Pina Bausch, Probe in der Lichtburg, um 1978 © Ulli Weiss /Pina Bausch Foundation

Zeitlos im Moment

Die Pina-Bausch-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau bringt die Tanztheater-Pionierin nahe

Pina Bausch, als Elevin an der Juilliard School und als Ballerina mit Spitzenschuhen. Pina Bausch, rauchend. Und im Herrenanzug: 1966 in Kurt Jooss’ Antikriegsstück “Der Grüne Tisch” oder in Interviews der 80er und 90er Jahre, mit bizarr gepolsterten Schultern oder umhüllt von schwarzem Tuch, das jegliche Körperkontur verwischt. Feminin, maskulin, androgyn: Eindrückliche Momentaufnahmen wie diese bietet die Ausstellung “Pina Bausch und das Tanztheater” immer wieder. An der Bonner Bundeskunsthalle entwickelt, gastiert die dort überaus erfolgreiche Schau zum Schaffen der weltbekannten Choreografin nun bis Januar im Berliner Martin-Gropius-Bau. Wie der Titel verrät, ist die Ausstellung ganz auf die Person Pina Bausch ausgerichtet: Als eine der wenigen Tanzschaffenden ist sie auch Laien ein Begriff.

Fotos und Videos offenbaren die vielen Gesichter der Bausch, die schon früh nicht mehr ganz jung, aber nie alt wirkte, sondern zeitlos im Moment: in sich ruhend und strahlenden Auges in einem Wuppertaler Interview nicht lang vor ihrem Tod; rau und fast abweisend in einem Videogespräch in Venedig 1985. Zwei Persönlichkeiten, scheint’s; doch die Stimme ist die gleiche – einzigartig tief, leicht angeraspelt; mit ihrem rheinischen Singsang zugleich weich und torfig. Die für Berlin produzierte Interviewmontage “O-Ton Pina Bausch” zeigt die Choreografin als Zweifelnde, Suchende – und als eine sich Vollendende. Chronologisch rückwärts ablaufend, erzählt sie die Geschichte einer Selbstwerdung. Beschönigt wird gleichwohl nicht, das Brüchige, Vielfältige, Ambivalente von Pina Bauschs Erscheinung als “burschikose Ballerina” wird vielmehr betont.

Mit starkem Zugriff nimmt sich die Ausstellung so der 2009 verstorbenen Tanztheater-Pionierin an. Geschickt beschränken sich die Kurator*innen – Salomon Bausch, Sohn der Choreografin und Leiter der Pina Bausch Foundation, die Tanzwissenschaftlerin Miriam Leysner und Rein Wolfs von der Bundeskunsthalle – auf einige wesentliche Aspekte, um in Pina Bauschs Arbeitsweise einzuführen. Der Wendepunkt in ihrem Schaffen wird prominent in einem eigenen Saal mit Probenbildern und handschriftlichen Notizen Bauschs zur “Macbeth”-Aneignung “Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloß, die anderen folgen” aus dem Jahr 1978 inszeniert: Ab dann generierte sie ihr choreografisches Material nicht mehr anhand narrativer Vorlagen, sondern über Fragen an ihre Ensemblemitglieder. Vollständigkeit streben die Kurator*innen gar nicht erst an – es hängt nicht einmal eine Liste von Bauschs Werken oder eine ausführliche Biografie aus. Googlen kann jede*r selbst. Doch mit einer aufwändigen Videoinstallation zu Bauschs Bühnenoeuvre und einer Fülle von Exponaten aus ihrem privatem Archiv – Programmheften, Fotos, Videos, Notizen, Bühnenzeichnungen – ist die Ausstellung auch für Fachleute eine Fundgrube. Die Schau adressiert somit erfolgreich ein breites Publikum.

“Pina Bausch und das Tanztheater” ist zudem Ausdruck eines Trends: Tanz im Museum boomt. Paradox mag die Kombination von Ausstellung und Aufführung anmuten, gilt Flüchtigkeit doch als wesentliches Merkmal der bewegten Kunst. Doch im Museumskontext zählt ebenso die Umkehrung dieses Axioms: Gerade weil man Tanz immer wieder neu zur Aufführung bringen muss, lässt sich mit ihm das weitgehend statische Format der Ausstellung beleben – und aufgrund wechselnder Bespielung ein Publikum zum Wiederkommen animieren. So ist es ein kluger Schachzug der Ausstellungsmacher*innen, ins Zentrum der Bausch-Schau einen Nachbau der legendären “Lichtburg” zu setzen, des Probesaals in einem ehemaligen Kino in Wuppertal-Barmen, in dem die meisten ihrer Stücke entstanden. Hier kann man sich dem Werk der Choreografin bewegt nähern, in Warm-ups und Workshops mit (ehemaligen) Mitgliedern des Wuppertaler Tanztheaters wie Jo Anne Endicott oder Marigia Maggipinto: Jede*r, so die These, kann die Nelken-Reihe oder “Kontakthof” tanzen. Damit gelingt das Angestrebte: Die Ausstellung ist nicht nur eine Archiv biografisch-werkhistorischer Exponate, sondern auch eine lebendige Erinnerung an Pina Bausch.

“Pina Bausch und das Tanztheater”, Martin-Gropius-Bau, bis zum 09. Januar 2017, Mi-Mo 10-19 Uhr, www.berlinerfestspiele.de