Beim ersten Gastspiel, das im Rahmen des Projekts „explore dance – Netzwerk Tanz für junges Publikum“ an der fabrik Potsdam gezeigt wird, juckt es einen nicht nur in den Fußspitzen: Antje Pfundtner (aka Antje Pfundtner in Gesellschaft) und ihr Team greifen in „Für mich“ Fragen auf, die Jugendliche beschäftigen. Eine altersunabhängige Reflektion über Übergangsphasen, die eigenen Grenzen sowie das Medium Tanz.
Sich selbst und andere zu hinterfragen, ist eine Grundeigenschaft adoleszenter Jugendlicher. Die Hamburger Choreografin Antje Pfundtner hat sich das Fragen zu eigen gemacht, um Tanzstücke für ein junges Publikum zu entwickeln, die auch Erwachsene gerne schauen. Für „nimmer“, das 2015 zum Augenblick mal! Festival eingeladen wurde, und „nimmermehr“ hat sie Kinder und Erwachsene zum Thema „Verschwinden“ interviewt. Ihr neuestes generationenübergreifendes Tanzstück „Für mich“ ist aus Befragungen mit 13- bis 16-Jährigen entstanden. Jenseits thematischer Vorgaben suchten Pfundtner und ihre Dramaturgin Anne Kersting dabei nach Themen, die ihre heranwachsenden Interviewpartner*innen beschäftigen. Den größten gemeinsamen Nenner traf dabei eine sehr persönliche Frage, die das Verhältnis von Individuum und Gruppe in den Fokus rückt: „Was wirst Du nicht genug gefragt?“.
Antje Pfundtner und Norbert Pape haben ihre Köpfe in einem körpernahen Duett miteinander verschränkt. Als alle Zuschauer*innen sitzen, löst Pfundtner sich aus der kussähnlichen Symbiose. Sprechend lädt sie das Publikum zu einer individuellen Bestandaufnahme ein, die in festgelegten Gesten einen Ausdruck finden kann: „Wer heute schon mit seiner Mutter gesprochen hat, rücke mit dem Hintern an die vorderste Stuhlkante“. „Wer von uns mit seiner Frisur unzufrieden ist, schlage die Beine übereinander“. „Wer oft traurig ist, mache eine Faust.“ „Wer von Zuhause ausziehen möchte, halte die Luft an“. Begriffe wie „Intimität“ und „Verletzbarkeit“ werden hier angesprochen, aber auch das Erkennen der eigenen Wünsche und Bedürfnisse in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt: Was möchte ich den anderen mitteilen? Was möchte ich für mich behalten?
Neben Pfundtner und Pape steht an diesem Nachmittag auch Juliana Oliveira auf der Bühne. Den ersten gemeinsamen Auftritt der drei Performer*innen krönt ein tänzerischer Basisschritt: Wer (als Teenager) nicht weiß, wie er/sie sich bei einer Party bewegen soll, tanzt mit einem einfachen Rechts-Links erst einmal nicht aus der Reihe, muss sich aber auch nicht als Nicht-Tänzer*in outen. Pfundtner macht sich Luft und setzt die innere Unentschlossenheit in äußeren Eigensinn um. Das Tanzbasic verwandelt sie in eine komplexe ekstatische Choreografie. „Aber ja, aber nein“ lautet der Ausruf, den sie beharrlich wiederholt, die Arme in U-Form in die Luft gereckt und Handflächen wie Spiegel mechanisch hin und her drehend. Die ritualhafte Wiederholung und Abwandlung der Bewegungen lässt im Setting des Themas „Pubertät“ Assoziationen zu Initiationsriten aufkommen.
Es folgen Szenen, in denen Frauen zu Männern werden, indem sie Langhaarperücken aufsetzen und im tickenden Takt der minimalistisch und instrumental heruntergebrochenen Metallmusik Headbangen – eine Choreografie, die beinahe wie eine Referenz auf „Rosas danst Rosas“ von der Compagnie Rosas wirkt und Rollenzuschreibungen des Tanztheaters aushebelt. Oder auch solche, in denen Oliveira sich in melodramatisch-weiblicher Opernmanier über die Tristesse des Alltags beklagt. Die Szene gewinnt noch an Humor, als Pape im Vierfüsslergang blökend als Schaf vorbeizieht.
Immer wieder geht es in dieser Aufführung darum, die oft extrem gegensätzlichen Befindlichkeiten von Teenagern aufzuspüren: das peinlich berührt Sein und die gleichzeitige Lust zu Provokation sowie zu körperlicher und verbaler Verausgabung. Der Zwiespalt seiner Impulsgeber*innen – das weder Fisch noch Fleisch Sein – bestimmt das ganze Stück. All dies passt zum zeitgenössischen Tanz mit seinen offenen Narrationen, dem Spiel mit dem Dazwischen, ziemlich gut. Der Vorhang fällt im übertragenen Sinne: Das Licht erlischt. Pfundtner ruft ein beherztes „jetzt!“: Was werden Sie nicht genug gefragt?