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International Notice zu „Wiederholung und Differenz. Drei Duette. Ein Tryptichon.“, Tanzcompagnie Rubato

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Autoren: A. Presting-Koité, H. Hegenscheidt und J. Hell/D. Baumann

Drei Texte zu “Wiederholung und Differenz. Drei Duette. Ein Tryptichon.” von der Tanzcompagnie Rubato. Premiere am 30.03.2017,  Uferstudios Berlin


TEXT I

Dr. Annegret Presting-Koité, Zahnärztin in Berlin

Ich sitze im Dunklen, atmosphärische Musik beruhigt mich. Ein Mann und eine Frau tanzen im monochromen Licht. Ihre Bewegungen sind einfach. Rhythmisch. Ihr lauter Atem bestimmt den Rhythmus. Obwohl der erste Teil der Performance einen chinesischen Titel hat, denke ich an die Tänze des Vaters meiner Tochter, einen afrikanischen Tänzer. Vielleicht sind sich alle traditionellen Tänze ähnlich? Basieren sie doch alle auf dem menschlichen Körper und seinen Möglichkeiten sich auszudrücken…meine Gedanken schweifen ab… und werden durch das intensive Atemgeräusch zurückgeholt: Das Paar tanzt nebeneinander. Sie folgen sich, wiederholen sich, trennen sich. Sie berühren sich kaum. Ich muss an lange Beziehungen denken. Die Eintönigkeit, das Erstarrte, das Aufbegehren, die Wut, das Lernen, die Veränderung, das Loslassen. Die Bewegungen, die meiner Meinung nach Wut und Aufbegehren ausdrücken, gefallen mir am besten. Sie sind komisch in ihrer Theatralik; ich lache.

Der zweite Teil ist leidenschaftlicher, wie ein Rückblick. Wie man sich kennenlernt, wie man wild aufeinander ist, wer der Stärkere und wer der Nachgiebigere ist. Die Bewegungen sind ineinander verschlungen, bedingungslose Anziehung wechselt sich ab mit kraftvoller Abstoßung. Ich denke an Nähe und Spaß und freue mich, meinen Freund später zu treffen und mit ihm zu versuchen, eine der schwierigen, verschlungenen Bewegungen nachzutanzen. Am Ende wiederholen beide eine Geste des ersten Teils. Sie zeigen gemeinsam in eine Richtung….

Im letzten Teil bestimmt eine bunte Wandinstallation den Raum, die Musik ist intensiver. Alles wirkt fröhlich. Das Paar tanzt verspielt, frei, unabhängig voneinander. Wenn sie sich nähern, sind sie vorsichtig, zärtlich. Auch wenn sie sich abwenden, bleiben sie doch in Kontakt. Sie sind sich in ihrer Einzigartigkeit, ihrer Verspieltheit und Freiheit näher als zuvor. Diesen Teil finde ich am unterhaltsamsten und am wenigsten emotional fordernd.
Ich denke über das Paar nach, über mich, meine Arbeit, mein Paarsein. Ich bin seit 30 Jahren Zahnärztin, habe lange Beziehungen gelebt. Alles, was ich lange Zeit mit Liebe mache, wird leichter, losgelöster und freier. Bei der Arbeit empfinde ich die Wiederholung nicht als eintönig, ich lerne und beobachte mich. Ich freue mich, wie leicht mir die Dinge fallen und wie wenig Angst ich habe, etwas falsch zu machen. Herausforderungen wirken nicht mehr bedrohlich sondern inspirierend. Ich kann auf einen reichen Schatz an Erfahrung zurückgreifen und neugierig neue Dinge ausprobieren. Eigentlich kann ich dasselbe über meine Beziehungen sagen. Nie hätte ich mit 20 Jahren gedacht, dass ich 30 Jahre später noch wissbegieriger, inspirierter und angstfreier bin.

Die Tänzer wirken wie ein Paar, das sich nicht nur die Arbeit teilt sondern auch das Leben. Die Dynamik der Performance spiegelt meine Erfahrung in einer Weise, dass es mich erhebt, mir einen Moment der Aufsicht gönnt, um mir dann ein Gefühl des Einsseins zu geben. Eins mit der gemeinsamen Erfahrung des Lebens, tröstend und beruhigend in seiner Wiederholung, aufmunternd in seiner Differenz.

Ich fühle mich frei.

TEXT II

Hanna Hegenscheidt, Choreografin und Klein-Technik-Lehrerin

Drei fiktive Dialoge zwischen Rezipient ®, Macher 1 (M1) & Macher 2 (M2)

1.

