„Blazing Worlds“, Sergiu Matis ©Nella Aguessy

Aus der Leere von Feuer und Eis

In „Blazing Worlds“ verarbeitet Sergiu Matis einen 350 Jahre alten Science-Fiction-Text und mehr. Im Rahmen der Koproduktion :LOVE: mit der Tanzfabrik Berlin feierte das Stück am 20. April 2023 im Radialsystem Premiere (Vorstellungen 20. bis 23. April 2023).

1666 schrieb Margaret Cavendish, die Herzogin von Newcastle, eines der ersten Science-Fiction-Werke. Ihr Buch mit dem Titel The Description of a New World, Called The Blazing-World (meist nur The Blazing World genannt) wird nach anfänglichem Ruhm bald vergessen. Erst in den 1980er Jahren erinnert sich die Welt dieser literarischen Besonderheit: ein Roman, verfasst von einer Autorin, in einer Zeit, in der man Frauen in der Regel das Schreiben verbot, erschienen nicht unter Pseudonym, sondern unter ihrem eigenen Namen, in einem Genre, das erst 200 Jahre später begründet wird.

Sergiu Matis lässt sich von Cavendishs Text inspirieren und inszeniert in „Blazing Worlds“ humorvolle Fragmente für die Bühne. Die Performance beginnt mit der Begegnung des Publikums, das sich im ersten Raum des Radialsystems zusammenfindet. Unter die Zuschauenden mischen sich sechs Tanzende – Emilie Gregersen, Aya Toraiwa, Kasia Wolinska, Nicola Micallef, Kelvin Kilonzo und Guilherme Morais. Sie kündigen ihre Präsenz mit heftigen Impulsen an, während sie durch die Menge streifen, die Menschen im Saal erkunden, hier und da synchrone Bewegungen ausführend, wenn sich ihre eigene Dynamik auf eine*n andere*n Tanzende*n überträgt. Projektionen in der Mitte und an der Rückwand des Raumes (Video- und Bühnenbild: Adrian Ganea) zeigen eine Mischung aus abrupten Gesten, Gletscherszenerien und antiken Ruinen, gehüllt in eine Klanglandschaft aus Meeresrauschen und dröhnendem Techno (Sounddesign: Andrea Parolin). Sie vermitteln eine Idee von sich re- und dekonstruierenden Welten.

Nach dieser Eröffnung werden wir, die Zuschauenden, auf die zweite Proszeniumsbühne gebeten. Dort empfängt uns ein prähistorisches Fantasiepanorama mit orangefarben verkohlten, silhouettenhaften, bizarren Stalaktiten. Riesige Saurierknochen liegen auf dem Boden. Die Tanzenden bewegen sich, vollführen zerrissene, unzusammenhängende Regungen, tanken gegenseitig Energie, hier und da überträgt sich ein Move, eine*r führt, eine*r folgt, bis sich alles in einem fast animalistischen Schrei entlädt.

„Blazing Worlds“ ist von einem eigenartigen Witz durchzogen, der sich nicht zuletzt in der lässigen Kleidung der Tanzenden manifestiert, die ein manchmal absurdes Vokabular realisieren. Die ersten gesprochenen Worte – „There is a New World coming“ – scheinen aus einer düsteren Leere hervorzuhallen. Wie in einem Traum. Es folgen weitere Zitate aus Cavendishs Roman. Derweil setzen die Performenden die Dinosaurierknochen zusammen und zerlegen sie wieder, fügen sie zu groben, humanoide Figuren. Dann formieren sie sich zu Trios. Eine dreiköpfige Einheit starrt von der Bühnenmitte ins Publikum, die andere erinnert, im Hintergrund kriechend, an eine menschliche Raupe.

Die verschiedenen Modi, die die Dramaturgin Mila Pavićević zusammenstellt, wirken evident bizarr und sind in ihrer Komposition geradezu beunruhigend. Das Stück driftet scheinbar beliebig zwischen Oper und Märchen. Aya Toraiwas Geschichte vom Betreten der Steine des schlammigen Ufers des Tamar wirkt ungewöhnlich neben der trockenen Erläuterung des zweiten Satzes aus Dvořáks Sinfonie Aus der neuen Welt oder sublimen, aus Gesang gewebten Klangteppichen, insbesondere, wenn Nicola Micallefs fantastische Stimme ertönt. Eingebaut sind auch wiederholt irrige Enden der Performance. Wir schrecken auf, wenn Kelvin Kilonzo uns mit einem „Danke für Ihren Besuch“ zu entlassen scheint, bevor er uns durch eine besondere Höhle führt während Guilherme Morais einen Salat zubereitet. Später heben alle ab in einem Raumschiff, zum Sound eines Synthesizers und mit dem futuristischen Ausruf: „Wir waren zu lange fort, in einer entfernten Galaxie“. Das erinnert an das vage enervierende Plädoyer für die „Rückkehr in unsere Welt“.

„Blazing Worlds“ generiert ein explizit nachdenkliches Schweigen, während das Publikum dieses Labyrinth textlicher Referenzen und Bewegungsrahmen dekodiert, die hier pfiffig als Tools der Täuschung und Verschleierung eingesetzt werden. Gleichwohl erscheinen die absurden, experimentellen Entscheidungen nie beliebig. Sie folgen vielmehr einer fremden, elusiven, externen Logik, kaum mehr als eine neue Assemblage ihrer Fragmente, die sich in die durch sie vermittelte körperliche Erfahrung kapseln.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


„Blazing Worlds“ von Sergiu Matis wurde am 20. April 2023 im Rahmen der Koproduktion :LOVE: mit der Tanzfabrik Berlin im Radialsystem uraufgeführt. Weitere Shows an diesem Wochenende, am 22.04.2023 um 20 Uhr (mit Audiodeskription & Haptic Access Tour um 19 Uhr) und am 23.04.2023 um 18 Uhr, Tickets ab radialsystem.de.