Seit 15 Jahren gibt LUCKY TRIMMER nicht abendfüllenden Performances eine Bühne und füllt damit eine Lücke in der Berliner Performance-Landschaft der freien Szene. Die Jubiläumsedition der Non-Profit-Initiative war zu Ostern (wie schon seit sieben Jahren) in den Sophiensælen zu Gast.
Acht mal zehn Minuten Tanzperformance, drei Berlin-Premieren und drei Deutschland-Premieren. Keine Menschen, die aus Geburtstagstorten springen. Ohne Umbauten und aufwendige Lichtsettings und viel Offenheit für experimentelle Formate und Newcomer. Die Idee für LUCKY TRIMMER wurde 2004 von Clint Lutes aus New York importiert und mit Mimi Messner und Dr. Uwe Kästner in Berlin im legendären Tacheles umgesetzt – von Anfang an, und leider noch immer, ohne öffentliche Fördermittel. Amy Stafford ist seit der ersten Show begeistert dabei und und steuerte der fröhlich-schrägen Performance-Gemeinschaft das auffällige Grafikdesign mit hohem Wiedererkennungswert bei.
Beim Titel LUCKY TRIMMER denkt man vielleicht zuerst an die getrimmte Performancezeit, aber es steckt sogar noch eine weiter entfernte Namensgebungs-Anekdote dahinter: LUCKY TRIMMER hieß in den 1970ern ein amerikanisches Sportgerät, das man beim Teleshopping erstehen konnte, und das einen glücklich und schlank werden lassen sollte. Und der Name referiert natürlich auf die kurze, knappe und glückliche Zeit, die die Performer*innen zur Verfügung haben.
Eröffnet wird der Abend von Martina Kogan, dem Publikumsliebling des Open Stage-Geburtstagsformates LUCKY Spot – fünf Minuten auf fünf mal fünf Metern ohne Lichtwechsel oder anderen Add-Ons wurden den Performerinnen in der Vorauswahl zur Verfügung gestellt. Martina Kogans Stück „Fecha 5“ zeigt eine akrobatisch-humorvolle Illustration zu den lauten, enthusiastischen Ausrufen des berühmten Fußball-Kommentators Victor Hugo Morales. Kogan vereint die emotionalen und körperlichen Parallelen, die sich im Tanz und im Fußball finden lassen – und schmeißt sich zu den emotionalen Tor-Jubelrufen des Kommentators in fußballähnlicher Pose auf den Boden, während sie sich sonst in zahlreichen Rädern, Bogengängen und Flickflacks über das schwarze Linoleum bewegt.
Wenn eine Braut im Hochzeitssaal der Sophiensæle performt, könnte die Location passender nicht sein. Doch in „L´Épouse“ hat sich noch eine gute Prise Horrorästhetik à la Tim Burton und Lars von Trier gemischt. Schon bevor das Publikum hereingelassen wird, trippelt und zuckt die Horrorfilmbraut durchs Foyer. Die weiße Haut scheint vor Schrecken ganz fahl, die Augen rot unterlaufen und der Blick leer und starr. Die puppenhaften, mechanisch steifen Bewegungen erinnern ein bisschen an eine Spieluhrballerina auf einem kaputten Uhrwerk. Die Mundwinkel zucken vor Anspannung, der Kopf ruckt auf dem sonst steifen Torso hin und her. Eine Suchende, der die Angst und Anspannung auf den ganzen Körper gezeichnet ist. Nervöses Trippeln kommt in angsterfüllten Posen zum Stillstand, das kleine violette Blumensträußchen fest umklammernd.
„Triptico“, ein Tangoduett in Jazzdance-Sneakern und schlichten dunklen Trainingssachen, wirkt in seiner zeitweisen ernsthaften Tango-Strenge etwas aus der Zeit oder aus dem Rahmen gefallen, hinterfragt aber genderbezogene Machtaspekte des Führens und Folgens. Rémi Esterle und Noémie Ettlin bringen Einflüsse aus Paris und Buenos Aires, aus dem Tango und Zeitgenössischen Tanz in einer Choreographie zusammen, in der die Beinbewegungen wie auf Highspeed-Fastforward gespult erscheinen. Pärchen-Romantik bleibt die meiste Zeit außen vor, und oszilliert zwischen Machtkampf, Ausgeliefertsein und Willenlosigkeit.
