Autoren: Zen Jefferson, Theodor Johansson, Anna Aristarkhova
Drei Texte zu “Obnimashki” von Anna Aristarkhova. Vorstellung am 27. Mai 2017 im Ballhaus Ost
TEXT I
Zen Jefferson ist ein schweizerischer/us-amerikanischer Performer, er ist DJ und Ton-Kollege Künstler und lebt in Berlin.
Ich kam verschwitzt und abgehetzt an und trug meine Wildpferde-Shorts
und mein grünes Tukan-Hemd. Die Leute standen draußen in Gruppen herum
und plapperten. Die Leichtigkeit der ersten Sommerwärme drang sanft in
ihre Körper ein. Wir sprachen beiläufig über Seen und die
Einschusslöcher in den Wänden über uns.
Wie immer, wenn ich in Europa ins Theater gehe, wird mir sofort wieder
bewusst, dass ich braun bin und wie außergewöhnlich das innerhalb dieser
Grenzen ist. Ich bin es mittlerweile gewohnt, die Rolle der Quote zu
spielen und trotzdem brennt diese Erkenntnis jedes Mal aufs Neue.
Während wir auf den Einlass warten, denke ich über das Antizipieren von
Erfahrungen nach. Sowohl aufgrund meines Widerwillens, mich dem
Verstreichen der Zeit hinzugeben, als auch wegen der Produktivität, die
solche Momente der Spannung erzeugen. Zwischen diesen Welten und meiner
unmittelbaren Umgebung hin- und herzuwandern, ist ein Luxus, den ich mir
erlaube: Zeit und Raum, mir vorzustellen, was sein könnte.
Was, wenn ich etwas empfinde oder sehe, das ich bisher noch nie erlebt habe? Teilt die
Performance-Macherin ihr tieferes Verständnis des Lebens auf diesem Planeten mit mir?
Und zeigt sie, wie man es überleben kann? Wird die Kunst endlich meine
großen Hoffnungen erfüllen, nach deren Verwirklichung ich mich noch
immer sehne?
Während ich Platz nehme, bilden ein paar Menschen auf der Bühne Formen,
die unbequem und anstrengend aussehen. Zwischen ihnen besteht ein
Bewusstsein, das zur Kenntnis genommen werden möchte.
Unten auf der Bühne werden Anweisungen in ein Mikrofon gesprochen.
Manche davon gelten uns (dem Publikum) und manche den Performer*innen.
Nummern werden ausgerufen. Rituale des zeitgenössischen
Performance-Lexikons entfalten sich langsam.
Ich frage mich, wer zum ersten Mal bei einer Tanzperformance auf der
Bühne in einMikrofon gesprochen hat? Wer zum ersten Mal Anweisungen
gegeben hat? Nummern
rezitiert hat?
Ich fühle mich durch die Entfaltung dieser überbeanspruchten
Theatertropen zugleich gealtert und sehnsuchtsvoll. Ich überlege, welche
Entscheidungen ein Delfin unter diesen
Umständen treffen würde, wenn er selbst also etwas völlig neu erschaffen und denken dürfte.
56 Lampen in verschiedenen Weißtönen hängen an der Decke. 3 Paar
Sneakers. Ein Paar braune halbhohe Stiefel und ein paar schwarze
Absatzschuhe mit einem glänzenden halbhohen Absatz. Jeans und Hosen –
ihre Kleidung ist zugleich zeitgemäß und nostalgisch.
Der Boden hat eine abgenutzte graue Farbe. Die Performer*innen haben alle helle Haut und dunkle Haare. Ich war hier schon mal.
Einer der Performer sieht die gesamte Vorstellung hindurch so aus, als
ob ihm schlecht sei. Ich grübele, was er vor dem Auftritt gegessen hat.
