Severen Series I – Doppelabend mit “I am spoken” von Vladimir Dziomba ©Lothar Knopp

Körper, Sprache und Körpersprache

Wenn der Tanz zum Thema wird. In dem Doppelabend Severen Series I in der Tanzhalle Wiesenburg in Berlin-Wedding wurden am 1. und 2. April 2023 zwei Soli präsentiert: “I am spoken” von Vladimir Dziomba und “Darija Divan” von Lea Pischke. 


“I am spoken”

Umgeben von Fotos in Bilderrahmen, vereinzelten Büchern und einem Holzstuhl liegt Vladimir Dziomba auf dem Rücken. Die Knie sind angewinkelt, die Füße aufgestellt. Seinen Kopf legt er auf einen Stapel Bücher: zwei Bände über die Psychoanalyse nach Jacques Lacan, eine Einführung zum Dadaismus. Langsam dreht er sich zur Seite, beginnt aufzustehen. Jede Bewegung ist bewusst und mit deutlich hörbaren Atemzügen verbunden. Eine Videoprojektion auf der hinteren Wand zeigt amöbenartige graue Figuren; Bilder, die sich schon bald als MRT-Aufnahmen herausstellen. Wie in einem Fahrstuhl fährt der Ausschnitt entlang einzelner Wirbel und Rippen durch einen menschlichen Körper hindurch. 

Nach einiger Zeit werden neben den MRT-Aufnahmen auch mikroskopische Bilder von Gewebe sichtbar. Hinter den Darstellungen im Video ist langsam Dziombas Mund zu erkennen. In einer teils verwirrenden Ausführung, in der sich Englisch und Französisch, Philosophie und Poesie verknoten, spricht er über Tanz. Er spricht von Erfahrungen mit Tanz, in denen immer mehr verlangt wurde und Schmerz als ein Teil der Form angesehen wurde. Er beschreibt Hoffnungen über Tänze ohne Technik, ohne Erwartungen. Während der Performer aus dem Video zu uns spricht, tanzt er im vorderen Bühnenraum zu einer Musik, die das Publikum nicht hören kann. An seiner repetitiven Gewichtsverlagerung von einem Fuß auf den anderen, und den kreisförmig gestikulierenden Armen, wird jedoch Techno sichtbar, der zum Ende des 30-minütigen Solos auch hörbar wird. Ist dies ein Tanz ohne Technik? “I am spoken” spricht von der fast unmöglichen Aufgabe, sich von jahrelang gelernter Tanztechnik loszulösen, “encore” (nochmal, mehr) zu “en corps” (im Körper) werden zu lassen. 


Foto: “Darija Divan” von Lea Pischke ©Lothar Knopp

“Darija Divan”

Lea Pischke tritt auf die Bühne und beginnt eine Rede zu halten. Nur ist keine Stimme wahrnehmbar. Ihre Gesten kann ich nicht identifizieren, die Bewegungen ihres Mundes nicht übersetzen. Nur ein Handzeichen, das sie dreimal wiederholt, lese ich als Nachfrage: „Verstehst du?” 

Doch niemand scheint zu verstehen. Was folgt, ist eine Gegenüberstellung unterschiedlicher Tänze. Sie zeigt zunächst eine Interpretation eines sizilianischen Volkstanzes. Zu Renaissancemusik wiederholt sie eine Abfolge von Drehungen und Armschwüngen. Begleitet von minimalistischem Techno verkörpert sie rhythmische Bewegungen, die von Nachtclub-Tanzflächen bekannt sind. In allen drei Segmenten streckt sie wiederholt ein Bein nach hinten aus; eine Figur, die im Ballett Arabesque genannt wird.

Zum Abschluss folgt ein Tanz, der nicht eindeutig zuzuordnen ist. Es scheint, also würde die Tänzerin ein eigenes Vokabular finden. Vielleicht mischt sie die drei unterschiedlichen Einflüsse auch zusammen. Das einzig erkennbar bleibende Motiv ist die Wiederholung der Arabesque. Sie wird expandiert, bleibt aber in ihrer Form konkret. Es wirkt teils, als würde jemand an Pischkes Fuß ziehen, als wäre sie zwischen zwei Welten hin- und hergerissen. Was genau ihre persönliche Verbindung zu den vielen unterschiedlichen Materialien und Einflüssen ist, bleibt für mich unklar. 

Zwischen den Tänzen taucht immer wieder die stumme Anfangsrede mit denselben Gesten auf. Doch selbst als sie eine Stimme findet und in dem marokkanisch-arabischen Dialekt Darija spricht, folgt auf die gestische Frage “Verstehst du?” wieder ein Schweigen des Publikums. 


Severen Series I war als Doppelabend mit den zwei Soli „I am spoken“ von Vladimir Dziomba und „Darija Divan“ von Lea Pischke am 1. und 2. April 2023 in der Tanzhalle Wiesenburg zu erleben.