In The Voice erzählt die Taube Künstlerin Rita Mazza persönliche Geschichten mit dem ganzen Körper. Das Stück feierte vom 28. bis 30. August 2024 im Rahmen von Tanz im August in den Sophiensælen Premiere.
Rita Mazza sitzt uns den Rücken zugewandt und pustet durch einen langen Trinkhalm in eine Tasse mit Wasser. Sie trägt ein Mikrofon am Körper, und ich, eine hörende Zuschauerin, vernehme laute Gurgelgeräusche. Der Klang verstärkt sich. Ich höre Einatmen. Ritas Brust hebt und senkt sich im Rhythmus ihres Atems, macht die Mühe des Luftholens sichtbar. Sie wendet sich um und blickt nun ins Publikum.
Auf einem Monitor erscheint Text, der von der DGS-Dolmetscherin und Performerin Aurelia Schäfer simultan gebärdet wird. Ich lese:
Jetzt kommt die Sprache dazu.
Ritas Stimme erklingt zum Gurgelklang. Sie scheint mir zart, doch zugleich generös. Nach und nach wird das gesprochene Wort zum Song.
Die Logopädie bringt mir nichts mehr.
Der gurgelnde Gesang mündet in ein Crescendo, ein gefühlvolles Lied mit einzelnen hohen Noten. Rita lässt den Trinkhalm los und tanzt allein zum Klang ihres Atmens.
Wenn ich meine Stimme zeige, zeige ich alles von mir.
Verberge ich sie, behalte ich die Kontrolle.
Ich habe die Kontrolle.
Ritas Körper wird zum Instrument, das das schwere Atmen sichtbar macht. Einmal heftig, dann wieder subtil, reflektieren ihre physischen Bewegungen die Luftströme in ihrem Inneren. Ein schmaler Strahl weißen Rampenlichts leuchtet von oben. Rita rahmt ihre Körperteile im grellhellen Lichtkegel. Ein prüfender Blick auf den nackten Körper aus großer Nähe…
Ich war stolz, als mir die Logopädin Komplimente zu meiner Stimme machte.
Das Licht zerfällt in einen größeren, blassweißeren Schein, der Ritas ganzen Körper umhüllt. Sie sitzt unbewegt und atmet, zeigt sich bloß und rein, ohne jede Ablenkung. Dieser Akt der Verletzlichkeit vermittelt eine Traurigkeit, die meinen eigenen Körper erfasst. Ritas Atem beschleunigt sich und geht in eine Art Weinen über.
Ich musste mich stellen:
Ein Auslöser für euch, entschuldigt, aber mir gefällt es.
Ein Hauch von Wut und Abscheu.
Jemand fragte mich, ob Logopädie für Taube sei.
Ich fragte die Logopädin, warum Erwachsene therapiert werden.
Sie sagte:
Sie verlieben sich in Hörende.
Sie wollen Sport treiben.
Sie wollen neue, hörende Freund:innen.
Rita blickt in das herabhängende große Rechteck aus Silberfolie, das ihre Züge spiegelt, als wäre es Wasser. Sie verschwindet auf der Rückseite der glitzernden Bahn. Das Licht wechselt, das Rechteck wird transparent. Wir sehen Rita, schwer atmend, während sie den Körper gegen die Folienwand drückt, immer weiter, immer weiter. Mich ergreift ein Gefühl von Erschöpfung und Einsamkeit.
Am ersten Tag meiner Sprachtherapie wollte ich plötzlich sprechen.
Sie tritt hinter der Folie hervor, trägt ein kleines, rechteckiges Stück davon, hinter dem das Gesicht verschwindet. Das Licht fällt auf die Folie, und diese strahlt hell zurück. Es blendet. Meine Augen schmerzen. Ist diese Folie eine Wand, die ich mit mir trage, die jede:r von uns mit sich trägt?
Würde ich etwas in mir entdecken, etwas Neues, das mich verändert?
Rita summt nun
Lässt die Folie los
Tanzt im Rhythmus ihres Summens
Gibt Kontrolle
Ab
Übersetzung aus dem Englischen: Lilian Astrid Geese
The Voice von Rita Mazza feierte vom 28.-30. August 2024 im Rahmen von Tanz im August in den Sophiensælen Premiere.
