„Am I two?“, Vasundhara Srivastava & Hannah Heyde ©Markus Bertuzzo

Assoziationen umarmen und Erwartungen ruhen lassen

Vasundhara Srivastava und Hannah Heyde erforschen in “Am I two?” ihre Erfahrungen mit den gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen. Diese Suche nach erneuerten Definitionen wurde vom 13. bis 15. April 2023 im ACUD-Theater präsentiert. 

Vasundhara Srivastava und Hannah Heyde sitzen im vorderen Teil der Bühne dicht nebeneinander. Unbewegt starren ihre Blicke während des Einlasses geradeaus ins Publikum. Als die Zuschauer*innen auf ihren Sitzplätzen zur Ruhe kommen, erscheinen zwei unterschiedliche Definitionen des Wortes Frau als Videoprojektion auf der hinteren Bühnenwand. Wikipedia beschreibt die Frau als einen “erwachsenen weiblichen Menschen”. Das Merriam-WebsterWörterbuch definiert die Frau jedoch als “zugehörig zu einer bestimmten Kategorie (z. B. durch Geburt, Wohnort, Gemeinschaft oder Beruf)”. Die Unvollständigkeit dieser Erläuterungen wird durch eine Reihe von Fragen bekräftigt, die aus den Lautsprechern ertönen. 

Was bedeutet es, Frau zu sein? 

Die Blicke der zwei Tänzerinnen Blicke schweifen langsam von links nach rechts, finden teilweise Augenkontakt mit Einzelnen aus dem Publikum. Ich weiß nicht, ob ich darin einen Vorwurf deuten kann oder Neugierde auf die Reaktionen in den Gesichtern der Zuschauer*innen. 

Wie sieht die Gesellschaft Frauen? 

Ihre Körper ändern schlagartig ihre Position. Das entspannte Sitzen verwandelt sich in eine Pose wie aus einem Modemagazin: die Beine überschlagen, eine Hand elegant auf dem Knie abgelegt, das Kinn leicht angehoben. 

Woran denkt man, wenn man das Wort Frau hört? 

Auf der schwarzen Wand des ACUD-Theaters erscheinen unterschiedliche Antwortmöglichkeiten. Mutter, Freundin, Hausfrau, weiblich, fraulich, … Immer mehr dieser naheliegenden Assoziationen sammeln sich in dem dunklen Raum und bewegen Vasundhara Srivastava und Hannah Heyde von ihrem Platz auf dem Boden durch den Raum.

Es beginnt ein Tanz, der in manchen Momenten kraftvoll, in anderen sinnlich erscheint, zu einem Zeitpunkt in seiner Härte, im nächsten Augenblick in seiner Sanftheit berührt. Immer wieder wechseln sie von Synchronität über Bewegungen im Kanon zu individuellen Motiven. Diese choreografische Struktur verdeutlicht, dass ihre Erfahrungen mit dem Frausein nicht gleich sind. Dass sie sich gegenseitig unterstützen, wird jedoch durch das wiederkehrende einander Halten, Heben und Umarmen betont.

Jede Bewegung scheint mit Intention ausgeführt. Ein nach vorn ausgestreckter Arm mit gespreizten Fingern ist mit Sehnsucht gefüllt. Ein langer Schritt mit geflextem Fuß voller Überzeugung, sich nach vorne zu kämpfen. Vasundhara Srivastava hält sich wiederholt die Arme schützend vors Gesicht. Hannah Heyde streicht ihre Hand mehrfach entlang der Körperachse über Hals und Kinn nach oben, als wolle sie sich auskotzen, beschweren. Es berühren mich vor allem die Momente, in denen die beiden Tänzerinnen einander haltend zur Ruhe kommen. Es sind Momente, die so pur sonst selten Platz auf der Bühne finden. In “Am I two?” sind sie jedoch gesetzt. Für eine kurze Zeit passiert nichts weiter, als dass sie sich in den Armen liegen. Die tanzenden Körper werden zu ruhenden Körpern. Die Musik verstummt und wird von stetig langsamer werdendem Atem abgelöst. “Am I two?” präsentiert in diesem Punkt eine spannende Anregung, denn ich erinnere mich an die Frage vom Anfang: Woran denkt man, wenn man das Wort Frau hört? Eine Assoziation, die definitiv nicht vor meinem inneren Auge erschien, war die von ruhenden Körpern, von Erholung und Pause.


„Am I two?“ von Vasundhara Srivastava und Hannah Heyde war vom 13. bis 15. April 2023 im ACUD-Theater zu sehen.