„Balancing Bodies“, Compagnie Woest ©Jeroen Trispel

Zusammen spielen!

In „Balancing Bodies“ der Amsterdamer Compagnie Woest nimmt das Publikum auf rollenden Bürostühlen Platz. Zeit zum Nachdenken bleibt einer*m bei dem turbulenten Mitmach-Stück, das am Wochenende im Rahmen von PURPLE – Internationales Tanzfestival für junges Publikum zu sehen war, zum Glück nicht.

Plötzlich kommt eine Performerin hereingerannt: Pferdeschwanz, kurze Shorts, Sneaker. Sie blickt in eine Menge von etwa dreißig Zuschauer*innen, die kreuz und quer auf rollenden Bürostühlen im auf Klassenzimmer-Größe geschrumpften Uferstudio 14 sitzen. Neugierig, beinahe angriffslustig schaut sie aus. Doch noch bevor die Szene sich fortsetzt, geht woanders im Raum schon etwas Neues los. Weitere Performer*innen erscheinen und werfen sich gegenseitig einen Geschenkkarton zu. Hepp, Hepp, Hepp, landen auch Backzutaten für einen Kuchen auf einem Tisch, wird ein Rendezvous abgebrochen und eine Staffelei aufgestellt.

Das altersgemischte Publikum, dem Compagnie Woest Choreografin Manon Avermaete mit diesem spitzbübischen Übertölpelungsakt viel zu große Schuhe anzieht, stolpert zunächst irritiert von einer Nummer in die nächste, macht dann aber recht schnell und wie selbstverständlich mit – als Teil der Inszenierung und so ganz ohne vorgeführt zu werden. Das funktioniert aufgrund des Tempos, und weil die Reaktion auf die jeweilige Situation hier eine authentische ist. Immer waghalsiger wird das akrobatische Spiel, das Wannes de Porre, Evelyne Rossie, Paulien Truijen und Sarah Vingerhoets betreiben. Zu zweit, zu dritt und dann zu viert setzen sie ihre Körper zu unterschiedlichen Figuren zusammen, stabilisieren sie zunächst durch Stühle und dann durch spontane menschliche Zuschauer*innen-Kraft. 

Dass Kippmomente in dieser sinnlichen Überraschungsshow namens „Balancing Bodies“ vorprogrammiert sind, aber nicht leichtfertig eingesetzt werden, ist natürlich klar.  Das fröhlich tobende Treiben des Anfangsteils findet seine Übersetzung im Begriff vom kindlichen Übermut. Sein erwachsenes Pendant liegt auf der Kehrseite der Medaille: in einer ungesunden und erschöpfenden Selbstüberforderung. Aktuelle gesellschaftsrelevante Themen wie Burnout und Verletzlichkeit werden aufgegriffen und von gemeinschaftlich ausgeführten Gesten gerahmt, die Wertevorstellungen wie soziale Verantwortung und Empathie vermitteln: Keine*r wird über eine nackte Tänzerin in Embryohaltung rollen, die einer wie von behutsamer Zauberhand durch den Raum geführten mannshohen Box entgleitet. Und keine*r hat Zeit, die Beine wegzuziehen, wenn eine Performerin mit leblosen Gliedern über die Bühne schwankt, um ihren Kopf für wenige Sekunden auf die Schöße verschiedener Zuschauer*innen abzulegen.

Gegen Ende dieser zwischen Realität und Fiktion changierenden Aufführung gibt es tatsächlich Kuchen: Ratter, Rühr, Pling! Zubereitet und fertig gebacken wird er in der magischen Box von Wannes de Porre. Als dieser den Kindern den noch dampfenden Kuchen mehlverstaubt und mit verstrubbeltem Haar serviert, schlagen sie sofort zu. In der Schlussszene dann verteilt die Kompagnie Tröten, Luftballons und Seifenblasen. Plötzlich sind alle Protagonist*innen und man ist mittendrin in einer Geburtstagsparty, die ein geglücktes und ausgelassenes Zusammenleben ganz real suggeriert. Vorausgesetzt natürlich, man lässt das authentische Gefühle aus unbeschwerten Kindertagen zu, um es in Echt- und Jetztzeit wieder zu erleben. Denn dann trägt es einen beschwingt nach Hause als hätte man gerade eine gute Zeit mit Freunden erlebt, bloß dass diese ja eigentlich Unbekannte waren.


Tanzstück für junges Publikum 8+, Dauer: 50 Minuten


PURPLE – Internationales Tanzfestival für junges Publikum findet jährlich im Januar in den Berliner Uferstudios und an weiteren Veranstaltungsorten statt.  Vom 19.–26. Januar 2020 wurden vier internationale Produktionen aus der Schweiz, Schweden, Spanien und den Niederlanden und fünf Berliner Produktionen aufgeführt.

Im Rahmen des Festivals startete am 19. Januar 2020 auch die von TANZPAKT Stadt-Land-Bund geförderte „Offensive Tanz für junges Publikum“, ein Kooperationsprojekt von PURPLE – Internationales Tanzfestival für junges Publikum, TANZKOMPLIZEN, Theater Strahl und Theater o.N.