R: Ist es schlimm zu sagen, dass ich mich durch euer Alter auf seltsame Weise beschützt gefühlt habe?
M1 & M2: [lachen]
R: Vielleicht habe ich mich weniger ausgeschlossen gefühlt?
M2: Wie alt bist du denn?
R: Sechsundvi…
M1: [unterbricht] Meinst du, dass du dich weniger ausgeschlossen gefühlt hast, weil wir zur selben Generation gehören?
R: Nein, nein, ich hatte eher das Gefühl, Zugang zu einer Art Intimität zu erhalten …
M2: … die du, als Empfänger, vielleicht nur aufgrund deines Alters erfahren konntest? [lacht]
R: …?
M2: … Intimität erfahren … aufgrund deines Alters.

2.

R: Warum habt ihr diesen Abend ein “Triptychon” genannt und nicht eine “Trilogie”? Der Begriff stammt aus der Malerei, nicht wahr?
M1: Ja. Ein dreiteiliges Bild …
M2: … durch Scharniere miteinander verbunden.
M1: Drei Teile … eine Einheit.
R: Aha. Also beschreibt “Triptychon” die Verbindung zwischen den drei Duetten
dieses Abends? Miteinander verschraubt, statt nur vage aufeinander bezogen?
M1: Vielleicht.
R: Was ist das Scharnier für euch?
M2: Was war es denn für dich?
M1: …
R: Ach, für mich? … Naja, ich habe den Verweis im Programmheft auf Differenz und Wiederholung von Deleuze gesehen, wo er beschreibt, dass die
Bedeutungen von Differenz und Wiederholung vom Konzept der Gleichheit unabhängig sind … Ich habe es nicht gelesen, aber ist das nicht das, was er andeutet?
M1: So ungefähr, ja.
R: Ist das also das Scharnier?
M2: Ist es das für dich?
M1: …
R: Ach, für mich? … Naja, euer Repetition and Difference hat schon mal stattgefunden, 2015 war das, also gibt es auch auf dieser Ebene eine Wiederholung, abgesehen vom offensichtlichen Einsatz von Wiederholung als Instrument der Komposition. Ich persönlich fühle mich mehr von der Wiederbelebung einer alten Arbeit angezogen.
M1: Man könnte einwenden, dass alles, was wir im Leben tun, eine Wiederholung ist … die Vergangenheit und Zukunft miteinander verbindet.
R: Hmm … Wenn ich Euch zuschaue, springt mir eine besondere Qualität
entgegen. Ich nehme an, dass sie von der ausgiebigen Wiederholung euer
Zusammenarbeit herrührt?
M2: Welche Qualität?
R: Das ist schwer zu beschreiben … Ich kann sie besonders in dir erkennen, während du performst.
M1: In mir?
R: Ja. In euch beiden, aber besonders unmittelbar war sie, als ich dich beobachtet habe.
M2: Welche Qualität war das?
R: Das kann man schwer beschreiben … “Transzendenz” vielleicht.
M1: Aha.
M2: Ich glaube, das hat man dir schon mal gesagt.
M1: Ja, vielleicht.
R: Und dann habe ich im Internet all diese wahnsinnig schönen Fotos eures
Gesamtwerks zu eurem 30. Jubiläum gesehen. Ich hatte ja keine Ahnung!
M2: Danke!
M1: [lacht]
R: Das erklärt, warum mir die Ikonen des deutschen Ausdruckstanzes und Tanztheaters in den Sinn kamen. Das ist mir erst im dritten Duett aufgefallen, als ich an Dore Hoyer dachte, an ihr …
M1: Affectos Humanos?
R: Ja! Ich war beeindruckt, wie verschieden das Vokabular eurer Bewegungen in
den drei Duetten ist. Und dass eure Hingabe an den Tanz als Ausdruckskraft – oder manchmal als expressionistische Kraft – anhält.
M1+M2: [gemeinsam] Danke.

3.

R: Die Fragen, die man sich im Lauf einer künstlerischen Karriere stellt, müssen
also mit der Zeit, in der man geboren wurde und aufgewachsen ist, verknüpft sein, oder nicht? Gibt es nicht eigentlich nur eine Frage? Ist es nicht das, was ein Ouevre so … [gestikuliert, sucht nach Worten] interessant macht, dass diese Frage darin sichtbar wird? Und wiederholt der Macher diese Frage nicht immer wieder bis zu dem Punkt, an dem Sie dem Rezipienten redundant erscheint? Und selbst wenn der Macher sich dieser Redundanz bewusst ist, wiederholt er diese Frage nicht trotzdem immer wieder, weil er weiß, dass es noch mehr herauszufinden gibt? Gibt es nicht immer noch etwas herauszufinden?
M2: Gibt es das für dich?
M1: …
R: Ach, für mich! Ja, ich denke schon, ja!

TEXT III

Jutta Hell und Dieter Baumann, künstlerische Leiter der Tanzcompagnie Rubato und Choreografen und Tänzer von “Wiederholung und Differenz. Drei Duette. Ein Triptychon.”

