„Messa da Requiem“ (Musik: Guiseppe Verdi), Christian Spuck mit Staatsballett Berlin ©Serghei Gherciu

Zwischen den leblosen Meisterwerken

2016 inszenierte der Choreograf und Regisseur Christian Spuck sein Ballett zu Verdis Chor- und Orchesterwerk Messa da Requiem. Nun bringt er die Produktion mit dem Staatsballett Berlin und dem Rundfunkchor Berlin erneut auf die Bühne. Die Premiere in der Deutschen Oper war am 14. April 2023.

Die Messa da Requiem zählt zu den berühmteren Werken im westlichen Musikkanon. 1873 anlässlich des Todes des Schriftstellers und Philosophen Alessandro Manzoni von Verdi komponiert begeistert das Stück seine Fans noch heute mit seinem theatralischen Pathos und der unbändigen Dynamik, mit der der Meister polyphone Versionen gregorianischer Totengesänge immer wieder mit absurder Intensität dramatisierte.

Christian Spuck hatte, so heißt es im Programmheft, einen Geistesblitz. Offenbar war niemand vor ihm je auf die Idee gekommen, das Verdische Opus als quasi neoklassisches Ballett zu setzen. „Unbedingt machen!“ hieß es unisono angesichts des von Spuck in einem Opernmagazin geäußerten inspirierten Gedankens. Nun, sieben Jahre später, nach zahlreichen Tourneen und aufwändigen Bühnenshows, wird sich zeigen, ob die opulente Extravaganza mit 100 Mitwirkenden wirklich so eine gute Idee war.

Das abstrakte Ballett beginnt bewegungslos: keine Regung im ersten Satz, dem Requiem aeternum. Eine Tänzerin verharrt links unten auf der Bühne, eine andere schiebt sich im Hintergrund durch das von Christian Schmidt als eine Art Zwischen-Raum gestaltete Bühnenbild, gelegentlich innehaltend, den Arm hochreckend. Beidseitig formt ein Chor schwarz gewandeter Singender eine Art dramatischen Kokon. Sie rahmen die Handlung gleichsam als improvisierter menschlicher Vorhang. In einer partnerschaftlichen, sich durch die gesamte Inszenierung ziehenden Geste, werden die beiden Tanzenden aufgenommen und adagio gedreht, gehoben und im Kreis oder in ihrer Attitüde langsamen Cambrés getragen. Mit Beginn des ersten Tenorsolos faltet sich der menschliche Vorhang über die Bühne, als Einführung des Dies irae, Verdis berühmtestem Refrain des Requiems, während zwei Tanzende in eher zeitgenössischer Anmutung aus dem Boden heraus explodieren, im Oberlicht badend (Beleuchtung: Martin Gebhardt), gepflanzt in die allegro bittende, gestikulierende Kulisse des Chores.

Die Inszenierung variiert in ihrer Formensprache. Ein Quartett von Singenden kontrastiert Tanzende, die häufig in Paarformation kaskadierende und akkumulierende Gesten über den mit schwarzem Schnee bedeckten Boden wiederholen. Singende und Tanzende buhlen um Aufmerksamkeit. Der Fokus ruht – gespalten – mal auf dem seitlich ausgeleuchteten Körper, mal auf dem stimmlich stabilen Gesangsprotagonist*in. Schließlich entwickelte sich eine gewisse Intensität, und das Sopransolo zu Beginn des letzten Satzes – Libera me – führt eine Reihe delikater kreis- und bogenförmiger Bewegungen ein. Eine weiß gewandete Tänzerin streckt ein Bein im Allongé. Sie wird in die Mitte der Bühne getragen. Hinter ihr liegt ein Ensemble von Tanzenden in terrakottafarbener Kleidung auf dem Boden.

Das drängende Murmeln Verdis scheint den Tanz nicht zu durchdringen. Ebensowenig wie sich der unerschütterliche technische Ausdruck gegen den unaufhaltsamen Fortschritt der Komposition durchsetzen kann. Zwar konzipiert Spuck seine „Messa da Requiem“ als 16 Tableaus, doch diese erweisen sich technisch als sehr ähnlich, streckenweise geradezu dekorativ. Die Überführung des Opus in Tanz erweist sich als problematisch. Gelegentliche Bühnentricks – ein vom Bein einer Tanzenden gezogener Boden oder ein Chor, der beim Agnus Dei wie besessen Unleserliches an die hintere Bühnenwand kritzelt, können nicht über das Gefühl hinwegtäuschen, auf der Ebene der Bewegung zugunsten eines lauen, sicheren Bühnenspektakels betrogen worden zu sein.

Es fällt schwer, wahrhafte Intensität im Ballett der „Messa da Requiem“ zu entdecken. Das tut der Begeisterung des Publikums jedoch keinen Abbruch, wie sich bereits bei der Premiere erwies. Dennoch gelingt der leblosen, statischen Version des Todes nur eine flüchtige choreografische Artikulation des Schreckens des Verdischen Jüngsten Gerichts, als wolle sie sich damit begnügen, angesichts des Themas in Ehrfurcht zu verharren und so die unerbittliche menschliche Kraft der Quelle zu verraten.

Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese


„Messa da Requiem“ – Musik von Guiseppe Verdi, Choreografie von Christian Spuck, mit dem Staatsballett Berlin, dem Rundfunkchor Berlin und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin – wurde am 14. April 2023 an der Deutschen Oper Berlin uraufgeführt. Nächste Termine 17. / 29. April, 4. / 6. / 12. Mai, 2. / 19. / 22. / 27. Juni 2023, weitere Informationen und Tickets unter staatsballett-berlin.de.