„Zusammen Bauen“, Gabi dan Droste & Martin Nachbar©Dieter Hartwig

Land in Sicht?

Gabi dan Droste und Martin Nachbar, die in Zukunft rund um das FELD am Winterfeldtplatz frisches Theater für junges Publikum zeigen, lassen eine altersgemischte Gruppe von Menschen auf einer einsamen Insel namens Theater stranden. „Zusammen Bauen“ – Ein Jetztzeit-Märchen mit ökologisch-ethischem Weitblick läuft vorerst an den Sophiensaelen.

Drei Frauen, zwei Männer und ein Junge zwischen zehn und siebzig Jahren bahnen sich vorsichtigen Schrittes einen Weg über die Bühne. Kofferschalen und Holzkisten dienen ihnen als vorübergehende Standflächen auf einem wackligen Untergrund. Während der Musiker Erik Leuthäuser, der an diesem Abend mit seinen lässig-poetischen bis philosophischen Texten eine Art Erzählerfunktion einnimmt, Jakob van Hoddins Gedicht „Weltende“ rezitiert, zieht die generationenübergreifende Crew aus pelzbekleideten Schiffbrüchigen sich gegenseitig an Land. Eine Sperrmüllbaute steht dafür Symbol. Im vorderen Teil der Szenerie reiht ein Mädchen Scharniere wie Kartenhäuser aneinander.

Lückenhafte Bewegungsgrammatik
Seit Thomas Morus „Utopia“ (1515) sind Gegenwelten gerne auf Inseln angesiedelt. Das Eiland, auf dem dan Droste und Nachbar ihre kleine Gemeinschaft aussetzen, heißt Theater – ein ziemlich unsicheres Terrain. Die Sperrmüllbaute wird zunächst einmal zur Kulisse sicheren Scheiterns. Drei Solisten unterschätzen die Tücke des stabil wirkenden Objekts, kriegen es auch in „Szene 2030“ noch mit Drehfenstern und fallenden Schubladen zu tun (Leuthäuser zählt mit großen Sprüngen in die Zukunft), vier weitere bilden das Publikum. Im weiteren Verlauf des Stückes wird tatkräftig geplant, ausprobiert, vorgeschlagen und fantasiert – ein ständiger Probenprozess, bei dem es nicht selten zu Verständigungsschwierigkeiten kommt: Tanzsequenzen werden auf der Suche nach einem gemeinsamen Sinn vorgeführt, ergänzt, unterbrochen, mitunter auch harsch abgebrochen – es entsteht eine Bewegungsgrammatik mit vielen Lücken.

Miteinander-Kit(t)
Um auf der Erde überleben zu können, brauchen wir andere Formen der Verwandtschaft (als eine biologische), sagt Donna Harraway. Die utopische Feministin hat einen programmatisch-wissenschaftlichen Science-Fiction-Roman mit Titel „Unruhig bleiben“ geschrieben – ein wildes Buch, auf das dan Droste und Nachbar mit ihrem sozialutopischen Stück Tanzperformance („über das altersoffene Kooperieren in Zeiten von Krisen uns Transformation“) ganz unmittelbar Bezug nehmen. So heißt es in der Einleitung von Harraway: „Wir alle auf Terra leben in unruhigen Zeiten. Die Aufgabe besteht nun darin, reagieren zu können, und zwar gemeinsam und in unserer je unbescheidenen Art.“ Und das bedeutet eben gerade nicht, in bekannten Kategorien zu denken. Will mit Harraway heißen: Es ist möglich, eine Haltung zwischen Technikoptimismus und zynischer Endzeitstimmung einzunehmen – außerhalb alter männlicher Erzählungen, in dem der einzelne Held raumgreifend die Feinde besiegt.
Die Lösung des Individualismus-Problems, bei dem sich der einzelne Mensch (und auch die Menschheit in Abgrenzung zu allen anderen Lebewesen) zu wichtig nimmt, siedeln dan Droste und Nachbar altersübergreifend in diesem selbst an: „Wir sind nicht echt. Gedankengeflecht. Wir zerfließen im Laufe der Zeit … Die einzige Chance ist, dass womöglich nichts ist wie es scheint. Das ist es, was uns alle vereint …“, singt Leuthäuser während die zwei jüngsten Performerinnen im auf einer Planke über ein imaginäres Meer treiben und diese gemeinsam im Gleichgewicht halten. Die beiden sind gewissermaßen die Hoffnungsträgerinnen im heillosen Chaos. Bei einer großen Wirbelwind-Choreografie navigiert sich dann Jasper Frank mit einem Holzruder gekonnt durch die durcheinanderlaufende Crew. Wenig später sitzt Zizzi Nachbar auf einem fahrbaren Ausguck, der zugleich eine Art Thron darstellt: Sie gibt die Richtung vor, die anderen schieben – Kinder an die Macht!

Das Theater als große Ohrmuschel
Das existenzielle und gleichzeitig märchenhafte Ambiente von „Zusammen Bauen“, erinnert mit seinem altersübergreifenden Ansatz nicht selten an „Momo“. Roman und Tanzperformance treffen sich in einem weiteren Punkt. Michael Endes kleine Protagonistin ist eine Expertin im Zuhören und bringt deshalb die verschiedensten Menschen, mit den verschiedensten Ansichten zusammen. Im Abendzettel fragen dan Droste, Nachbar und ihr buntgemischtes Team: „Und was ist eigentlich lähmender – die Furcht vor einer Katastrophe mit Ansage oder die Einsamkeit und der Lärm des Nicht-Zuhörens?“

Am Ende bauen die sieben Schiffbrüchigen aus dem Sperrmüll eine Hütte. „So viel Holz, Baum, Wald, Regenwald. Scharniere, Holz, Planken, ein Dach, damit man sich wohlfühlen kann.“ Doch die Hütte hat Räder und ist eigentlich ein Schiff; eine fahrbare Insel, die alle gemeinsam steuern. Der Horizont ist weit. Und wohin auch immer die Reise geht, sie führt einen definitiv raus aus der Komfortzone absoluter Wahrheiten.