„HERE/AFTER“, Constanza Macras © Thomas Aurin

Karussellfahrt durchs Parallelleben

Constanza Macras versucht sich mit „Here/After“ an einer urbanen Angststörung. Eine Odyssee zwischen unfreiwilliger Isolation, digitaler Wohlfühlzone und befreiendem Mädelsabend.

Eine Frau läuft über die Bühne, nackt und nur mit einer Handtasche bekleidet. Es kostet sie einiges an Kraft, ihren zitternden und laut hyperventilierenden Körper von der Stelle zu bewegen. Verzweifelt versucht sie ihn in den Griff zu bekommen; hält sich die Knie, kramt einen Lippenstift, ein Aerobic-Stirnband sowie andere Attribute moderner, stereotypisierter und zugleich ironisch gebrochener Weiblichkeit aus ihrer Tasche. Auch ein paar vertraute Gymnastik-Übungen befreien die derart vor aller Zuschauer*innen-Augen Bloßgestellte nicht von ihrer Qual.

In „Here/After“, das am Wochenende in der Probebühne Verlin nach sieben Jahren wiederaufgeführt wurde, widmet sich Constanza Macras dem Krankheitsbild der Agrophobie. Gemeint ist jene urbane Angststörung, die auch unter dem Namen Platzangst bekannt ist und mit der Panik vor öffentlichen und weiten Plätzen sowie Menschenansammlungen, zuweilen auch mit völliger Abschottung der Betroffenen von der Öffentlichkeit in der eigenen Wohnung einhergeht. Doch die eigenen vier Wände sind im digitalen Zeitalter bekanntermaßen weit und so lässt es sich auch als Mensch mit Angststörung (scheinbar) ganz prima leben.

Ein drehbares kreisrundes Podest mit Sofa steht Symbol für den Schwindel erregenden Realitäts- und Identitätsverlust, den die fünf Darsteller*innen hier als psychisch angeschlagene Großstädter*innen erleben. Gleich zu Beginn des Stücks steigt Tatiana Eva Saphir in Totenkopf-T-Shirt, bunt gestreiften Leggins und bekrallten Leoparden-Pantoffeln auf das Bühnenrondell. Die trashige Single-Frau mit YouTube-Starallüren singt im Musical-Style von der großen Liebe und kontrastiert so ein mit Pathos beladenes Genre mit der Anonymität und Einsamkeit digitalisierter Liebesbeziehungen — „we will chat room to room”. Im ganz persönlichen Notfall suggeriert Fernanda Ferrah einsamen Usern als Internet-Therapeutin, dass es gut sei, Teil einer Gruppe zu sein, die sie nicht ängstigt. Auch das Bestellen von überlebenswichtigen Dingen wie Lebensmitteln und Klamotten ist dank des World Wide Webs kein Problem. Das Telefonieren mit der in der Ferne weilenden Familie wiederrum wird zum absurden Spektakel, wenn man Skype nicht bedienen kann und sich am Ende per Smartphone über die Bedienung des Programms statt über eigene Befindlichkeiten austauscht.

Tatiana Eva Saphir und Fernanda Ferrah überzeugen an diesem Abend auch als Darsteller*innen-Team. Wenn sie sich und das Publikum zu live eingespielter Stummfilm-Piano-Musik mit einer Dessous-Modenschau oder mit einem Ratespiel à la „beste weibliche Hauptdarstellerin im Film XYZ“ amüsieren, ist das gefühlt ganz nah an einem echten Mädelsabend dran. Das eigentliche Thema geht im Laufe der Aufführung jedoch unter: Dass Ronni Maciel, der mit anfallartigen Tanzszenen glänzt, ganz zuletzt plötzlich wieder als Panik-Opfer auf der Drehbühne steht, irritiert mehr, als dass es schlüssig erscheint. Mitgerissen von der Verve des an Assoziationen überbordenden Stücks, hat man als Zuschauer*in schließlich thematisch komplett die Orientierung verloren. Als Nachhall von „Here/After“ bleibt ein froh stimmendes und ansteckendes Gefühl authentisch rübergebrachter (Ensemble-)Gemeinschaftlichkeit. Und das ist wohl immer noch besser als alleine vor der digitalen Mattscheibe zu hocken.