„URSA-X“, Liz Rosenfeld ©Christa Holka

In einem nicht zu füllenden Loch

Liz Rosenfelds „URSA-X“, einer vom 20. bis 23. April 2023 präsentierten Inszenierung in der vierten und letzten Ausgabe der Frühlingsreihe Queer Darlings in den Sophiensælen, ist eine Meditation über Löcher jeder Größe, vom mikroskopisch kleinen bis zum planetenumspannenden.  

Als ich mit den übrigen Zuschauenden den Hochzeitssaal in den Sophiensælen betrete, befinden sich bereits zwei Personen im Zentrum des rundum von Sitzreihen gerahmten Spielraums. Sie ruhen auf einem schwarzen Stoffkreis, ein Fellhügel zwischen ihnen. Sie sprechen miteinander, leise, unhörbar, ganz privat. Ein Lichtring umgibt das Bild. Ich brauche eine Weile, bis ich realisiere, dass sich das langsame Dimmen und Hellerwerden des Lichts wiederholt. Der Raum scheint quasi ein- und auszuatmen. Die beiden Protagonist*innen (Liz Rosenfeld, R. Justin Hunt) ziehen sich schwarze Latexhandschuhe an und fügen den Fellhaufen zu einer Art Robe (Kostümdesign: Marquet K. Lee). Nun hören wir eine Stimme aus dem Off. Sie erinnert an eine beruhigend auf uns einredende Flugbegleiterin oder an die Erzählerin einer Doku über den Kosmos und bietet eine Art Orientierung in der Welt, die wir soeben betreten haben. Die Stimme ohne Gesicht nennt sie ein Loch und weckt damit diverse Erwartungen unsererseits. Die klare Trennung zwischen Zugang und dramaturgischem Gerüst ist aufgehoben bis zu dem Punkt, an dem es absurd erscheint, sie separat zu denken (Accessibility-Dramaturgie: Noa Winter, Dramaturgie: An*dre Neely). Der Anfang des Stücks ist zugleich das Ende. Wir – das Publikum, Liz, Justin, Text, Technik, Story, das abnehmbare Bärenfell – werden erzählt und geprägt als Wesen, die ebenfalls im Loch leben: „Wir alle sind hier drin zusammen, so lange wie nötig, bis wir die Wände spüren.“

„URSA-X“ entwickelt sich um eine Reihe von Szenen/Löchern innerhalb des großen Lochs, die jeweils bei Beginn mit einer an eine unebene Wand projizierten Text angekündigt werden. Die Szenen/Löcher wiederum sind gefüllt mit löchrigen Themen, die ebenfalls in Wandprojektionen beschrieben sind. So lesen wir beispielsweise: Loch 1: Löcher für den Anfang. Loch 3: Peripherien, Kanten, verborgene Geschichten. Loch 6: Löcher als Methode. Loch 7: Löcher in Aktion, Leerstellen in der Erzählung. Gewiss habe ich Löcher ausgelassen. Zwar sind die Löcher und Szenen nummeriert, doch die Zahlen stimmen nicht. Bei den Löcherzahlen ist die Reihenfolge durcheinander(geraten). Die Szenenzahlen scheinen zwar linear, doch der Blick in meine Notizen offenbart mir ex post, dass da, wo Szene 6 und 7 sein sollten, ein Loch ist. Vielleicht habe ich aber auch etwas übersehen? In diesem Loch geschieht sehr viel, und ohnehin ist – wie uns der Text (Johanna Linsley) und die Performenden/Kreativen immer wieder und auf verschiedene Weise erinnern – ein Loch weder, womit es gefüllt wird, noch seine Umrandung.

Was ist es also? „URSA-X“ will uns Ideen präsentieren, uns mit Gedanken konfrontieren, die in diesem ausgehöhlten Loch ihr Echo finden. Die Performance als Collage aus Löchern. Wir ziehen vom Planetarischen zum Mikroskopischen. Wir bohren Körperhöhlungen und die sie begleitende Lust – auf Sex oder Nahrung. Der höhlenartige Performanceraum ist ein Loch und enthält Löcher. Direkt vor Szene 5 / Loch 2 puhlen Liz und Justin Stücke aus der unebenen schwarzen, löchrigen Wand, und Licht fällt durch (Bühnenbild: Sadie Weis, Lichtgestaltung: Joseph Wegmann).

Wie jede Collage ist auch „URSA-X“ ein bunter Mix aus Input und Bildern, aus Referenzen und Information. Umso mehr, als es sich um eine sorgsam durchdachte Komposition für differente Fähigkeiten und Schwächen handelt. Die Dramaturgie gleicht fast einem Happening, und als Zuschauende muss ich mich damit abfinden, dass es unmöglich ist, alles wahrzunehmen. Genau so ist es auch gedacht. Justin und Liz improvisieren, und die Wandtexte begleiten sie. Sie erklären beispielsweise, warum es unmöglich ist, diese oder jene Szene zu übertiteln. Wer, wie ich, hört und sieht, kann den Text an der Wand lesen. Dieser wird zur Figur im Spiel. Oder aber ich entscheide mich, der Impro zu folgen. Wer beides versucht, verpasst die Komödie, den Witz. Wer beides versucht, hat weniger Spaß.

Die Entscheidung, auf was oder wen ich meine Aufmerksamkeit richte, ist ein beständiger Part für die Zuschauenden einer Live-Performance. Ich akzeptierte sie als Element meines Ertastens eines Weges durch das Loch. Doch mir gefielen auch die ruhigeren, stilleren Löcher. In Loch 7 (Löcher in Aktion) trägt Liz die Ursa-Robe in die Mitte. They dreht den Körper langsam im Kreis, und während they diese Drehungen vollzieht, verdrehen sich auch einzelne Körperteile: Hüfte, Finger, Handgelenke, Bauch. They zeichnet mit dem Zeigefinger einen Kreis um das Herz. Ein Loch, das nicht gefüllt werden kann? Ein Loch in der Geschichte? Vielleicht müssen wir länger im Loch bleiben, um das herauszufinden.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese