„between“, Jules Petru Fricker (LEGZ) ©Anna Agliardi

Odyssee ins Dazwischen

„between“, das choreografische Debut von Jules Petru Fricker (LEGZ), das vom 11.-13. November 2022 im DOCK 11 zu sehen war, navigiert mit bewundernswerter Anmut durch die Zwischenräume künstlerischer Disziplinen, queerer Performance-Praktiken und Narrationen des Selbst und gebiert dabei magische, berührende Momente.

Der Diskurs über die eigene Disziplin innerhalb der freien Berliner Tanzszene ist voll von mystischen Halbwahrheiten. Eine davon ist das romantische Postulat, dass zeitgenössischer Tanz nicht nur besonders gut Menschen versammeln, sondern auch auf außergewöhnlich gemeinschaftliche Weise zusammenbringen könne. Unzählige Erinnerungen an beklemmende Performance-Abende sind nur ein Grund, warum diese Behauptung eigentlich ins Archiv der obsoleten Tanztropen gehört. Ab und zu aber gibt es einen Moment wie „between“, Jules Petru Frickers (LEGZ) neue Performance-Arbeit, welche die übliche Skepsis glücklicherweise kurzzeitig aushebeln können.

Jules Petru Fricker wurde 2014 als Shiaz Legz mit ihrer Conchita Wurst-Parodie „Rise like a Penis“ YouTube-berühmt. Seitdem performt sie als Drag Queen LEGZ auf queeren Parties, Festivals und Konzerten, hatte Hauptrollen in Musikvideos und war auch auf Theaterbühnen zu sehen. „between“ ist nach vielen Jahren als Performance-Künstler*in nun Frickers erste eigene Bühnenarbeit. Auch in der Besetzung des Stückes zeigt sich ihre jahrelange Involviertheit in verschiedene queere Communities: Viele Beteiligte sind bekannte und etablierte Künstler*innen, was die Souveränität in der Handhabung der unterschiedlichen Medien erklärt, die das Stück orchestriert.

Es beginnt mit einem auf der leeren Bühne liegenden, kopflos erscheinenden Rumpf, von dem das Publikum lediglich den nackten Rücken sehen kann. Ein einzelner Scheinwerfer von der Decke beleuchtet den bewegungslosen Körper (Licht: Naia Burucoa), der dadurch wie ein eben auf der Erde gelandeter queerer Terminator wirkt. Der Körper beginnt sich zu regen, einzelne Gliedmaßen zucken hervor, und ein Text ertönt aus dem Off, der bereits einige Themen und Begriffe von „between“ etabliert: „…an embryo made of jelly-like substances, a creature… squeezed in-between dimensions, materialities, genders, colours, shapes, territories… in this spaceship coming from the ‚non-where‘, while always heading towards the ‚else-where‘…“ (Text: Oxi Pëng, Jules Petru Fricker).

Nach einem Blackout steht die Kreatur plötzlich auf ihren Schultern und streckt Arme und Beine senkrecht nach oben, ein wenig als würde sie rückwärts nach unten fallen und wäre dabei erstarrt. Die Finger haben schwarze Aufsätze (Nägel: Beauty Nails in Charlottenburg), und während einer der Füße nackt ist, steckt der andere in einem hochgeschnürten Pleaser-High Heel. Zu pulsierenden Elektrosounds beginnt das Wesen, seine Beine immer schneller durch die Luft zu bewegen (Musik: Aïsha Devi), bis es erschöpft zur Seite fällt. Jetzt wird seine transparente Maske sichtbar, die sich bei jedem Atemzug das Gesicht nach vorne verlängernd aufbläst. Dann das Aufrichten, das Abziehen der Maske, die ersten Schritte — aus dem Alien wird ein Mensch.

In der vielleicht zentralen Szene sitzt Fricker im Publikum und spielt auf einer großen Leinwand alte Video-Aufnahmen aus ihrer Kindheit ab. Die Ausschnitte sind Schlüssel-Momente von „between“, denn es wird deutlich, dass das Bewegungsmaterial des Stückes diesen Aufnahmen, Frickers Kindheits-Selbst Julian, entnommen sind. Sind Jules’ Bewegungen ein Re-enactment von Julians? Lassen sich die Video-Aufnahmen von Julian als ein Pre-enactment von Jules lesen? Oder sind die frühen Bewegungen vielleicht Wiederholungen all der Bewegungen, die in Zukunft noch kommen werden?

„between“ nimmt auf unterschiedliche Weise immer wieder das Motiv der Zeitreise auf: Das Stück setzt zunächst vergangene mit gegenwärtiger Lebensgeschichte in Bezug. Ästhetisch wiederholt sich das Motiv durch die Situierung in einem Science Fiction-Kosmos, wobei auch subtile filmische Anleihen gemacht werden — hier scheint Frickers Ausbildung als Video-Künstler*in durch. Und schließlich stellt die Performance immer wieder Bezüge zur wohl populärsten Zeitlichkeits-Figur der Queer-Theorie her, dem unmissverständlichen Then and There des mittlerweile verstorbenen José Esteban Muñoz. In seinem Buch Cruising Utopia beschreibt er eine in der Zukunft liegende queere Utopie, deren Spuren sich allerdings schon jetzt, im here and now, vorfinden ließen. Auf eine ähnliche Weise führen auch die Zeitreisen von „between“ immer wieder zurück in die Zwischenräume der Gegenwart: „…in these cracks — worlds manifest themselves…“, ruft Fricker beschwörend in einem Moment.

In der letzten Szene tanzt sie, durch eine Tentakel-Maske wieder Alien, durch den gesamten Theaterraum (Maske: Jochen Kronier). Dabei öffnet sie eine Tür, aus der sich eine virtuos arrangierte Flut von Lichtstrahlen ergießt (Lichtdesign: Theresa Baumgartner). Der helle Spalt, der sich hier auftut, ist unmissverständlich einer dieser cracks. Und hier vollzieht sich mein persönliches Wunder dieses Abends: Anstatt in eine kitschige, leere Geste abzurutschen, verdichtet sich „between“ in diesem Moment. Denn die Szene behauptet nichts, sondern zeigt, was die ganze Zeit schon da war: Das Publikum ist das Then and There im here and now, ein queeres Dazwischen — nicht bloß qua seiner Rolle als Publikum, sondern weil es sich als spezifische Gemeinschaft versammelt hat, um die queere Gemeinschaft von „between“. Und während sich Julian auf der Leinwand im Einklang mit Jules auf der Bühne zu den Klängen von „Cruising“ dreht (Saxofon: Bendik Giske), bilde ich mir ein, dass für einen kurzen Moment, über alle Differenzen hinweg, ein geteilter Affekt durch das Publikum weht: we have always been cruising, in some way or another, in search for the cracks — we have always been queer — queerness has always been here.


„between“ von Jules Petru Fricker, auch bekannt unter ihrem Alter Ego LEGZ, war vom 11.-13. November 2022 im DOCK 11 zu sehen.