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International Notice zu „Wonderwomen“, Melanie Lane

Autoren: Rose Beermann, Corinna Schmechel, Melanie Lane
Drei Texte zu “Wonderwomen” von Melanie Lane. Vorstellung am 22.04.2017 I HAU Hebbel am Ufer


TEXT I

Rose Beermann, Berliner Choreografin, Performerin und Dramaturgin. Zentrale Themen ihrer Arbeit sind die Beziehungen zwischen Fitness, Tanz und die Repräsentation des weiblichen Körpers in den Medien.

Das Zerrbild der ‘starken Frau’ und seine Monster

Zentral für Melanie Lane’s Arbeit erscheint mir die Entscheidung, mit zwei professionellen Bodybuilderinnen zu arbeiten, ihre besondere Körperlichkeit und die damit verbundene Bewegungspraxis auf der Bühne auszustellen. Rosie Harte und Nathalie Schmidt sind Expertinnen der Selbstinszenierung: Posen, Gesichtsausdrücke und spielerische Gesten, wie wir sie aus Bodybuilding-Wettbewerben kennen, scheinen ihnen in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Als Zuschauende darf ich meine Neugier befriedigen, jeden Zentimeter dieser Körper in ihren hautengen Kostümen in Augenschein nehmen und mich von ihren Fähigkeiten verführen lassen.

Die Performance beginnt im Dämmerlicht, unter einem überdimensionierten schwarz-glitzerndem Tuch ist ein Körper erkennbar. Der fließende Stoff formt eine Landschaft im Bühnenraum, in dem ein zweiter Körper in hautfarbenem Anzug zusammengerollt auf dem Boden liegt. Zu dem basslastigen, raumgreifenden Soundtrack von Clark beginnt der verdeckte Körper, sich langsam in Posen zu schieben und den Stoff zu verformen, was bei mir eine Fülle von Assoziationen erzeugt – die Bilder changieren von griechischen Statuen, über Gesten physischer Kraft bis hin zu einem Live-Event der Körper-Formung.

Im weiteren Verlauf des Stücks bewegen sich die Darstellerinnen durch unterschiedliche Bilder und Welten; sei es, dass sie mit Glitzeraugen als Superheldinnen in einem schwarz-glitzerndem Stoff-Weltall schweben, als Amazonen mit Speeren posieren oder mit Gewichtsstangen eine rhythmische Pop-Choreographie tanzen. Das zischende Ausstoßen des Atems, um die tiefe Bauchmuskulatur zu aktivieren, das quälend langsame Tempo angespannter Muskeln oder das Zählen und Kommentieren der eigenen Bewegungen verfremden und verschieben diese Eindrücke immer wieder. Dabei denke ich an popkulturelle Bilder ‘starker Frauen’ wie die Figur der Superheldin oder der Amazone, aber auch an die vermeintliche Monstrosität dieser Körper.

Mir gefällt die feine und ausartikulierte Arbeit mit Objekten und Materialien wie dem riesigen Glitzer-Teppich – ein Element, das im Stück immer wieder aufgenommen wird. Aus meiner Perspektive hat Melanie Lane ansprechende Bilder gefunden, um die besonderen Körper von Rosie Harte und Nathalie Schmidt als ‘starke Frauen’ zu kontextualisieren. Im Verlauf des Stücks frage ich mich dann jedoch, welche körperlichen Attribute hier als weiblich propagiert werden – lange Haare und Fingernägel, Glitter, starkes Make-Up? Als Gegengewicht zu ‘männlichen’ Muskeln? Strategien zur Durchbrechung klassischer Geschlechterstereotype, wie ich sie aus feministischen und queeren Kontexten kenne, erscheinen mir vielschichtiger und elaborierter. Denn es geht ja längst nicht mehr um eine Dichotomie ‘sexy Superheldin vs. Monster’, oder?

