„A Divine Comedy“, Florentina Holzinger ©Nicole M Wytyczak

Eine Menschliche Komödie

In Florentina Holzingers Stück „A Divine Comedy“, welches im August bei der Ruhrtriennale uraufgeführt wurde und die Tanzsaison der Volksbühne eröffnete, mischen sich Totentanz, Orgasmen, Techno, Hindernisläufe, Bodypainting, die Sezierung einer Ratte, ein in Brand gesetzter Körper, viel Humor, ein fliegendes Klavier und vieles mehr zu einem kraftvollen Theaterwerk.

Dante Alighieris Göttliche Komödie beginnt mit einem im Wald umherirrenden Protagonisten – ein Moment, der psychologisch als Orientierungslosigkeit im Leben gedeutet werden kann. Holzingers Stück hingegen beginnt mit einer kollektiven Hypnosetherapie, mit welcher sie die Erzählung in die Gegenwart verlegt. Wenige Augenblicke später erfahre ich, dass die Figur des Dante Alighieri selbst von einer Frau (Annina Machaz) namens „Dante“, die Teil eines rein weiblichen, nackten und generationsübergreifenden Ensembles ist, verkörpert wird. Sie ist lediglich mit einem roten Renaissance-Umhang über den Schultern und einem Kranz aus Lorbeerblättern auf dem Kopf, sowie einem Paar Turnschuhen bekleidet.

Ich würde gerne versuchen, einige Eindrücke über die Aufführung zu vermitteln, auch wenn die komplexe Struktur und der Reichtum der Details jede Beschreibung unvollständig macht. Holzinger platziert die Hölle, das Fegefeuer und den Himmel auf ein und demselben Bühnenbild: Auf beiden Seiten der Sitzplätze des Publikums blinkt ein Bildschirm mit Ausdrücken wie „dunkel und tief“ auf und auch die Zeichen „Hölle“, „Fegefeuer“ und „Paradies“ tauchen an den entsprechenden Stellen der Erzählung auf. Auf der linken Seite ist ein weiblicher DJ zu sehen, die nackt ist und auf deren Rücken ein falsches Skelett reitet. Auf der rechten Seite tut eine Performerin so, als würde sie eine Ratte sezieren. Die Bilder der Sezierung werden in unregelmäßigen Abständen auf die Bildschirme projiziert. Im hinteren Teil der Bühne sind zwei Treppen zu sehen und von der Decke hängen zwei Autos.

In der „Hölle“ wird Dantes Geliebte Beatrice vorgestellt, welche von der passend benannten Beatrice Cordua gespielt wird, einer ehemaligen Ballerina des Hamburger Balletts, die jetzt in ihren 80ern ist und in einem motorisierten Rollstuhl sitzt. Es folgen ein Hindernislauf, ein Techno-Tanz, eine Cross-Bikerin, ein Totentanz mit nackten Darstellerinnen, die falsche Skelette auf dem Rücken tragen und sogar zwei Stuntfrauen, die sich die Treppe hinunterstürzen. Das „Fegefeuer“ entwickelt sich zu einem orgiastischen Gemälde, das vom gesamten Ensemble in Anlehnung an Action-Body-Painting der 1960er Jahre aufgeführt wird, gefolgt von Darstellerinnen, die auf Maler-Paletten defäkieren. Wir lassen das „Fegefeuer“ aber schnell hinter uns und steigen in den „Himmel“ auf, der durch die seitlichen Bildschirme mit den Wolken, einer fröhlichen Masturbationsszene und dem Geschlechtsverkehr zwischen Dante und Beatrice in ihrem Grab gekennzeichnet wird. Schließlich wird ein Flügel auf die Bühne gebracht und mitsamt Spielerin an die Decke gehievt, während sie an diesem spielt – einem Aufstieg in den Himmel gleichend. Währenddessen kracht eines der Autos auf Beatrices Grab.

„A Divine Comedy“ steht in einer Linie mit Holzingers früheren Arbeiten (wie „Tanz. Eine sylphidische Träumerei in Stunts“, 2019), indem es Klassiker mit einer von Kampfsport, Stunts, Sport und Clubbing geprägten Bewegungssprache neu inszeniert und dabei ein rein weibliches und durchgehend nackt agierendes Ensemble einsetzt.

