„Raw Light“, Anna Nowicka © Katarzyna Szugajew

Nah am Nullpunkt

Zum Schauplatz von Atmosphären macht Anna Nowicka ihren Körper in „Raw Light“ am Dock 11

Schwarze Stille. Saunaduft, herb und aromatisch. Eine Handyleuchte weist den Weg zum Sitzplatz. Dann wieder Stille, Schwärze, Warten: Auf Atmosphäre setzt Anna Nowicka bei ihrer Premiere „Raw Light“ am Dock 11. Fahl scheint irgendwann ein Licht im Dunkel auf. Ein halb natürlicher, halb künstlicher Sound erinnert ans Knistern eines Lagerfeuers (Musik: Klaus Janek). Nowicka kauert, in lose dunkle Kleidung gehüllt, rechts hinten auf dem Bühnenboden. Lichtflecken beginnen über die Wände zu tanzen – ein Theaterzauber via Spiegelkugel und Handylicht. Dann wieder: Dunkel.

Aus der künstlichen Nacht schält sich nun weißer Dämmer (Licht, Ton: Sanja Gergoric, Aurora Rodriguez). Nowicka, im Fersensitz vorne links auf der Bühne, animiert ihre Arme – wie Getier zuckend, flügelnd, schlängelnd; die Schultern rollend; die Hände wie eintauchend; die gestreckten Arme hinterm Rücken fast zusammenschlagend. Gradweise wird es heller, und zugleich bleibt die Anmutung polarer Finsternis, einer lebensfeindlich sterilen und doch von Erinnerungen, Träumen, Wünschen belebten Umgebung. Eine imaginäre Landschaft.

Sukzessive steigert Nowicka die Amplitude ihres minimalistischen Solos: Bäuchlings hebt sie ihre Hüfte, Fußgelenke und Arme rucken nach, wenn sie ihren Körper um einige Zentimeter auf dem Boden verschiebt – eine groteske Kreatur, bodengebunden, himmelsstrebend. Stehend verselbständigen sich dann die Arme um den unbewegten Rumpf wie ferngesteuert. Mit der Hand auf der Magen-Darm-Gegend entringt Nowicka ihrem Körper ein Husten, hält die Hand vor den Mund, hustet, bedeckt den Mund, hustet, als würde sie die maschinelle Einhegung eines unwillkürlichen Vorgangs versuchen. Unverhohlen fleischlich wirkt ihr Spiel mit der Zunge, die sie weit herausstreckt, um die Lippen und am Gaumen kreist, bekaut – genüsslich erkundend, anthropophagisch selbstverschlingend.

Experimentiert Nowicka im Mittelteil ihrer Miniatur mit derart hybriden Eindrücken, taucht sie im letzten Drittel des Vierzigminüters wieder in bewegungslose Stille ab. Sie steht und guckt. So scheint es mir, denn was genau geschieht, kann ich nicht mit Sicherheit verbürgen: Nowickas nah am Nullpunkt navigierende „Solo-Reise eines Körpers“ versetzt mich in traumähnliche Trance, die letzten Minuten verschwimmen zu einem zeitlosen Zustand. Das unmerkliche Ausgleiten der Performance bleibt auch den übrigen Zuschauer*innen verborgen: Selbst als Nowicka sich zu uns auf die Tribüne setzt und auf die blass glimmende Bühne blickt, wird nicht geklatscht – sie muss das Ende der Vorstellung mit einer unmissverständlichen Geste markieren und die Atmosphäre brechen. Es ist wie ein Auftauchen aus Hypnose, das Entlassenwerden aus der alternativen Realität, die Nowicka mit ihrem konzentrierten, eindrücklichen Solo geschaffen hat.