Ein Moment hebt sich dann doch für mich heraus: Die Vorstellung findet im HAU 1 statt, einer großen, klassischen Theaterbühne – das Publikum befindet sich jedoch auf der anderen Seite und hinter dem Bühnenraum gähnt ein riesiger, leerer Zuschauerraum. Etwa in der Mitte des Stücks zieht sich Rosie Harte einen glitzernden Umhang an und wendet sich einem imaginären Publikum zu. Sie raunt, flüstert und schreit diesem Publikum eine unverständliche Nachricht zu. In diesem Moment denke ich: Aha! Wir sind hinter den Kulissen eines Bodybuilding-Wettbewerbs und dürfen diese beiden Menschen mit ihren Gedanken, Hoffnungen und Phantasien näher kennenlernen – der choreographische Blick als Kamera ‘behind the scenes’. Diese Spur verliert sich im weiteren Verlauf des Stücks jedoch leider wieder.

Der Gedanke allerdings lässt mich über die Rolle der Choreographie und das Verhältnis zwischen Choreographin und Darstellerinnen nachdenken. Hier gleicht die Choreographie einer unsichtbaren Hand, die ihre Figuren vor den Augen der Zuschauenden zum Tanzen bringt. Mir stellt sich immer wieder die Frage, welche Motivation die Choreographin hat sich mit diesen Körpern auseinanderzusetzen. Was ist ihre Meinung über ‘starke Frauen’? Vielleicht ich würde weniger nach einer Aussage suchen, wenn die Choreographin ihre Position transparenter gemacht hätte und ich die Choreographie weniger als Regime der Repräsentation bestimmter Bilder von Weiblichkeit, sondern als Verhandlungsraum, als Dialog zwischen Choreographin und Darstellerinnen lesen könnte.

TEXT II

Corinna Schmechel, seit zehn Jahren als Wettkampfboxerin und Trainerin im Boxen aktiv. Zudem beschäftigt sie sich als Doktorandin und Lehrbeauftragte in Soziologie und Gender Studies mit Fragen rund um Körper, Geschlecht und Sport.

Viele Projekte, die Stereotype aufbrechen und Gegensätze vereinen wollen, stehen vor dem Problem, diese durch die stetige klischeebeladene Zitation am Leben zu erhalten und eher noch zu bestärken. Das scheint mir leider auch bei “Wonderwomen” ein Problem zu sein. Um, wie im Ankündigungstext versprochen, “Athletik und Weiblichkeit miteinander

[zu]

verknüpf[en]” muss man sie erstmal als getrennte und nicht ohne Weiteres vereinbare Entitäten denken. Wie oft wurde wohl schon versucht, Männlichkeit und Athletik zu verknüpfen?

Mit diesem skeptischen Grundgefühl ging ich ins Stück und mein Hauptgedanke während des ersten Aktes war: Warum muss ein Stück über starke Frauen darin bestehen, dass diese scheinbar ziel- und sinnlos auf dem Boden herumkriechen und Pressatmungsgeräusche machen? Ich persönlich hätte mich noch damit abgefunden, aus geringer Theateraffinität das Ganze einfach nicht zu verstehen, doch auch meine theatererfahreneren Begleiterinnen – alle ebenfalls im Kampf- und Fitness-Sport ambitionierte Frauen – teilten das Unbehagen gegenüber dieser Szene. Glücklicherweise besteht nicht das ganze Stück aus diesem Akt. Die Bewegungsformen der Protagonistinnen wandeln sich in den aufrechten Gang, synchronisierte Kraftübungen in Präsentationsposen zu Gitterglanz und Scheinwerferlicht.

