„Loveline“, Tanzkomplizen © René Loeffler

Hasenohren fallen sanft

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Die Tanzkomplizen feiern mit Joachim Schloemers Teenie-Love-Story “Loveline – Brennende Herzen” im Podewil ihren Einstand

Unter dem Titel “Tanzspielzeit Podewil” wurden 2016 zehn zeitgenössische Tanzproduktionen für junges Publikum produziert und im Tanzstudio des Podewil aufgeführt. Die Tanzkomplizen unter der künstlerischen Leitung von Joachim Schloemer und Livia Patrizi sind eine Fortführung des letztjährigen Projektes. Gezeigt werden Produktionen für Menschen jeglichen Alters. Durch ein kollektives Erlebnis soll eine kurzzeitige Komplizenschaft zwischen Publikum, Performer*innen und anderen Mitwirkenden entstehen.

Bevor die zwei Performer Izabela Orzelowska und Sami Similä das junge Glück mimen, gibt Livia Patrizi eine kurze Einführung in das Stück: Sie erzählt, wie eines der coolen Mädchen sie mit 13 Jahren auf ein Doppeldate mitnahm; da passierte es und sie bekam den ersten Zungenkuss. Wie war das damals nochmal? Küssen war eklig, Jungs total doof und viel zu kindisch? Und dann verliebte man sich richtig und alles wurde anders. Der eigene Körper wurde zum Fremdkörper und die Hormone spielten verrückt. Spätestens jetzt läuft das eigene Kopfkino auf Hochtouren.

Ein Mensch mit Hasenmaske blickt in das Publikum. Es blitzt und donnert. Kurz ist die Bühne dunkel. Lautes Herzklopfen. Otto und Izzi verlieben sich in der Disco. Wie ein Blitz schlägt die Liebe ein. Im Hintergrund läuft “Je t’aime”, das Skandalduett von Serge Gainsbourg und Jane Birkin. Die Reflexion über den Text bleibt aus. Otto und Izzi mögen sich und tanzen den Schieber. Mit ihren Gefühlen sind sie nicht allein.

Durch das Stück führt Dr. Loveline (Joachim Schloemer). Der Liebesdoktor ist die Stimme der verwirrten Teenager. In der Wir-Form gibt er atmosphärische Schilderungen der Pubertät – Einer Zeit, in der man sich von Gefühlen leiten ließ und vor den Eltern die Zimmertür abschloss. Immer wieder taucht er auf, um stürmische junge Gedanken zu konkretisieren, zu abstrahieren oder zu interpretieren. Er wendet sich dem Publikum zu: “Sind wir immer noch wir oder sind wir die anderen? Wir sind die einzigen in diesem Moment.”

Oft spielen sich Szenen zwischen Liebe und Gewalt ab. Dann zum Beispiel, als Similä mit Orzelowska nicht einfach knutschend auf dem Boden liegt, sondern ihren Kopf gewaltsam festhält, um mit ihr in Kuschelposition zu rollen. Er wird die Position nicht lange halten, sondern ihren angeschmiegten Oberkörper so zurückstoßen, dass er sie wieder klar dominiert.

So unbeständig wie das Wechselbad der Gefühle der beiden, ist die Musik zum Stück (Aaron Ghantus/klangschneider.de). Sie changiert zwischen Stille, Klangkollagen mit Tiergeräuschen, Urwaldtrommeln, Popmusik und Tango.

“Loveline” ist eine Collage über Jugendliebe und das Erwachen des eigenen Körpers zu Teeniezeiten. Choreograf Joachim Schloemer setzt klar auf drei Bewegungen – fliegen, fallen und taumeln –, die er teils mit aufgestellten Begriffstafeln, teils tänzerisch umsetzt. Dabei wechselt Schloemer zwischen ruhigen und sehr temporeichen Szenen. Spektakulär ist beispielsweise Orzelowskas Leiterszene: “Fängst du mich? Fängst du mich? Fängst du mich?” Hastig rennt die junge Frau auf eine Leiter zu und klettert flink auf die ersten Sprossen. Sie lässt sich fallen und landet weich in Similäs lustlosen Armen. Auf kleinen Holztafeln stehen die Worte “fliegen? fallen. NEIN. Warte.” Wieder klettert sie auf die Sprossen. In einer immer schneller werdenden Spirale fällt sie blind nach hinten, steigt auf die Leiter, fällt wieder. Bis Schloemer alias Dr. Loveline sie sanft auf der Leiter absetzt. Orzelowska springt auf seinen Rücken. Er trägt sie weg. Similä und er werden um sie kämpfen. Schloemer rollt auf dem Boden nach rechts, Similä springt im Liegen über ihn. Schnell wechseln sie. Similä rollt, Schloemer springt. Dann liegen alle drei regungslos auf dem Boden.

Dr. Loveline und der Mensch im Hasenkostüm sind ein und dieselbe Person. Im Laufe des Stückes werden sie immer wieder auftauchen. Schloemer durchbricht die spannungsreiche Zweierkonstellation, was nicht immer gut zu verstehen ist. Warum sind es plötzlich zwei Männer auf der Bühne, die sich sogar teilweise liebevoll aneinander anlehnen? Die Worte des Moderators Dr. Loveline geben dem Stück meist Struktur, manchmal verwirren sie nur. Denn wenn Schloemer darüber spricht, dass “wir” nicht nur ein Klick in den sozialen Netzwerken sind, dann weicht er klar vom Thema das Stückes ab. Verlässt er jedoch die Bühne, werden eigene Erinnerungen wach.

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