Auf meinem Weg zum Theater bin ich an einer Mutter mit drei Kindern
vorbeigelaufen. Ich frage mich, was für ein Stück sie machen würde, wenn
sie Zugang zur Kunstförderung hätte und Raum und Zeit, um ihr
Vorstellungsvermögen zu entfalten. Muss ich mir wirklich schon wieder
eine Arbeit ansehen, die sich selbst beschreibt; in der gezählt und
künstlich gekämpft wird?
Je mehr das Publikum lacht, umso mehr möchte ich auf meinem Sitz
anfangen zu pinkeln, um den warmen Urin an meinem Bein herunterlaufen zu
spüren bis er langsam von meinen Socken aufgesogen wird.
Die Tänzer*innen fangen nochmal an zu zählen, während sie
Teilnehmer*innen aus dem Publikum einladen, auf der Bühne zu einer
großen Umarmung zusammenkommen.
Während einige Leute der Einladung folgen, widerstehe ich dem
verschwitzten klebrigen Kollektiv und schleiche mich zurück hinaus in
die Sommersonne, die auf meiner Bräune
glänzt. Während ich lächle und behutsam in das Nachtmeer von Berlin wate, träume ich von Delfinen und Müttern.
TEXT II
Theodor Johansson ist bildender Künstler aus Schweden und lebt seit 2013 in Berlin. Er arbeitet vorwiegend mit Textilien und Zeichnungen, die um Sexualität und naive Ausdrucksformen kreisen.
Wenn wir jemanden umarmen, kommt das direkt von Herzen. Egal ob wir
es aus Liebe oder aus Mitleid tun, wir beide – der Umarmende und der
Umarmte – werden davon berührt. Eine Umarmung kann zärtlich, aggressiv
oder sogar falsch sein. Aber unabhängig von unseren Beweggründen bleibt
sie ein Akt des Zusammenwirkens und des direkten Kontakts. Am Abend der
Aufführung von OBNIMASHKI erkenne ich den
ehrlichen Versuch, diese verschiedenen Arten des Umarmens auf die Bühne
zu bringen. Und während die Performer*innen ihre Zeit zunächst einmal
und vor allem damit verbringen, mit den verschiedenen Formen von Körpern
in einer Umarmung umzugehen, driften meine
Gedanken ab und ich überlege, in welchen Situationen dieses Gefühl der
Zugehörigkeit nicht aufkommt. Die Zahl der Performer*innen ist ungerade,
wodurch bei einer klassischen Umarmung von zwei Personen immer eine aus
der Truppe ausgeschlossen bleibt. Natürlich können alle untereinander
Partner*innen tauschen und sich als Gruppe umarmen. Aber dieses Gefühl,
der Situation nicht zu genügen, ausgeschlossen zu sein, verfolgt mich
die gesamte Performance hindurch. Und das verleiht dem Stück in meiner
Wahrnehmung mehr Tiefe als man auf den ersten Blick meinen könnte. Im
Gespräch nach der Aufführung erzählt mir die Chorgeografin Anna
Aristarkhova, dass ihr Stück stark von der Dynamik zwischen den
Performer*innnen abhängt. Wenn eine/r von ihnen einen schlechten Tag
hat, dann sieht man das in der Performance. Wenn eine/r von ihnen
glücklich ist, dann verleiht das dem Stück eine zusätzliche Strahlkraft.
Und wie bei allen menschlichen Beziehungen ist die Art, wie ein/e
Performer*in sich verhält, gänzlich von den Bewegungen und Signalen der
anderen abhängig. Mir gefällt der Gedanke eines kollaborativen
Organismus und ich denke darüber nach, wie ich selbst funktioniere; die
Art, wie ich jemanden in einer Freundschaft oder Liebesbeziehung umarme,
ist je nach Stimmung ganz unterschiedlich. Manchmal ist es wahnsinnig
schwer, jemanden zu umarmen, weil ich mich emotional völlig leer fühle.
