„Lounge“, Marga Alfeirão ©Mayra Wallraff

„Ahhhhhhhh…“

TANZTAGE BERLIN 2023 >>> Eine Premiere, die die Grenze zwischen dem Selbst und dem der Anderen in einer erotischen Erkundung des Ruhens aufhebt: „Lounge“ von Marga Alfeirão und Team, präsentiert am 5. Januar 2023 als zweite Eröffnungsperformance der Tanztage Berlin in den Sophiensaelen.

„Lounge“ beginnt im Dunklen. Dichter Theaternebel hängt im Raum, während das Publikum den Saal betritt. Zwei Figuren liegen träge praktisch mitten auf der Bühne. Sie sind kaum zu sehen. Dann verzieht sich der Dunstschleier und weicht sanftblauem Licht. Leises Gemurmel wird eingespielt, kaum hörbar. Entspannte Stimmen erklingen und verklingen in einem flüchtigen Echo. Die sich weiblich definierenden Tanzenden tragen lockere, weiße Kleidung, teils von Netzstoff durchsetzt (Kostüme: Nani Bazar). Sie wirken abwesend und verändern ihre Position, als erwachten sie gerade oder agierten noch halbschlafend. Das Licht (Design: Thais Nepomuceno Veiga) formt eine Art Kokon, ein Schutzschild gegen den Druck der Welt, in dem dieses Monument der Ruhe in den nächsten 45 Minuten wirken kann.

Eine Tänzerin beginnt zu zucken. Die anderen schauen zu. Wir drängen als Voyeur*innen in die „Lounge“, in den Raum des Spiels und der Darstellung. Auf der Grundlage ihrer Recherchen zu Intimität und Sexualität entwickelten Marga Alfeirão und ihre Crew (darunter die Tänzerin Mariana Benengue und die Co-Choreografinnen Myriam Lucas und Cajsa Godée) eine Art Ode an die sexuelle Beziehung der Menschen in ihrer reinsten Form, erwartungslos, verfeinert reduziert auf die Lust am Geben und Nehmen. Als Publikum sind wir während dieser intimen Begegnung nur nominell anwesend: Ein Po oder Unterleib isoliert in einem Mikro-Twerk (Alfeirão nennt es einen „unsichtbaren Lap Dance“) präsentiert sich den anderen, die – natürlich – freundlich sehnsuchtsvoll lächeln. Die Plattform erweitert sich, begleitet von Shaka Lions Mix aus stampfenden Rhythmen und erhabenen Chorälen, die den erotischen Pulsschlag unter der Oberfläche andeuten, durch diverse Formationen und Bewegungen.

In der Erkundung der Positionen im Geist der Offenheit und des Spiels hält „Lounge“ die Balance zwischen dem Expliziten und dem Zarten. Gelegentlich vollführt eine Performerin eine so winzige Bewegung (ein Taumeln, ein Zittern, ein Zucken des Fingers, schließlich ein Spucken), dass wir uns fragen, ob sich das vielleicht nur in unserer Fantasie abspielt. Und doch bestätigt die Tanzpartnerin den Move, mit leichtem Nicken oder anderweitig anerkennend. Es ist ein profundes, inneres Bild von Erotik: zwei Figuren in Welten gebettet, die getrennt voneinander existieren und sich doch vorsichtig überlagern, mit sinnlicher, warmer Suggestion ineinander dringen.

Sorgsame dramaturgische Interventionen (Dramaturgische Assistenz: Jette Büchsenschütz) runden das Stück ab, als es im herrlich sublimen, goldenen Licht in seine dritte Phase eintritt. Vor allem die grelle Saalbeleuchtung straft uns für unseren Voyeurismus und versetzt die Bühne abrupt in den Zustand eines privaten Raumes. „Lounge“ lebt in einer Nische und expandiert doch in seiner Bewegung in entspannte und unscheinbare Performancestile, die das Publikum auf unbeteiligte Weise ansprechen und manchmal auch fast ignorieren. Vielleicht ist es eine Melange aus Slacker-Kultur und anderen Formen des Widerstands gegen den intensiven Druck des Kapitalismus, endlose Krisenzyklen und aktiver Entspannung. Vielleicht ist es Widerstand oder sogar ein Ausweg. Die Ruhe ist hier ein Vorschlag, eine Voraussetzung für Sex. Komplizität markiert die Aufhebung der Grenzen der Körper, die sich ineinander entspannen, in einer Performance mächtiger Weiblichkeit, die mit geduldiger Kraft ihre Forderung nach Komfort erhebt.

Zusammen mit „Bang Bang Bodies“ eröffnete „Lounge“ die Tanztage 2023 und offensichtlich traf die Performance den Geschmack der Berliner Tanzszene, die mit spürbarer Zufriedenheit und Energie in die Nacht zurückkehrte.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


„Lounge“ von Marga Alfeirão (Performance: Marga Alfeirão, Mariana Benengue – Choreografie und Tanz entwickelt mit: Myriam Lucas, Cajsa Godee, Mariana Benengue – Musikbearbeitung und Mixing: Shaka Lion, Hinna Jafri – Szenografie: Yoav Admoni – Kostümdesign: Nani Bazar – Lichtdesign: Thais Nepomuceno Veiga – Dramaturgische Unterstützung: Jette Büchsenschütz – Dank an: Francisca Spuzi) wurde am 5. und 6. Januar 2023 als Eröffnungsvorstellung der Tanztage Berlin in den Sophiensaelen gezeigt. Die Tanztage Berlin 2023 laufen noch bis zum 21. Januar, das Festivalprogramm und Ticketinformationen finden Sie unter tanztage-berlin.sophiensaele.com.