„Bang Bang Bodies“, Xenia Koghilaki ©Mayra Wallraff

Eine zentripetale Performance

TANZTAGE BERLIN 2023 >>> Insistierend, energisch, kraftvoll: Mit „Bang Bang Bodies“, der Eröffnungsperformance der Tanztage Berlin in den Sophiensaelen am 5. und 6. Januar 2023, zieht Xenia Koghilaki das Publikum in ihren Bann.

Helles Licht. Zwei Performerinnen – die Choreografin Xenia Koghilaki und Ko-Kreatorin Luisa Fernanda Alfonso – auf einer gleichmäßig ausgeleuchteten Bühne, den Rücken dem Publikum zugewandt, die dunklen Haare offen. Eine hockt, die andere steht. Sie tragen Sneakers, aufgekrempelte Jeans und T-Shirts. Die Premiere der Tanztage 2023 in den Sophiensaelen am 5. Januar ist ausverkauft. Das Standbild vor der Show begleitet uns, wie wir in den Saal strömen, uns hinsetzen und warten, bis auch die Nachzügler*innen von der Warteliste ihre Plätze gefunden haben. Und dann: Schweigen. Stille, bis plötzlich Lichter flackern, Musik dröhnt und die Performerinnen headbangen, umeinander springen, über die Bühne jumpen, mit einer Energie, die an ein Heavy-Metal-Konzert denken lässt. Nur wenige Sekunden und mir ist schwindelig, ich verliere die Orientierung. Ich weiß nicht, wie lange ich mir das ansehen kann.

Doch „Bang Bang Bodies“ treibt es nur kurz auf diese optische Spitze. Nach einer knappen halben Minute stoppen die Stroboskope so abrupt, wie sie begonnen haben. Die Musik wird ausgeblendet, die Künstlerinnen verharren erneut regungslos. Fast regungslos: Die Haare wehen sanft über ihren Gesichtern. Getrennt von uns, allein hinter dem Vorhang ihrer Locken, scheinen sie mit den Texturen und Mustern zu spielen, die zarte, wiederholte Bewegungen des Kopfes in Tausenden von Strähnen schaffen. Ich sehe Bewegung im Entstehen. Gemächlich. Nach und nach größere Gesten. Es geht nur um die Haare, scheint mir. Koghilaki und Alfonso bewegen sich aufeinander zu, schütteln ihre Mähnen gemeinsam. Ihre Oberkörper und Köpfe schwingen, zeichnen wirbelnde Haarformen in die Luft, die die Schwerkraft betonen und ihr zugleich widerstehen. Ihre Köpfe kreisen synchron, dann asynchron, dann wieder synchron. Ein leises Summen ist zu hören (Sound Design: Ernesto Cármaco Cavazos). Jetzt sind sie Seite an Seite. Immer schneller kreisen ihre Köpfe, ändern die Richtung, kommen zur Ruhe, beginnen neu, ruhen, beginnen, ändern die Richtung, stoppen, halten inne, beginnen neu. Das Summen erinnert nun an Musik, pulsiert, pocht, wird schneller und langsamer, ganz wie die Performerinnen. Ich erkenne Nuancen, die sich im Repetitiven entfalten. Ich erfahre Kopf und Haar als ganze, durchgehende Gliedmaße, wie ein Arm. Ich werde mir des Kopfes bewusst, als Ensemble von Schädel, Gehirn, Augen und den anderen Sinnesorganen des Gesichts. Ich spüre das Blut, das Blut, wie es durch ihn wirbelt.

Der zentrale Part von „Bang Bang Bodies“ beginnt für mich in dem Moment, in dem ich spüre, dass Koghilakis und Alfonsos Blut nach meinem ruft. Diese Performance empfindest du physisch auf deinem Sitz im Saal. Für Koghilaki ist Headbanging eine Methode des Erkundens von Kollektivität und Zusammensein, ein Ergebnis ihrer in der Zeit der pandemischen Quarantäne und Isolierung begonnenen Recherchen, als sie das Tanzen mit anderen vermisste. Sie selbst bezeichnet es als Interesse am „allein gemeinsam Tanzen“. Headbanging ist ein Instrument, um genau das zu erreichen. Die Percussion fügt sich in die Klänge, die Performerinnen brechen aus ihrer Formation als einander zugewandtes Duo und tollen über die Bühne. Eine zentripetale Kraft zieht mich an. Sie messen sich, umeinander tänzelnd wie in einem Boxring. Das Licht (Lichtdesign: Vito Walter) fällt in Kaskaden in einen Kreis über sie, lässt ihre Schatten sich um die Körper drehen. Wieder wird mir schwindelig. Doch dieses Mal kann ich es ertragen.

Die Künstlerinnen wirbeln aus dem Auge der Sturms heraus, jetzt wieder headbangend, in Richtung Ende der Show. Keine Stille mehr, nichts Zartes. Bewegung heißt das Spiel. Alles pulsiert, mit der Kraft eines Fausthiebs. Humor ist das Medium, mit dem sie uns tiefer in ihre Trance ziehen. Koghilaki dreht sich eine Zigarette – während sie bangt. Sie zieht ihre Jeans und Unterwäsche runter, packt eine Monatsbinde aus und klebt sie in den Slip. Beide reißen eine Packung Chips auf und teilen sie. Das Publikum lacht schallend. Das ist wahre Comedy. Besser noch, denn der Witz der Performerinnen betont die physische Reise, auf der wir uns gerade gemeinsam befinden. Ich spüre die Desorientierung der Künstlerinnen, ihre Anstrengung bei der Erfüllung dieser Aufgaben, die von Menschen erdacht wurden, die nicht ihre Köpfe und das gesamte sinnliche Ensemble, das dazugehört, rhythmisch nach vorne und hinten werfen und wirbeln lassen.

In einer Art Finale lackiert Alfonso Koghilaki die Fußnägel. Dann gehen die Lichter aus und der Vorhang hebt sich. Die Performerinnen liegen schwer atmend auf dem Rücken, ihre Gesichter tiefrot. Jetzt erst sehe ich ihre Gesichter. Zum ersten Mal an diesem Abend. Wie ungewöhnlich, denke ich: Ich fühlte mich eng verbunden mit zwei Menschen, ohne ihnen in die Augen geschaut zu haben.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


„Bang Bang Bodies“ von Xenia Koghilaki (mit Ko-Kreation/Ko-Performance: Luisa Fernanda Alfonso, Sounddesign: Ernesto Cármaco Cavazos, Lichtdesign: Vito Walter) wird am 5. und 6. Januar 2023 als Eröffnungsvorstellung der Tanztage Berlin in den Sophiensaelen gezeigt. Die Tanztage Berlin 2023 laufen noch bis zum 21. Januar, das Festivalprogramm und Ticketinformationen finden Sie unter tanztage-berlin.sophiensaele.com.