Manchmal ist meine Umarmung wahnsinnig fest und voller Energie, weil ich glücklich bin und diese Energie weitergeben möchte. OBNIMASHKI
ist ein inklusives Stück. Es gibt einen Moment, in dem die
Performer*innen das Publikum auffordern mitzumachen. Und schon zu Beginn
des Abends haben wir Anweisungen erhalten, uns zu umarmen und unter
unseren Nachbar*innen nach Menschen Ausschau zu halten, mit denen wir
das auf unseren Sitzen tun könnten. Aristarkhova erzählt mir, dass es
sein kann, dass dreimal so viele Menschen auf der Bühne sind wie
Performer*innen und sich alle in einer großen Umarmung wiederfinden.
Manchmal wiederum trauen sich nur ganz wenige mitzumachen. Ich muss
deshalb auch über Gruppen-Dynamiken nachdenken. Den ersten Schultag in
einer neuen Klasse, die erste Party in der Wohnung von neuen Freunden,
den ersten Arbeitstag in einem neuen Job. Jede Situation kann völlig
anders sein. Manchmal finden Menschen zueinander, manchmal fühlt man
sich fremder als je zuvor. Und es ist immer wieder interessant
festzustellen, wie leicht die Körperlichkeit an sich provozieren kann,
sobald es um soziale Regeln geht. Manchmal ist es das Schwierigste der
Welt, jemanden zu umarmen.
TEXT III
Anna Aristarkhova is a Berlin based choreographer and the maker of OBNIMASHKI.
Hello there!
Let me introduce myself. My name is OBNIMASHKI. I am one year old and I was born in Berlin at the Inter-University Centre for Dance (HZT), in Studio 14 to be more precise. I have many parents. One of my mothers is Russian, and so is my name. OBNIMASHKI is a diminutive form of ‘a hug’ in the Russian language.
I am a dance piece for five performers, but I feel more like an octopus with five limbs.
An octopus has a very soft and flexible body, and it constantly alters
its shape. Though the octopus is a very intelligent creature, it is not
able to determine the position of its limbs, or to create a mental image
of the configuration of its own body.
Neither can I.
I have a different appearance every time I go out in public, and the
shape I take is not only up to me. This is due to the fact that my five
limbs have a lot of freedom to decide how they behave, and what
appearance I will take. Each of my limbs has a name and a strong
personality. I am, therefore, very much dependent on them and their
decisions.
This is totally fine for me, though, as I trust my limbs, and there is
usually a good balance between freedom and structure within my soft
body.
An octopus has an excellent sense of touch. So do I (I think).
I enjoy touching and being touched. I enjoy hugging and being hugged the
most, especially hugging myself, as it is always exciting with my five
limbs. My limbs are sometimes very tender, sometimes they are awkward,
and, sometimes, they can even be violent. They never get tired of
experimenting with different kinds of a hug, and I enjoy being a part of
this process.
In contrast to the octopus, who lives deep in the ocean, I spend most of
my time at the surface, under bright lights. Every time I am on stage, I
am exposed to the audience. It is not easy for me to be exposed so
often, and I sometimes feel very vulnerable as I never know how I am
going to look the next time I appear.
Sometimes one of my limbs has to be replaced by another one, and, as I
can not predict how this new arm is going to behave on stage, I feel
even more vulnerable.
Sometimes people laugh at me.
Sometimes I laugh at myself together with them.
Sometimes I become very serious, and then they laugh even more.
This is no problem for me.
To be honest, I enjoy seeing people laugh.
Sometimes I smile at them, but no one smiles back. Then I smile even more.
Many people have thoughts and opinions about me. I appreciate
constructive and honest opinions, as they inspire me and help me to
grow. Opinions which are not constructive do
not affect me much. I just smile back at them.
My limbs also each have their own individual opinions. Take a look:
https://vimeo.com/215177388
I have one week of vacation right now. I will spend it in the ocean.
Bye bye. Blups.
“We need 4 hugs a day for survival.
We need 8 hugs a day for maintenance.
We need 12 hugs a day for growth.”