Unfinished Fridays © Marcela Giesche

Gemäßigte Zone

Tanzstudio, Galerie, Kleinkunstbühne – die Lake Studios zeigen in der 35. Folge Vielseitigkeit

Man sollte das, ja, fast schon ein moralischer Imperativ, viel öfter machen! Rausfahren!
Angekommen in Friedrichshagen am Müggelsee sieht die Welt ganz anders aus: zwei- bis dreistöckig, gepflegt, mit 80er-Jahre-Eiscafés, guter Luft und ruhigen, pissemieffreien Nächten. Sogar die S-Bahnstation riecht neutral. Und seit drei Jahren gibt es in dieser (natürlich längst überteuerten) Vorstadtidylle mit den Lake Studios einen Tanzort, der Residenzen, Kurse und ein Abendprogramm bietet, angesiedelt in einer ehemaligen Tischlerei. Marcela Giesche & Friends haben diesen Ort auf eigene Faust aus dem Ei gepellt und auch die gut laufende Serie Unfinished Fridays entworfen.

Diese Serie lässt sich in etwa wie die Vorrunde für Nah Dran vorstellen, die Nachwuchs- und Newcomer-Probebühne des ada Studios, für die man ein 25-minütiges Stück in der Tasche haben muss. Bei Unfinished Fridays reichen Skizzen, die von Länge und Format her variieren können. Fertig sein muss das Stück also noch nicht. Durch ein anschließendes Feedbackgespräch mit dem Publikum wird den Tänzer*innen und Choreograf*innen die Möglichkeit gegeben, ihr Material für die weitere Arbeit zu reflektieren.

Auf Vielfalt legt Giesche bei der Auswahl Wert, das spiegelt auch die 35. Ausgabe der Serie. Während die Hausherrin selbst ihrer ehemaligen Kommilitonin an der Rotterdamer Dansacademie (Codarts) Sahara Morimoto ein abstraktes Solo auf den Leib schneidert, unternimmt Elma Riza ein Minimal-Experiment auf der Grenze zwischen Bildender Kunst und Choreografie mit nichts als zwei großen Pappbögen, und die Residenzkünstlerin Angela Fegers schließlich schafft eine Nummernrevue kleiner Miniaturen in Tanztheaterästhetik.

„heart-work“

Am meisten fortgeschritten ist Marcela Giesches „heart-work“, eine stark bewegungsbasierte Arbeit, die durch ihren Beginn im nächtlichen Dämmerlicht markiert, dass es um die Auslotung eines inneren Zustandes geht. Langsam stemmt sich die durch die Nacht wühlende Figur nach oben, wie gegen eine verkehrt herum fahrende Rolltreppe an. Dieses Stemmen wird immer mehr Prinzip in sich selbst, als würde die inzwischen aufrechte Figur von außer ihr liegenden Kräften angehoben und fortbewegt – als reagierte sie auf ein hydraulisches System. Tänzerisch ist das bis auf ein paar Fokussierungen in den schnellen Drehungen schon gut ausgearbeitet. Immer wieder scheint die Dichte der Atmosphäre zu wechseln und sich, zusammen mit durch die Bewegung hervorgerufenen Zuständen, auf die Tänzerin auszuwirken. Ein Schulternshake wird zum gespenstisch-unwirklichen Lachanfall, kurz meint man einen zerfledderten Kranich vorbeihuschen zu sehen, Zustand löst Zustand ab bis der Körper am Ende ausgespuckt wird aus den atmosphärischen Reagiermechanismen. Eine Reise um des Reisens Willen durch eine gemäßigte, ein Kräftegleichgewicht suchende Zone.

„Monochrome“

Noch reduzierter geht es bei Elma Riza zu. In einem galerie-artigen Setting steckt sie, mit kurzen Wahrnehmungspausen, jeweils zwei Pappbögen an ihren Enden auf einen Nagel an der Wand, so dass sich verschiedene zylindrische und kegelartige Formen ergeben, die sich skulptural zueinander verhalten. Das Variationsprinzip aus etwa zehn Nagelpositionen und den zwei Bögen ist erstaunlich groß und zusammen mit der konzentrierten Klarheit Rizas ergibt sich ein meditativer Sog zwischen 2D und 3D, der nicht überreizt wird. Die „Monochrome“ betitelte Arbeit macht Neugier auf die Rahmung und das Ende, die und das es noch zu finden gilt.

„a handfull of memories“

Wiederum einen großen ästhetischen Sprung gilt es zum letzten Teil des Abends zu nehmen. Neun Tänzer*innen hat Angela Fegers in „a handfull of memories“ zu absurden oder skurrilen Ereignissen in ihrem Leben befragt. In kleinen Besetzungen werden diese nun jeweils zu einem Song skizziert. Elena Francalanci und Sarah Bleasdale schlittern an einer spanischen Bushaltestelle pointiert in einen typisch unnötigen Streit, womöglich aufgrund eines Sonnenstichs, Katrina Bastian bekommt beim exzessiven Tanzen in der Disco plötzlich Joghurt in den Mund gelöffelt und Katrina Bastian und Sherise Strang werden beim Versuch, sich gegenseitig körperlich zu aktivieren, von einem älteren Herrn mit Blumen überrascht.

Die Nummernrevue von Fegers hat etwas vom Charme des schnell mit guter Laune Zusammengewürfelten, einen Hauch von Klassenfahrt mit buntem Abend. Ein weiterführender Kunstanspruch lässt sich in diesem letzten Teil des Abends am ehesten noch an der mitunter absurden Poesie der Szenencuts erkennen.
Das genauso bunt zusammengewürfelte Publikum wirkt jedoch in jedem der drei Teile gut unterhalten – von Abstraktem über eher Konzeptuelles bis zu Tanztheater mit einem Stich Kabarett, von Tanzstudio über Galerie zu Kleinkunstbühne. Das Konzept geht auf, zwei Weingläser zu Bruch und bis auf eine Frau, die ankündigt, ein auf Englisch stattfindendes Publikumsgespräch sei nichts für sie, bleiben die meisten noch zum Austausch, auch die hippen Berliner Tänzerinnen, die Königinnen meines S-Bahn-Abteils auf der Hinfahrt.