„Love and Loneliness in the 21 Century“, Nir de Volff © Bernhard Musil

Zucker für den Zahn der Zeit

Nir de Volff tanzt, philosophiert und singt sich in “Love and Loneliness in the 21 Century” durch Midlifecrisis und Großstadteinsamkeit.

Bist du einsam? Schaust du oft zurück auf deine Kindheit? Hättest du gerne mehr in deinem Leben erreicht? Denkst du über Haartransplantation, Botox oder Schönheitsoperationen nach? Denkst du oft über deinen eigenen Tod nach? Warst du mal depressiv? Flirtest du mit Menschen, die 15 Jahre jünger sind als du? Willkommen in der Midlifecrisis.

Fragen über Fragen, Zweifel über Zweifel, die Nir de Volff auf eine große Leinwand wirft und so mit dem Publikum teilt. Zu Beginn der Performance gibt er erst ein recht tiefes und trauriges, dann ein etwas höheres und fast hysterisches “Ah” von sich. Im Schnelldurchlauf erzählt der Wahl-Berliner darauf sein Leben: Wie schrecklich seine Bar Mitzwa war, wie er als Kind die todtraurigen Lieder von Sinéad O’Connor hörte und drei Jahre lang beim Militär in Israel diente – für ihn “three years of emotional prison”. Dann entdeckte er den Tanz.

Dass de Volff – auch bekannt als Begründer der Theater- und Performancecompany TOTAL BRUTAL – schon für Pina Bausch und Constanza Macras performte, sieht man seiner Performance nur selten an. Wenn er seine gestreckten Beine mühelos beim Laufen zur Nase führt oder, wenn er durch die “Use-Abuse“Atem und Körpertechnik eine Bewegung seiner Hände wellenförmig auf den ganzen Körper überträgt.
Sein Tanzsolo im ersten Drittel des Stückes ist eine Mischung aus Laufrunde, Kindertanz und Ausdruckstanz. Er dreht sich mit gekreuzten Beinen und perfekten Bewegungen, doch dann taumelt er oder fällt zu Boden, er hüpft oder rennt im Kreis.

Der in Israel geborene Performer geht recht sparsam mit dem Element des Tanzes um – vielleicht auch, weil man manches eben doch mit Worten besser erklären kann? Oder aber auch in Popsongs, die De Volff ausgiebig zitiert und mit seinem Leben verknüpft. Seine eigenen Textcollagen klingen monoton und lyrisch: “Work, work, work. But where is my energy? My energy dissipates. You, where are you? I miss you I, miss you, I miss you, I miss you like the deserts miss the rain.” Hin und wieder unterbricht der Künstler seine Selbstbetrachtungen und lässt mit kurzen Sätzen Politisches einfließen: “Losing my religion. Benjamin Netanyahu wins again. My country has lost it.”

Das Stück ist in fünf Abschnitte gegliedert: Geschichten über sich (“A brief history of the I”), den Körper und wie der Körper altert (“A brief history of my body”), Betrachtungen über seine doppelte Landeszugehörigkeit; er ist in Tel Aviv geboren, lebt aber seit Ende 2003 in Berlin (“A brief history of my countries”), über die Liebe und wie sich Liebe in der Großstadt anfühlt (“A brief history of love”) und in ein Gespräch mit Hebe, der Göttin der Jugend (“A brief conversation with Hebe – the godess of youth”).
Die recht textlastige Performance lockert er durch diese Gliederung auf. Zweimal singt de Volff auch – seine Stimme ist nicht perfekt, sondern klingt einfach nur authentisch und man spürt sein (echtes oder gespieltes?) Selbstmitleid. Er singt über die Enttäuschungen der Liebe, während im Hintergrund Kussszenen aus verschiedenen Filmen laufen.

Durch geschickten Platzwechsel wirkt es manchmal fast so, als würde der Künstler sich selbst anmoderieren. Es ist keine One-Man-Show, denn de Volff bedient sich der Hilfe seines jüngeren und bewegungsfreudigen Alter-Egos (Francisco Bejarano Montes de Oca), in stürmischem Rot und mit wallender Mähne, und der des Publikums. Zwei Frauen und zwei Männern setzt er blickdichte Affenmasken auf. Die kurzzeitigen Mitstreiter*innen irren blind auf der Bühne herum, sie funktionieren wie eine Art Pausenclown. Die Lacher der Zuschauer*innen sind ihm an dieser Stelle gewiss, denn de Volff thematisiert die Planlosigkeit seiner Helfer*innen. Besonders deutlich zeigt sich das, als eine der Frauen die rauen Backsteinwände des Dock11 abtastet. “You feel like in the dark” fügt de Vollf hinzu, bevor er sich selbst daran macht, sich aus dieser Dunkelheit zu befreien. Die schwarze Kleidung wird gegen einen pinken Body mit Katzenschwänzchen eingetauscht – Partygarderobe, und das Fest des Lebens (auch des eigenen) kann wieder beginnen.