderen an die Schulter. Immer wieder stoßen sie einen Selbstbehauptungsruf aus, Einzelne lassen drohende Gesten wie Blitze zucken, Andere scheren kurz aus der Gruppe aus, um ihre Energie zu entladen. Zwei professionelle Performerinnen sind dabei, die anderen sind Laien. Eine knappe Woche lang wurden sie eingewiesen ins Amazonen-Dasein. Nun sind sie Teil von „LEGACY“ (Vermächtnis), der Deutschlandpremiere der ivorisch-französischen Choreografin Nadia Beugré zur Eröffnung des Winterfestivals Made in Potsdam.

Den für den 21. Januar geplanten „Marsch on Washington“ zitiert Sven Till, Leiter der fabrik Potsdam, aus Anlass seines kurzen Eröffnungsgrußworts herbei. Der Protestmarsch zur Inauguration des designierten US-Präsidenten Trump ist tatsächlich eine gute Assoziation, die Beugrés Arbeit mit Aktualität auflädt. Die Inspiration aber fand die Choreografin, wie sie in einem Text für den Abendzettel schreibt, bei den Frauenbewegungen der afrikanischen Geschichte. Etwa bei den Frauen von Bassam, die sich 1949 friedlich gegen die Kolonialherrn stellten, oder in der Legende um die aschantische Prinzessin und spätere Königin Aura Poku, die mit Gefolgsleuten in die Freiheit gezogen war und dafür ihren Sohn geopfert haben soll. Diese Geschichten werden am Ende des Abends von den Frauen, die bis auf Beugré, ihre Mitperformerin Hanna Hedmann und die Musikerin Manou Gallo alle weiß sind, in sich locker bildenden Grüppchen an die Zuschauer*innen weitergegeben. Die Oberkörper der Erzählerinnen sind dabei immer noch unbedeckt. Mit ihrer Nacktheit gehen sie so selbstbewusst um, dass sie selbstverständlich scheint.

Generell beeindruckt es, wie selbstverständlich die Teilnehmerinnen von „LEGACY“ ihre Rollen annehmen, wie vereint sie im Frausein scheinen. Aber es ist auch klar, dass hier ein Thema relativ einfach auf einen gemeinsamen Nenner heruntergebrochen wird. Um Frauenpower als Kraftquell geht es, um eine Behauptung davon, nicht um die Ziele, die damit erreicht werden sollen. Aber lässt sich diese Feier des „besseren Geschlechts“ aufrecht erhalten? Geht es um Macht, um Gerechtigkeit, um Unabhängigkeit, um Friedfertigkeit? Und was ist dran, an den Geschichten der Frauen? Wie lässt sich die Sohnesopferung verstehen? Als Symbolik des Matriarchats? Als blinder Götterglaube? Als grauenvolle Rache an einem Schwächeren? Diese Fragen stellen die Erzählerinnen in ihrem Gefolgsleute-Dasein nicht. Und so fehlt diesem Abend trotz seiner geschlossenen Stimmung der Griff auf das Thema. Schade, denn die einzelnen Komponenten von „Legacy“ haben Potential zu mehr.

Neben dem die Rahmenhandlung bildenden Frauenchor beeindrucken die zwei Tanz-Performerinnen Beugré und Hedmann im Team mit Gallo durch ihre herausfordernde Präsenz. Ein Miteinander im Gegeneinander bilden sie, sich aneinander messend, gegeneinander schmeißend, auseinander sprengend, brachial phallische Ersatzbefriedigung simulierend – die eine ist der anderen Hindernis und somit ihr Ansporn. Die E-Gitarre kommentiert mal mit harten Rockriffs und Rhythmen, mal melancholisch, mal lyrisch, dann wieder entlockt die Musikerin einer Whisky-Flasche Jodellaute, die sie ins Beatboxen übergehen lässt oder bricht im Dialog mit Beugré überraschend in einen rituell wirkenden Gesang aus.

Den größten Effekt aber hat das Bühnenbild, das auch als eigenständige Installation bestehen könnte. Anfangs liegt nur ein riesiger Haufen BHs auf einer der Raumseiten (das Publikum ist im Arenastil angeordnet). Nach Müllhalde, aber auch nach Altar sieht diese bunte Ansammlung aus. Dass es sich um ein Arrangement kalkuliertester Ordnung handelt, dass es auf eine ausgetüftelte Entfaltung angelegt ist, dieses Gewahrwerden erzeugt dann den größten Moment von „LEGACY“. Denn die BHs sind zu einzelnen Flickenteppichen miteinander verknüpft. Mit Flaschenzügen an den Bühnenhimmel gezogen, bilden sie ein kuppelreiches Himmelszelt oder auch ein hoch über unseren Köpfen wogendes Spitzenmeer. Eines der Teppich-Objekte bleibt für Nadia Beugré reserviert und wird sie später, in mehreren Lagen über ihren barbusigen Körper geschlungen, wie eine Hohepriesterin der Amazonendekonstruktion erscheinen lassen. Der Büstenhalter, dieses schon längst seinem Namen entwachsene Ding, hat sich hier genauso von seinen Trägerinnen emanzipiert wie anders herum. Fehlt noch, dass der joggende Pulk in seiner Zielrichtung mit der Bildkräftigkeit des Bühnenbilds mithalten kann und tatsächlich ein Vermächtnis sichtbar macht, für das es sich zu kämpfen lohnt.