Ja, es stimmt, wir sind ein Tänzer- und Choreographenpaar und ein zusammenlebendes Paar, das seit über dreißig Jahren. Diese Verschränkung gelingt nur, wenn sich das Wiederholende und das Differenzierende in einem ständigen Prozess der Durchdringung befinden, wenn der Wandel das Beständige wird … privat und künstlerisch, wenn Alltag und Kunst zwei verschiedene aber nicht getrennte Bereiche sind. Die Frage, wie künstlerische Prozesse und Lebensprozesse, künstlerische Einheit und persönliche Verschiedenheit koexistieren können, und das über einen langen Zeitraum hinweg, ist ein Thema mit dem sich „Wiederholung und Differenz“ auseinandersetzt.

Deleuze philosophischem Denken zufolge, kann etwas nur wiederholt werden, wenn es sich um ein Original handelt. Er stellt auch fest, dass aus der Wiederholung des Originals etwas Neues entsteht. Da dieser Text in China geschrieben wird und wir seit über 20 Jahren einen intensiven kulturellen Austausch mit China haben, ist es interessant, die „Seiten zu wechseln“ und aus der chinesischen Sicht (Sprachbedeutung) den Begriff Original zu betrachten. Ins Deutsche rückübersetzt bedeutet Original auf Chinesisch „echte Spur“. Der Philosoph Byung-Chul Han schreibt über diesen Begriff: „Ihr (der echten Spur) wohnt kein Versprechen inne. Mit ihr verbindet sich auch nichts Zielgerichtetes oder Rätselhaftes … Sie lässt kein abgeschlossenes, in sich ruhendes Kunstwerk zu, das eine endgültige Form besäße.“ Das 2015 entstandene Original von „Wiederholung und Differenz“, ist eine Verbindung beider Betrachtungsweisen. Indem wir bereits früher verwendetes Material erneut aufgreifen, an unsere, sich verändernde Körper / Geist – Entwicklung anpassen, indem wir existentes Bewegungsmaterial einer uns fremden Kultur (chinesische Volkstänze) benutzen und in unsere europäischen Körper, Ästhetik transformieren, entsteht keine Kopie des Originals. Es entsteht ein neues Original, welches keine abgeschlossene Form besitzt.

Die Wiederaufnahme des Stückes 2017 setzt mit dem Vorgang der Wiederholung diesen Prozess der Differenz zum Original fort. Diese Wiederaufnahme war für uns das Wieder – und Neuerleben früherer Kreativprozesse, das Wiedereintauchen in drei verschiedene Schaffensperioden mit ihren eigenen Bewegungsqualitäten, das Rückerinnern des Körpers und des Geistes an die Bewegungen, Rhythmen, Wege und Zeiten, die Unterschiedlichkeit der Haltungen. Unsere Erinnerungen 2017 waren überschrieben von unserem gelebten Leben. Wir entdeckten das Stück neu, begriffen anders die Zusammengehörigkeit der drei Teile. Es ging um nichts geringeres als die Beschreibung von Leben anhand dreier Beispiele oder – um im Bild des Typtichons zu bleiben – dreier Tafeln. Wir, die Tänzerin und der Tänzer, waren das Scharnier. Obwohl wir älter geworden sind, war es dieses Mal leichter, das Stück zu tanzen. Um Anne (Writer 2) zu zitieren: Wir haben weiter gelernt, es ging leichter von der Hand, wir hatten weniger Angst etwas falsch zu machen.

Hanna (Writer 1) stellte die Frage, ob man nicht während seines (künstlerischen) Lebens immer eine Fragestellung wiederholt. Der Vorsokratiker Empedokles schrieb sinngemäß: Die Dinge sind in Bewegung durch die „Liebe“ und den „Streit“, in den Zwischenzeiten ruhen sie. Möglicherweise ist dies die Thematik die wir immer wieder aufrufen, bearbeiten, an der wir partizipieren. Die Tatsache, dass wir seit langem künstlerisches und privates Leben verbinden, intensiviert das „Kraftfeld“ dieser Thematik. Sie verändert sich mit jeder Wiederholung weil wir uns verändern, unsere Lebensumstände sich verändern. Unsere fortdauernde Praxis und Lebenserfahrung, der physiologische Prozess des Alterns, verändert die Art, wie wir uns mit der Thematik auseinandersetzen. Was sich aber nicht geändert hat, ist über den Körper und die Bewegung Fragen zu untersuchen und Prozesse auszudrücken. Auch unsere theoretischen Recherchen führen immer wieder zum Körper zurück.

„Wiederholung und Differenz“, viele Zuschauer mit längerer Lebenserfahrung finden einen Zugang zum Stück. Wie geht es den jungen Zuschauern, die unsere Kinder sein könnten … was sehen sie, empfinden sie, erfahren sie? Können sie Wiederholung und Differenz ähnlich erleben wie die älteren Zuschauer?