Das interpretierten wir als Selbstfindungs-Auferstehung-Geschichte, in welcher aus dem ziel- und sinnlosen Dasein der Protagonistinnen eine ästhetische und glorifizierte Existenz wird. Das ist erstmal eine ziemlich klassische und vielfach erzählte Geschichte, die durchaus an gemachte Erfahrungen bei uns andockt, doch so wie sie hier erzählt wird, scheint das Spannende unthematisiert zu bleiben. Zwischen den Zeilen der gängigen Erfolgsstories über Frauen (oder wahlweise zusätzlich oder anderweitig gesellschaftlich Marginalisierten), welche sich in Bereiche vorkämpfen, die nicht für sie vorgesehen sind, finden interessante Aushandlungen statt. Zwischen diesen Zeilen stehen ambivalente Geschichten von Solidarität und Konkurrenz untereinander, von Normbrüchen und Anpassung, von Selbstermächtigung und Selbstdrangsalierung. Hier hätte das Sujet von “Wonderwomen” auch einiges Potential geboten. Dies wurde aber entweder nicht genutzt oder zumindest nicht für meine Augen erkennbar.

Spannend fand ich ein Bild während des Stückes, in dem die beiden Darstellerinnen zusammen eine lange Hantelstange heben. Das stellte für mich tatsächlich einen Bruch mit gängigen Bodybuilding-Assoziationen dar, da hier ein Bild der Gemeinsamkeit statt des Individualismus und des Gegeneinander geschaffen wurde. Dies wurde jedoch direkt wieder aufgelöst, als im nächsten Moment die beiden die lange Hantelstange in zwei kurze auseinanderziehen und anfangen synchron – gegeneinander? Im Vergleich? Um die Wette? – klassische Langhantel-Übungen zu absolvieren.

Irritiert haben uns die mädchenhaft infantilen bis hetero-soft-porno-ästhetischen Posen der Darstellerinnen. Soll das die Verknüpfung von Weiblichkeit und Athletik sein, dass muskulöse Frauen lasziv mit ihren langen Haaren spielen? Vielleicht war das ironisch gemeint und soll auf die Absurdität des Bodybuilding-Business für weibliche Teilnehmerinnen verweisen, die ja tatsächlich neben – wenn nicht noch vor – ihrer Muskelmasse ihre ‚Weiblichkeit‘ unter Beweis stellen müssen. Die Ironie war jedoch für mich beziehungsweise uns leider nicht erkennbar.

TEXT III

Melanie Lane, in Berlin und Melbourne ansässige Choreografin und Performerin. Sie ist die Choreografin von “Wonderwomen”.

Zwei Frauen mit derselben Geschichte und derselben Tätigkeit. Training, Disziplin und Erfahrung sind in ihre Körper eingeschrieben. Ich fühle mich ihrer Lebensreise verbunden, weil der durchtrainierte Körper auch Teil meiner Geschichte ist. Vielleicht entspringt meine Sehnsucht nach der Auseinandersetzung mit solchen Körpern dem Wunsch, wieder in Verbindung zu diesem alles verzehrenden, tiefgreifenden körperlichen Training und seinen Auswirkungen zu treten, mich daran zu erinnern und es neu zu interpretieren. Dieses Stück ist Teil einer Werkreihe, in der ich versuche, choreografische Räume speziell für die performative Verhandlung zwischen hochtrainierten Körpern zu gestalten. Ein professioneller Balletttänzer, eine junge Tanzstudentin, exotische Tänzer*innen, ein Boxer und nun zwei Bodybuilderinnen. Ich suche in dieser Reihe nach Wegen, die Grenzen dessen, was trainierte Körper erreichen können, zu überschreiten und Potenziale für einen Körper der Zukunft zu finden.

Was mich am Frauenbodybuilding fasziniert, ist dessen intime Beziehung zum Körper, der Widerstand gegen das Bild des Weiblichen, wie es in unserer Gesellschaft vorherrscht, und die Möglichkeit zur körperlichen Verwandlung. Ich will nicht leugnen, dass ich den muskulösen weiblichen Körper, aufgrund seiner unmittelbaren Darstellung von Macht und Besessenheit, fetischisiere. Aber diesen Fetisch habe ich durch die Begegnung mit diesen beiden Frauen größtenteils neutralisiert. Ich habe mich weiterentwickelt und erkenne nun die Schönheit in der Artikulation ihrer Architektur und die Sanftheit in der Empfindsamkeit ihrer Persönlichkeiten.

