„Männer tanzen“, Martin Nachbar © Rene Löffler

Am Haken

Wie Martin Nachbar und Florian Bilbao in der TanzZeit-Reihe „Beruf: Tanz“ im Podewil ihr knallhartes Publikum angel

Weltraum-Epen sind ein guter Köder. Kaum erklingen die ersten Takte des „Star Wars“-Themas, geht ein Raunen durch die Reihen jugendlicher Zuschauer*innen, die an diesem Vormittag eine Schulvorstellung der Tanzspielzeit im Podewil verfolgen. Diesen Trick, den gleichen wie Martin Nachbar in seinem Stück “Männer tanzen”, wendet kurz darauf auch Florian Bilbao an, um die Jugendlichen zu gewinnen. Er lässt Richard Strauss’ “Also sprach Zarathustra” ertönen – Stanley Kubricks Intro für “2001” – und projiziert dazu seinen Stücktitel “Autobiographie eines ganz normalen Menschen” an die Studiorückwand, in der ikonisch schräg ins unendliche Schwarz laufenden Schrift der “Star Wars”-Filme.

Nachbar und Bilbao werben im Rahmen der TanzZeit-Reihe “Beruf: Tanz” für ihren Job. Ihr Auftrag lautet auf Autobiographie: Warum tanze ich und wie kam ich zum Tanz? Nicht leicht, als Tänzer vor einer Truppe Teens nicht peinlich zu wirken. So beinhart wie die Pubertierenden ist ja sonst kein Publikum.

Martin Nachbar hat sich für „Männer tanzen“ mit Felix Marchand einen Gesprächspartner auf die Bühne eingeladen: Wie bist Du zum Tanz gekommen? Auf Klassenreise, Disco. Felix, zwölf Jahre alt und laut eigener Aussage nicht sonderlich beliebt, wagte den entscheidenden Schritt auf die Tanzfläche. Um das zu illustrieren, hotten Nachbar und Marchand zu Michael Jackson ab, mit groß gezogener Gestik, die ungelenk wirken soll, aber präzise einstudiert ist. „Geil!“ finden sie das selbst. Ironisch nehmen die beiden das Zirkus-Show-Image von Bühnentanz auf, mit sportlichen Sidekicks, angewinkelten Hampelmann-Armen und Dauergrinsen. Langsam erwärmt sich das Publikum, dann haben sie es: Zum “Star Wars”-Titelsong marschieren die beiden Herren große Runden, Nachbar hebt Marchand zu einer raumgleitergleichen Schwebenummer über seinen Kopf. Funktioniert. Spannung im Saal.

Als der Haken derart sitzt, speisen die beiden listigen Tänzerchoreografen angewandtes Hintergrundwissen ein in ihre Duo-Show: Kontaktimprovisation. Sich aneinander lehnend, stemmt der eine den anderen mit dem Rücken hoch und lässt ihn elegant abgleiten. Diese Bewegungsfolge wird beim Publikumsgespräch nach der Vorstellung als nachahmenswert genannt – die Teenies schauen also genauer hin, als es die gelegentliche Unruhe vermuten lässt. Noch ein Test von Nachbar und Marchand: Als die beiden Männer auf dem Boden übereinander rollen, ist der „Iiiih“-Faktor für das junge Publikum hoch. Also wieder gegensteuern, mit einer Aufgabe. Felix Marchand muss auf dem Rücken des sich im Liegen bewegenden Martin Nachbar balancieren, ohne den Boden zu berühren – das dürfen die Jugendlichen im Publikum überprüfen und bei Berührung aufschreien. Aktive Beteiligung, das ist ein gutes Mittel zur Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit.

Choreografieren nach Lehrbuch scheint diese Strategie rascher dramaturgischer Wendungen zu sein: Auf einen ähnlichen Mix aus Unterweisung und Unterhaltung wie Martin Nachbar setzt auch Florian Bilbao. Gekleidet in einen weißen Glitzeranzug wie Elvis the Rockstar, stürmt Bilbao das Publikum, lässt hier und da den ihn begleitenden Fotografen ein Gruppenfoto schießen. Johlen. Dann dürfen alle, die wollen, mit auf die Bühne, um das kreischende Publikum eines Rockkonzerts zu tanzen. Wenige bleiben sitzen. Jetzt hat auch Bilbao seine Zuschauer*innen am Haken – und nutzt wie Nachbar die Euphorie, um schwere Kost zu servieren. Auf offener Bühne zieht er sich um, bis auf die Unterhose nackt. Das “Iiiih-O-Meter” schlägt oben an. In verschwitzter Trainingskleidung tanzt Bilbao dann ein lyrisches Solo, zu dem sein gedrungen-muskulöser Körper nicht recht passen will – aber mit seinen vom Modern und Jazz Dance geprägten Bewegungen gehört es zum Berufsfeld. Tanzen ist manchmal auch nur ein anstrengender Job.

Diese Volte, schonungslos mit sich selbst, ist ein Schachzug, der das Publikum Matt setzt. Nach der Vorstellung wollen die Teens Bilbao anfassen, soll er nicht weltraumweit von ihnen entfernt, sondern nahbar sein. Auch Nachbar und Marchand, die lässigen Jungs von nebenan, müssen reihenweise abklatschen. “Cool”, “schön”, “großartig”, heißt es im Gesprächskreis über die beiden Performances. Knallhart ist dieses Publikum, ja. Aber auch extrem berührbar.