Saskia Rudat lässt ihren Körper und das Gehirn der Zuschauer*innen zehn Minuten lang quer über die Bühne, raus zur Tür in den Backstagebereich, und unter der Zuschauertribüne heiß laufen. „Brainjogging“ ist spannenderweise nicht das einzige Stück des Abends, das eine große Portion (Panto)Mime enthält. Mit mime-typischen Handbewegungen illustriert sie zahlreiche bekannte Zitate aus der Performance- und Alltagsgeschichte, die leider etwas zu oft auf ein schnelles Erkennen von Bekanntem und sichere Publikumslacher abzielen. Doch damit ist sie äußerst erfolgreich und löst die bedrückende Lars von Trier-Stimmung der Brautfigur in eine heitere Gelassenheit auf. Man könnte zahlreiche rote Fäden an diesem Abend entdecken – so taucht zwischen den Slapstick-Mime-Momenten auch die „Tor-Pose“ des Publikumslieblings aus der Open Stage auf – und geben den Zuschauerinnen ein gutes Gefühl des Wiedererkennens von Bewegungsmustern von vor ein paar Minuten. Die Performerin schließt ihre Darbietung – ganz im Sinne ihres klaren Konzeptes mit Selbstapplaus – vielleicht auch als ironische Anspielung auf die häufige Verunsicherung eines Publikums zeitgenössischer Performances, wann es dann nun den verdienten End-Applaus spenden darf.
Das 80er-Jahre-Nixenballett von KOR´SIA – oder vielmehr eine ironische Hommage an Nijinskys Faun – tanzt in metallic-grünen super High Waist Bikini-Hosen, während der Faun selbst in einem langen weißen Spitzengewand erscheint. Nijinskys Nymphen mutieren in „Somiglianza“ durch Kostüm und ironisierte Bewegungssprache zu Synchronschwimmerinnen mit großen Glitzer-Colliers. Debussys bekannte Klänge durften bleiben und weite Teile von Mallarmés Konzept sind erkennbar, aber zeitgemäß in Frage gestellt und äußerst detailreich und professionell gearbeitet.
Thais Weishaupt und Tom Goemare haben mit „Il Triello“ ein extrem minimalistisches Stück geschaffen, das durch Sound mit Überraschungseffekt und wenig Bewegung(svariation) besticht. Mir zumindest war zu Beginn nicht klar, dass der rhythmisch gleichbleibende und volle Sound „nur“ durch das Einschlagen mit zwei Holzschlägeln auf einen Teller erzeugt wird. Dieser war – von meinem Platz aus – und durch die gegrätschte Sitzposition nicht zu sehen. Erst sitzen die zwei Performerinnen hintereinander, dann stehen sie sich im Profil gegenüber. Die ganze Zeit über wird auf den Teller eingeschlagen, bis er am Ende in unzähligen Scherben zerschellt. So simpel, so überzeugend.
Ganz anders, die leise kontemplative Bewegungsrecherche „To be c___“, die oft in Slowmotion-Studien den Bewegungsspielraum der Zehen und Gelenke bis ins kleinste Detail auslotet. Die Zehen der Füße werden so stark artikuliert, dass sie wie feingliedrige Hände wirken, setzen zart und geräuschlos auf den Boden auf, als ob die Schwerkraft schon überwunden wäre. Poetische Bewegungsexplorationen, die das Publikum in einen Zen-Modus gleiten lassen.
Allerdings nur bis das Rabauken-Akrobatik-Duo Hemda und Amir auftreten. Hemda Ben Zvi wird scheinbar in ihrem Warm-Up durch akrobatische Kunststückchen von Amir Guetta genervt. „Kiss“ changiert zwischen liebevoller Zärtlichkeit und brutaler Zurückweisung in halsbrecherischer Draufgänger-Partnerakrobatik und erntet mehr als einmal sehr besorgte Zuschauer-Laute. Doch die beiden wissen, was sie tun und wie ein Publikum unterhalten wird, indem man ihm zeigt, was sie selbst nicht können.
Dieser bunte Abend entlässt seine Zuschauer*innen auch nach 15 Jahren glücklich und kurzweilig unterhalten von der Tribüne und macht Lust auf Mehr der aufstrebenden Künstler*innen. Happy Birthday LUCKY TRIMMER!