Mit Augenzwinkern: „Beauty of the Beast“ eröffnet das Purple-Tanzfestival für junges Publikum in den Uferstudios Berl
Was ist hier los? Verblüfft beobachte ich, wie zunächst ein makellos modulierter Tänzer, dann zwei, dann gar drei, sich voll und ganz dem klassischen Ballett hingeben – anmutig ist das und in zarte Beleuchtung getaucht. Nicht unbedingt das, was ich im Rahmen des Purple-Festivals erwartet hatte. Und da kommt auch schon die Unterbrechung dieses zarten Momentes, die während der nächsten 60 Minuten die Struktur der Performance „Beauty of the Beast“ kennzeichnen wird. Licht. Stopp. Drei Typen in Sportklamotten stürmen die Bühne. Die extreme Gegensätzlichkeit der Szenen entlockt dem Publikum amüsiertes Lachen und wir sind mitten drin im Diskurs über Männlichkeiten, der im Folgenden aus unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet wird.
Überraschend humorvoll widmet sich die Company Chameleon aus Manchester (UK) einem komplexen Thema, spielt mit Stereotypen und Rollenzuschreibungen, die die Suche nach der männlichen Identität begleiten. Unweigerlich muss ich an den schönen Text des Soziologen Michael Meuser „Ernste Spiele. Zur Konstruktion von Männlichkeit im Wettbewerb der Männer“ denken und an die These von der Herstellung des Geschlechtes in kompetetiven Strukturen. Denn genau das zeigt der Tanz in dieser ersten Szene so eindringlich: Während die coolen Sporttypen die Bühne stürmen, sie mit ihrer Präsenz ganz für sich einnehmen, sind die Ballett-Jungs irritiert, verschämt und verunsichert. Bezeichnenderweise haben die Coolen Klamotten für die Tänzer in Strumpfhosen dabei, die diese nun hastig anziehen. Wer zur Gruppe gehören will, muss optisch konform sein – und nicht nur das: Sogleich kommt ein Mikrofon von der Decke, der Anführer der Gruppe schmettert ein Lied mit Hand auf dem Herzen und stellt klar: „You have to do it like i do it.“ Das Verhältnis von Dominanz und Unterordnung, das sich beständig um die Formierung und Dazugehörigkeit der peer group dreht, wird hier gehörig überzeichnet und so gleichzeitig in seiner Absurdität vor Augen geführt. Empathisch betrachtet ist damit ein permanentes Schwanken zwischen Mitleid und Abscheu eingebaut, das derartige Gruppendynamiken im homosozialen Kontext zugänglich macht.
Und wieder Licht. Stopp. Nächste Facette der Männlichkeiten: Jetzt ein dynamischer Zweikampf, virtuos, brutal und wütend. Am Ende steht kein Sieger. Nun tritt der Anführer wieder auf den Plan, in etwa so, wie man sich einen 25-jährigen Pubgänger und seine Clique um drei Uhr morgens vorstellen würde. „Here“, sagt er, „this is everyone, Big Dick, Little Dick, Don’t remeber and Sally (on the weekends).“ Hoher Slapstick-Faktor, aber die eigentliche Pointe kommt erst noch. Er fragt den Anwärter: „Why do you want to be part of the group?“ Überraschte Blicke.
Das permanente Changieren zwischen sensiblen und brutalen Momenten, das durch die (Unter)Brechungen innerhalb des Stückes seinen Ausdruck findet, steht für die andauernden Machtkämpfe, die nicht nur im Großen ausgefochten werden. Oft geht es um Banales: die falsche Jacke, der falsche Akzent oder die falsche Frisur entscheiden über Zugehörigkeit und Außenseitertum innerhalb der sozialen Gefüge.
Viele Kinder und Jugendliche sind an diesem Abend gekommen und können nach Ende der Aufführung auf großen Plakaten verewigen, was Sie beeindruckt, gestört oder begeistert hat. Ein Mädchen schreibt, das Stück habe ihr gefallen, „weil es stimmig war“. Diese Einschätzung kann ich, trotz einiger klamaukiger Momente, nur teilen.