Als ich das Theater verließ hatte ich das überwältigende Gefühl, dass es mir sehr viel Spaß gemacht hat das Stück zu sehen, ich fühlte mich angeregt. Ich war fasziniert von dem theatralischen Geschick, das nötig ist, um ein zweistündiges Stück zu schaffen, das von filmischen Strategien geprägt ist (die manchmal auf Splatter- und Horrorfilme verweisen). Drei Aspekte des Stücks weckten meine besondere Aufmerksamkeit: die Neuinterpretation des Konzepts der Erlösung, die Rolle der Frauen und die Wiederherstellung der Bedeutung der Komödie für ein größeres Publikum.

Zunächst fiel mir auf, dass Holzingers Werk trotz der Botschaft in Dantes Göttlicher Komödie nicht nach einer ewigen Erlösung oder einem Heil zu suchen scheint. Vielmehr geht es um das materielle und emotionale Vergnügen einen Körper zu besitzen und alles, was damit verbunden ist.

Darüber hinaus wird in Alighieris Werk die Rolle der Frau als Begleiterin und Wegweiserin auf dem Weg zur Erlösung klar definiert. Auch wenn es im Original nur wenige Frauen gibt, sind sie unverzichtbar, damit Dante seine Reise in den Himmel vollzieht. Während Beatrice im Original erst im Himmel auftaucht, ist sie bei Holzinger von Anfang an in der Hölle präsent – als ob Hölle und Himmel in ihrer Person verschmolzen wären. Wie bereits erwähnt, macht Holzinger durch die Wahl einer ausschließlich weiblichen Besetzung ein klares Statement zu Geschlechterrollen, auch wenn sie selbst in Interviews beteuert, dass sie sich nicht direkt mit Geschlechterfragen beschäftigt (Holzinger 2018a). Trotz dieser Behauptung glaube ich, dass Holzingers Arbeit die Präsenz starker und selbstbestimmter Frauenkörper auf der Bühne fördert, indem sie diesen Radikalität in ihren Aktionen abverlangt.

In der italienischen Kultur schließlich gilt Dante Alighieri als einer der angesehensten Dichter (in diesem Jahr jährt sich sein Todestag zum 700. Mal), der mit der Göttlichen Komödie im 14. Jahrhundert zur Entstehung der modernen italienischen Sprache beitrug. Als Dante beschloss, dieses Werk in seinem toskanischen Dialekt zu verfassen, anstatt wie erwartet auf Latein, machte er die Göttliche Komödie nicht nur für die gebildete Oberschicht, sondern für die gesamte Bevölkerung verständlich. Indem er den toskanischen Dialekt über andere Varianten des Italienischen erhob, leitete er den Prozess zur Schaffung einer einheitlichen italienischen Sprache ein. Das Werk trug ursprünglich den einfachen Titel Commedia und fand großen Anklang bei der Bevölkerung. Das „Göttliche“ wurde erst viel später von dem Dichter Boccaccio hinzugefügt. Holzingers Werk kehrt in gewisser Weise zur Intention von Alighieris ursprünglichem Titel zurück – nicht nur, weil Dante hier eher als Karikatur (mit all seinen unmißverständlich veräußerten körperlichen Bedürfnissen) anstatt als angesehener Dichter gezeigt wird, sondern auch dank der Verbindung von Klassischem (wie der Figur der Ballerina) und Populärem (wie Techno und Stunt), offenbart sich die Komödie in ihrer wichtigsten Essenz, als eine Kunstform, die zu einem breiteren Publikum spricht.

Deutsche Übersetzung von Alex Piasente


„A Divine Comedy“ von Florentina Holzinger: Berliner Premiere am 23. September 2021, nächste Vorstellungen in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz 8.+9. Oktober, 5.+6. November, 18.+19. Dezember 2021 und 6.+7. Januar 2022. Für weitere Einblicke in Holzingers bisherige Arbeit siehe Annette van Zwolls tanzschreiber-Rezension „A Different Kind of Ballet“ (08/03/2020).


Referenzen: (2018a): “Performerin Holzinger: ‘Als wäre ich ein Pornostar’”, Profil (28/09/2021) – (2018b): „Florentina Holzinger: The Dancer’s Body Being Exhibited is Always a Sexual Object”, Spike Art Magazin (28/09/2021).