„Grand Finale“, Hofesh Shechter © Rahi Rezvani

Wir sind Punks und es geht um nichts.

Der israelische Choreograf Hofesh Shechter ist so etwas wie ein internationaler Superstar im zeitgenössischen Tanz, dessen Stücke seit Jahren erfolgreich durch die Welt touren. Nun gastierte er mit „Grande Finale“ im Haus der Berliner Festspiele.

Hofesh Shechter steht für einen Tanz, der untypisch für Berlin ist, ein Tanz der nah am Spektakel operiert, der für große Bühnen und zahlungskräftiges Publikum gemacht ist. Eigenschaften also, die wahrscheinlich eher nicht auf die Berliner Tanzszene zutreffen, in der der virtuose Tänzerkörper aus postmoderner Perspektive schon vielfach dekonstruiert und unterlaufen wurde. In der sich die künstlerischen Arbeiten oft nah an theoretischen Diskursen und gesellschaftlichen Themen aufhalten und, ähnlich zur Bildenden Kunst, oft konzeptuelle Arbeitsansätze und ein hoher Abstraktionsgrad vorherrschen.
Gleichzeitig gibt es bei Gastspielen dieser Art einen Zulauf von Tanzbegeisterten, den frau an Orten der Freien Szene wie den Uferstudios vergeblich sucht. Menschen, die nach Ende der Vorstellung zu Standing Ovations aufspringen, die sich an tanzenden Körpern begeistern können, auch ohne theoretischen Überbau. Tänzer*innen, die ein Handwerk gelernt haben, für die Tanz etwas mit körperlicher Arbeit zu tun hat. Die in Berlin in den letzten 10 Jahren vielleicht abhängt wurden.
Diese vermeintliche Schieflage zwischen den Menschen innerhalb der Szene, zwischen Spektakel und Kunst, Virtuosität und Understatement, zwischen Tanz-Tanz und Konzepttanz, Stadttheater und Freie Szene und vielleicht auch zwischen Berlin als Tanzblase und dem Rest der Welt ist es, die mich den Abend über begleitet.

Erwartungen an spektakuläre Tanz-Kunst im Sinne von virtuoser Bewegung wurden jedenfalls erfüllt. Die neun herausragenden Tänzer*innen verausgaben sich in derben, kraftvollen, gewaltig-schnellen Bewegungskombinationen, die manchmal an urtümliche Stammestänze, manchmal an Hip Hop erinnern, und darin immer virtuos-erhaben und zugleich rotzig-widerständig wirken. Das Markenzeichen von Hofesh Shechters Choreografien: tänzerische Brillanz trifft auf Punk. Oft wird im „dreckigen“ Unisono getanzt, also synchron aber mit individuellen Ausreißern (jede*r schleudert den Arm wie er*sie will): Die hart treibenden Musik-Rhythmen münden in Technoklänge, gehen direkt in den Zuschauerkörper und entwickeln zusammen mit der rotzigen, hochexplosiven Bewegungsqualität einen Sog, dem frau sich körperlich kaum entziehen kann. Das Virtuose in Kombination mit diesem derben Stil in Bewegung und Musik ist es, das so fasziniert und die Zuschauenden körperlich mitreißt.

Umso irritierender ist, was sonst noch für Bilder auf der Bühne produziert werden: Weibliche Tänzerinnen fallen spontan in Ohnmacht, um von den männlichen Tänzern in den Arm genommen und in minutenlanger Sequenz manipuliert (herumgeschleudert) zu werden – aus genderpolitischer Sicht wohl diskussionswürdig.
Blitzartig auftauchende unzusammenhängende Narrative erwecken den Eindruck kompletter Willkür: expressive Gesten wie weit aufgerissene Münder oder Militärgrüße, spontane Liebesszenen und Küsse, abrupte Musikwechsel zum französischen Chanson oder Jazz münden in eine Aneinanderreihung von Szenen, die das Ganze abwechselnd in Klamauk oder triefenden Kitsch steuern. Ästhetisch droht das ganze in eine Mischung aus Varieté und Musical zu kippen, was leider nach und nach jeder noch so mitreißenden Tanzsequenz einen schalen Beigeschmack gibt.

Tatsächlich gibt es im Programmheft keinen Text zum Stück sondern lediglich ein Zitat von Shechter: Dass es seiner Meinung nach nicht wichtig sei, was er mit einem Stück sagen will, sondern was die Zuschauenden dabei erleben (womit ich übereinstimme). Trotzdem wirkt es, als ob die mit Bedeutung aufgeladenen Bilder keinem Anliegen folgen außer seichter Unterhaltung. Als ob es keine nähere Beschäftigung mit irgendetwas gab und es um nichts gehen könne. Als ob unterhaltsamer und massentauglicher Tanz automatisch künstlerisch weniger relevant sein muss.

Folgerichtig ist der zweite Teil nach der Pause dann ein einziges Finale, das sich mit treibender Choreografie und Bühneneffekten immer weiter zum Höhepunkt schaukelt, um dann mit einer sanften Liebesszene als Outro zu enden – spätestens jetzt wird klar, dass wir in einem Musical sitzen. Ein Ort, an dem der Punk in den Körpern leider nicht glaubhaft bestehen kann, da er von einer aalglatten Showdramaturgie ausgehebelt wird.