Das Werk ist eine Zusammenarbeit, ein Dialog und ein Lernprozess – ein Blind Date mit der gemeinsamen Sprache von Atem, Struktur, Verhandlung und dem Übernatürlichen.

Nathalie Schmidt und Rosie Harte – beide höchst erfolgreich in ihrer Disziplin – sind stolz, selbstbewusst und unnachgiebig in ihrer Entschlossenheit. Neben ihrer kühnen Individualität ist ihnen auch der Sport, der Lebensstil und ihr soziales Geschlecht als Cis-Frauen gemein. Es verzaubert mich, wie sie nach Entwicklung, Fortschritt und Leistung dürsten. Die Art, wie sie ihre persönliche Entscheidungsfreiheit kommunizieren, erscheint mir zugleich ansteckend und verwirrend. Ich erkenne darin eine Rückforderung und Wiedererlangung des weiblichen performativen Körpers – eines zukünftigen Körpers.

Erstes Treffen: wir reden über Gender, Ernährung, Drogen, Training, Wettkampf, Figur und Statur, Glanz und Glitzer, das eigene Online-Image, Partner, Weiblichkeit, Macht, Verletzlichkeit und Superhelden. Ich esse, was sie essen. Ich trainiere, wie sie trainieren. Ich posiere, wie sie posieren. Ich glaube, ich habe mir den Bizeps gerissen. Ich spüre Kraft, und Schmerz, und Instabilität. Allein die Ernährung verwüstet einem den Verstand; wenn der Körper Euphorie erfährt, sticht es am schwächsten Punkt.

Nathalie und Rosie geben freimütig zu, dass sie zögern, im Kontext von zeitgenössischem Tanz aufzutreten. Es ist das erste Mal, dass sie ihre performative Sprache aus statischen Posen und 90-sekündigen Bühnenauftritten zu einer 60-minütigen Performance ausbauen. Es gibt eine Eröffnungsszene, in der die senkrechten Bodybuilding-Posen aus dem Wettkampfszenario in die Horizontale übertragen werden. Dafür müssen sie sich die Geräte ihres Widerstandstrainings in Erinnerung rufen. Die Entdeckung der genauen Muskelkontrolle während einer Bewegung wird zu einem neuen Ausführungsmodus. Durch ihre Ausdauer und Verwandlung helfen und unterstützen sie sich gegenseitig. Sie werden zur persönlichen Trainerin der jeweils anderen. Sie werden zu Wettkämpferinnen. Sie werden mythisch. Ihre athletische Reise dehnt sich aus.

Rosie und Nathalie sind Aktivistinnen. Sie leben ihre Weiblichkeit aus, trotz des harschen öffentlichen Widerstands. Sie werfen ihre Haare nach hinten, flirten, biegen sich in sinnliche Rundungen, werden hart, werden weich, werden pink, bleiben immer am Limit. Ist das Ironie oder ihre aufrichtige Entscheidung? Ich kann den Widerstand des Publikums spüren. Die Spaltung ist herrlich – manche meinen Porno zu sehen, andere verlieben sich. Könnte dies ein Moment der Selbstprojektion sein?

Ich beobachte sie in ihrem Bewegungsfluss zwischen Kraft und Instabilität. Ich erblicke Superheldinnen; ihre Mähnen schweben im Flug, die Körper glänzen unter einer flüssigen Leinwand. Ich bemerke den Einbruch der Leistung, die Zurkenntnisnahme von Schmerz, die Transparenz des Atems und die Brüchigkeit der Ausdauer. Die Flugkurve ihrer Performance ist brachial und hochsensibel zugleich. Wundersam. Wunderfrauen. Wonderwomen.

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