„Forever More“, João Cidade und Ferdinand Breil ©Isabell Hummel

Für immer und ewig markiert

Die Bewegungs- und Klanginstallation “Forever More” von João Cidade und Ferdinand Breil, aufgeführt im Acker Stadt Palast, hinterlässt neben unsichtbaren sinnlichen und emotionalen Spuren auch räumliche Spuren und beschäftigt sich mit den Fragen der Vergänglichkeit und Ewigkeit auf der Bühne.

Unser Leben besteht aus Markierungsritualen, die Aussagen darüber treffen, dass wir zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Punkt der Welt waren. Darüber hinaus können diese Rituale eine Aussage darüber sein, ob wir einen Raum oder ein Objekt zu unserem machen möchten oder uns nur als zeitweilige Besucher zufrieden geben. Als Kleinkinder zeichnen wir gerne imaginäre oder echte Grenzen, die uns von unseren Mitmenschen trennen. Künstler*innen gestalten Objekte oder Räume, die im besten Fall für immer ihre Wirkung entfalten können. Zu Corona-Zeiten werden unsere Grenzen in Form von Abstandsregelungen von Autoritäten bestimmt. Markierungen trennen und bringen zusammen, sie schaffen Intimität oder Grenzen. Sie gehören der Privatsphäre sowie der Politik. Markierungen können temporär sein und sich wieder in der Luft auflösen, wie ein Duft, ein Atemzug oder ein leises Geräusch. Sie können für immer bestehen, wie ein Tattoo auf der Haut oder eine Wunde, die nie heilt.

Die Aufführung von “Forever More” am 24. Oktober 2020 im Acker Stadt Palast konfrontiert ihr Publikum mit der enormen Vielfalt an Möglichkeiten der Markierung seitens der Künstler*innen. Cidade begegnet uns mit einer Bohrmaschine in der Hand. Es ist laut. Während das Brummen der Maschine sich in die Musik von Breil vermischt, entsteht in der aufgrund der kleinen Raumgröße bereits intimen Atmosphäre vom Acker Stadt Palast eine Klangsphäre um uns. Nur wissen wir – die ob Corona-Regularien maximal möglich anwesenden circa 20 Personen – nicht, ob diese Intimität erwünscht ist und in was für einem Verhältnis wir zu dem Geschehen auf der Bühne stehen. Langsam füllt Cidade den Raum mit Rauch, viel Rauch. Allerdings ist Rauch hier kein stimmungsschaffendes Mittel, sondern er gestaltet und ändert den Raum. Mal verlieren wir die Orientierung, sehen nichts mehr und fühlen uns nur mit den Klängen verbunden, mal sehen wir nur einen Teil des Raums. Die Grenzen sind fließend wie der Rauch. Spätestens ab dann beginnt ein intensives Spiel zwischen dem Raum, dem Publikum, den Klängen und der Bewegung. Mittels Neonlichtern, Bewegungen, Lautsprechern, Mikros, Rückkopplungen und Projektionen ändert sich das Verhältnis von der Bühne und den Zuschauer*innen sowie von Sinnen und Objekten zueinander. Cidade markiert uns (tatsächlich projiziert er ein bewegtes Bild von sich auf uns), er markiert sich (er tätowiert sich auf der Bühne), die Musik und der Tanz markieren sich in ihrem engen Austausch gegenseitig. Cidade trägt einen Lautsprecher auf seinem Rücken, er stampft, als ob er schreien möchte, dass er existiert, und dass diese Geräusche existieren und fassbar sind. In einem sehr starken Moment wird seine Projektion auf der Wand immer kleiner und kleiner bis sie an einem gewissen Punkt verschwindet. Er lokalisiert dann diesen Punkt  und bohrt in die Stelle. Er hinterlässt eine Spur auf der Bühne. Mit seiner Geste markieren wir, alle Dagewesenen, den Acker Stadt Palast. Dass er/wir diese Erlaubnis haben, gibt ein kleines aber nicht flüchtiges Gefühl von Freiheit, Ewigkeit und Verbundenheit.

Dem portugiesischen Tänzer João Cidade und dem deutschen Musiker Ferdinand Breil gelingt mit dem Stück “Forever More”, die quadratische Bühne im Acker Stadt Palast zu einem lebendigen Organismus und einem sich stets verwandelnden Schauplatz zu machen. Die kurze halbe Stunde ist von der Raum- und Klangatmosphäre her so intensiv und fokussiert, und die Dunkelheit um die Bühne und auf der Bühne so verschluckend, dass das Zeitgefühl verloren geht und der Unterschied zwischen temporären und ewigen Spuren seine Relevanz verliert. Der Stoff hinterlässt letztendlich auch in der Seele Spuren und so tragen wir das Stück mit uns nach Hause. Der Titel “Forever More” bezieht sich vermutlich nicht nur auf die einzige bleibende Spur der Nacht, nämlich auf das Loch in der Wand, sondern stellt auch die Frage, wie tief eine Markierung sich in die Seele einbrennen kann, auch wenn es sich dabei vielleicht nur um einen subtilen Moment handelt. Das erinnert an psychologische Studien, die belegen, dass in der zwischenmenschlichen Kommunikation das Essenziellste eigentlich in ein paar Sekunden stattfindet und wir uns sofort eine Meinung über unser Gegenüber bilden, weil die unbewussten Prozesse die Hauptarbeit leisten. So gesehen ist unsere Kommunikation mit Anderen eine Summe von unseren und deren körperlichen, geistigen und seelischen Markierungen. So gesehen sind wir für immer und ewig markiert. “Forever More” bietet ein einprägendes visuelles und akustisches Erlebnis. Was das Stück wirklich stark macht, ist aber das Bloßstellen und Bewusstmachen dieser unbewussten Prozesse der Markierung.